ORA ET LABORA - Zu Besuch bei Pater Gottfried

Auch für die August-Ausgabe haben wir uns wieder auf den Weg gemacht, um eine Person zu besuchen, die stark in unserer Heimat verwurzelt ist. Dazu lassen wir den Trubel und die klingelnden Telefone in der Redaktion hinter uns und machen uns auf zu einem Fleckchen Erde mit einer langen und spannenden Vergangenheit. Und die spüren wir schon förmlich als wir den Torbogen passieren. Wir tauchen ein in einen Ort der Ruhe und Entschleunigung, der 1185 von Mönchen gegründet wurde und bis zum Jahre 1803 Mittelpunkt des klösterlichen Lebens in Marienfeld war. Einmal um den Klosterhof herum und vorbei an der Klosterkirche, führt uns unser Weg zu einem Mann, der das historische Gelände seit 2004 sein zuhause nennt und überzeugt ist, dass aus dem Geist, der die Zisterziensermönche im 12. Jahrhundert beseelt hat, auch heute neues klösterliches Leben entstehen kann. Wir tref fen uns mit Pater Gottfried Meier. Mit ihm quatschen wir über seinen Alltag im Kloster, das Aufgreifen alter Traditionen und über heutige Servicementalität, die so gar nicht seinem Selbstverständnis entspricht.

Als wir den Klosterhof passieren und aus dem Auto steigen, regnet es in Strömen. Schnell machen wir uns auf zu einer weißen Eingangstür. Auf einer Klingel steht: Pfarrbüro. Auf der anderen: Pater Gottfried OSB. Hier befinden sich die Pfarrei und die vier Wände von Pater Gottfried. Aber OSB? Das ist die Abkürzung für »Ordo Sancti Benedicti«. Der Pater gehört dem Benediktinerorden an. Schon vor Theologiestudium und Priester-weihe trat er in die Benediktinerabtei Gerleve im Münsterland ein. Dort blieb er nach seinem Studium noch lange, bevor es ihn 2002 nach Harsewinkel zog. Zwei Jahre verbrachte er in St. Paulus. Dann war es an der Zeit »etwas Neues anzufangen«. Und so bezog er gemeinsam mit Bruder Simeon Lüdke am Pfingstfest 2004 einen Teil der ehemaligen Wirtschaftsgebäude des Klosters. Die beiden begannen hier ein Leben nach den Regeln des heiligen Benedikt und hauchten dem Kloster neues Leben ein. Seitdem ist viel passiert: Ein neuer Gästebereich, ein Gebetsraum und ein Wohnbereich für die Mönchsgemeinschaft ist entstanden. Außerdem wurde der Kreuzgang neu eingerichtet. Bruder Simeon verstarb im Sommer 2014. Kurz danach stieß Bruder Kay Rieckhoff dazu, der sich liebe-voll um den Klostergarten kümmert und Pater Gottfried bei einigen Projekten unterstützt. Im Frühling 2015 bekam das Kloster wieder Zuwachs. Eine treue Seele auf vier Beinen fühlt sich hier pudelwohl.

Als die Tür aufgeht, werden wir von Pater Gottfried freundlich begrüßt. Im Schlepptau »Rulle«. Der große Berner Sennenhund begrüßt uns schwanzwedelnd und stürmisch. Gemeinsam geht es rechts rum, in einen schlichten, aber doch gemütlichen Raum mit vier Sesseln und einem großen Holztisch. Wir erfahren, dass genau heute das Fest des heiligen Jakobus, Schutzpatron der Pilger, in Spanien gefeiert wird. Seit über 1000 Jahren wandern Gläubige zum Grab des Apostels Jakobus in der spanischen Stadt Santiago de Compostela. Auch das Kloster Marienfeld liegt an einem Teilstück des Jakobwegs und lädt Menschen zur Einkehr ein. Durchaus passend. Wir sind heute schließlich auch zum Kloster »gepilgert«. Die Tür steht den Menschen hier jederzeit offen. Wanderer, Ausflügler, Neugierige und Skeptiker finden den Weg ins Kloster, um sich für eine bestimmte Zeit auf das Leben dort einzulassen, die Stille zu genießen oder Antworten zu finden. Aber auch Bedürftige bekommen hier ein Bett und warme Mahlzeiten. Das fußt auf einer langen Tradition. Momentan leben im Kloster zwei Flüchtlinge und ein junger Mann, der sich im Leben neu orientieren möchte.

Der Pater erzählt uns, dass nicht selten Menschen zu ihm kommen, um sich ihre Sorgen von der Seele zu reden. Hier in diesem Raum, dort wo wir jetzt sitzen. »Was hier hinter den Kulissen abläuft, ist der Allgemeinheit nicht wirklich bekannt«. Und noch etwas: In einer Gesellschaft, die immer gnadenloser und unbarmherziger wird, ist das die perfekte Gegenströmung dazu. Einfach mal zuhören, helfen und auch mal Fünfe gerade sein lassen. Klar, man behandelt andere so, wie man selber behandelt werden möchte. Und es gibt keine moralischen Schemata. »Es macht barmherzig«, erklärt Pater Gottfried. »Hier ist jeder willkommen und wird mit offenen Armen empfangen. Das ist gerade in Klöstern so«. Er hat ein offenes Ohr für jeden und er macht es wirklich gerne. »Ganz nebenbei«, sagt er und grinst.

