Gütersloherisch für Anfänger
Ein Expresssprachkurs »Umgangsostwestfälisch«
Regie, Kamera und Ton: Dominique Osea
Darsteller: Matthias Borner, Dominique Paulin, Angus Bernards
Szenerie: Gartenhof, Pavenstädt
rären
Bedeutung: nadeln
Anwendungsbeispiel: »Käar, Bäarnhard, was hasse dir beim Weihnachtsbaum-Vearkauf wieder füan Kroppzeuch andrehn lassen?! Wir ham noch nichma Nikolaustach, und unsa Krissbaum räart getz schon. Bis Heilichahmd hat selbs’ unser Plattenspieler mehr Nadeln als dies’ össelige Gestrüpp!«
Einige Vokabeln unseres Sprachkurses können Sie regelmäßig anwenden: Pölter, wech, ramdösig, Meckerpott – das sind Wörter, die man im Alltag nahezu täglich braucht. Heute hingegen lernen wir einen Begriff, den man nur ein einziges Mal im Jahr verwendet (so man nicht Baumschulen-Betreiber ist): »Rären« beschreibt den schleichenden und in diesen Tagen bereits fortgeschrittenen Vorgang, bei dem der Weihnachtsbaum sein Nadelkleid ablegt.
Anders als beim vornehm klingenden »nadeln« (»Clothilde, unser Christbaum nadelt«) klingt beim »rären« die Unterstellung durch, die tückische Tanne würde ihre Nadeln vorsätzlich zu Boden rieseln lassen (»Ich werd wahne, sso ein Schweinepuckel von Baum! Der räart alles voll!«). Es muss also nicht zwingend an nachlassender Saugkraft Ihres Staubsaugers liegen, wenn der Teppichboden trotz intensiver Pflegebemühungen von Nadeln übersäht bleibt. Vielleicht haben Sie sich nur ein besonders perfides Gehölz ins Haus geholt, das ihre frisch gesaugte Auslegeware mutwillig und minütlich mit neuen Nadeln spickt.
Die typische Tanne, die sich der Gütersloher als Lichterbaum in den Sockel stellt, stammt übrigens nicht aus dem Rhedaer Forst, sondern aus Dänemark. Unsere nordischen Nachbarn pflanzen und ernten nämlich jedes Jahr zehn Millionen Weihnachtsbäume. Doch damit nicht genug: Derzeit werden mit Hilfe der Gentechnik im Botanik-Institut von Kopenhagen Klon-Tannen entwickelt! Deren Zweige sollen symmetrisch wachsen, sich nicht unter dem Gewicht von Christbaumkugeln biegen, vor allem aber möchte man verhindern, dass sie – na was wohl?
Richtig: rären.
Schwer vorstellbar, dass sich solche Klon-Tannen im Kreis Gütersloh durchsetzen. Eher wird sich das Rären, heute noch als Ärgernis empfunden, angesichts der Gentechnik zu einem wertgeschätzten Zeichen für die Naturbelassenheit eines Baumes entwickeln, ganz nach dem Motto »Wenna nich’ räart, issa nix wert«. Denn der Gütersloher ist traditionsbewusst; wenn der sich erst einmal ans Rären gewöhnt hat … der würde, falls so eine Klon-Tanne ihre Nadeln nicht freiwillig abwerfen wollte, glatt durch gezieltes »Röseln« nachhelfen. Und was es mit diesem Begriff auf sich hat, lernen wir dann im Fortgeschrittenen-Kursus.