Natürlich stehen aber noch andere Dinge auf der Tagesordnung. Schon um fünf geht es raus aus dem Bett. Zuerst eine Runde mit Rulle, dann steht um 7:25 Uhr das Morgengebet an. Pater Gottfried hält jeden Tag Laudes im Kreuzgang. Mal sind es weniger und mal mehr Menschen, die schon so früh den Weg in die St. Marien Kirche finden. Manchmal sind es drei, manchmal sind es fünf, manchmal aber auch niemand. Dann betet der Pater für sich allein. Um acht Uhr läuten mittwochs, donnerstags und freitags die Glocken zur Eucharistiemesse. Vorher macht er sich Gedanken zu den Bibeltexten der Messe. Der Rest geht ganz automatisch. Das Predigen ist für ihn wie atmen, erzählt er uns. »Die Gebete sind ja durch das Messbuch vorgegeben. Und letztendlich geht es um den Auftrag Jesu: Tut dies zu meinem Gedächtnis, sagte er vor 2000 Jahren«. Die zwei Messen am Sonntag, um 9 und 19 Uhr, kosten ihn schon etwas mehr an Vorbereitungszeit, wie wir erfahren. Jeden Montag geht es zudem ins Kloster Varensell, um den Gottesdienst dort gemeinsam mit den Schwestern zu feiern. 

Zwischen Gebeten und Messen bereitet er natürlich auch Taufen und Trauungen vor: Da ist vom verhaltenen Ja-Wort bis zur völlig durchgestylten Showhochzeit alles dabei. Gerade bei Letzterem wandert sein Blick gerne Mal mit einem humorvollen »Dann mach mal!« gen Himmel. Bevor es um 18 Uhr abends zur Vesper in den Kreuzgang geht, schlägt er sich als derzeitiger Pfarrverwalter auch gerne mal mit tropfenden Heizungen und Urlaubsanträgen rum. Und auch nach dem Abendgebet stehen nicht selten noch Termine an. Und wenn nicht, greift er auch gerne mal zu einem Krimi.

Wir merken, dass einer in der Runde ein wenig unruhig wird und erfahren auch sogleich den Grund. Gleich schlägt es 17 Uhr. Die »Raubtierfütterung« steht an. Rulle bekommt sein Abendessen, eine gesunde Mischung aus Banane, Quark und Pansen. »Aber erst unser tägliches Ritual«, sagt Pater Gottfried und hält Rulle den Löffel hin, damit er ihn sauberschleckt. Dann schnell weg von Hund und Napf. »Sonst isst er nicht«. Wir erfahren, dass Rulle nach dem strengen Marienfelder Abt Johannes Rulle benannt ist, um den sich verschiedene Sagen ranken: Eine Geschichte berichtet, dass er damals mit einer Kutsche und sechs Pferden in der so genannten Teufelskuhle, den Überresten von Fischteichen, untergegangen ist. Seitdem treiben dort grauenhafte Spukgestalten ihr Unwesen. So steht es jedenfalls in der Marienfelder Chronik. Und auch wir werden dem Abt später noch begegnen.

 

Den anderen Rulle lassen wir in Ruhe fressen und machen uns auf zu einem kleinen Rundgang. Erstmal geht’s die Treppe herauf in den netten Gästebereich, mit sieben Betten, Aufenthaltsraum mit Bücherregal und Gästebuch. Schlicht und bescheiden. Aber nichts weiter braucht es, um hier zur inneren Ruhe zu finden. Es geht die Treppen wieder herunter und durch die anschließende Bibliothek gelangen wir ins Hausoratorium, einer Hauskapelle mit wunderschönem Deckengewölbe. Hier findet das Mittagsgebet statt und manchmal auch die Eucharistiefeier, erfahren wir vom Pater. Wieder ein paar Treppen hinauf und wir gelangen in einen Speiseraum. Hier treffen wir auf einen alten Bekannten. Von der Wand starrt uns Abt Rulle an. Der Pater zückt sein Smartphone und zeigt uns eine Fotocollage des Portraits. Wir müssen lachen: Beide Rulles auf einem Bild vereint. Das wollen wir auch euch nicht vorenthalten!

 

Dann geht es durch den Regen in Richtung Kirche. Wir erfahren, dass die Eucharistie hier fast täglich im Kreuzgang gefeiert wird, in einer stillen und intensiven Form in der kleinen Gruppe. Es ist nicht mehr wie vor 50 Jahren, erzählt uns Pater Gottfried. In Saerbeck, seiner Heimatstadt, waren die Kirchenbänke damals bis zu 80 Prozent besetzt. Heute bleiben die Bänke bis zu 80 Prozent und mehr leer. »Und das ist dann oft die Rechtfertigung dafür, dass man nicht mehr hingeht.« Da nicht zu resignieren falle ihm schwer, verrät er uns. Viele Menschen durchlaufen heute nur noch die typischen Stationen. Zur Taufe, Kommunion, Firmung oder Hochzeit wird die Kirche wieder interessant: »Diese Servicementalität widerspricht meinem Selbstverständnis«. Schließlich bereite er sich auf die Messe vor, um sie gemeinsam zu feiern. Nach dem Motto des heiligen Augustinus: »Ich bin Bischof für euch und Christ mit euch«. Dennoch, das Jammern hat er aufgegeben. Viel sinnvoller ist es in die Zukunft zu schauen. »Wer weiß schon, was daraus noch entsteht?« Und da hat er recht.

 

Die prachtvollen Verzierungen an den Wänden, das mächtige Deckengewölbe und die Stille schaffen eine bedächtige und melancholische Atmosphäre. Kein Wunder, dass die 1222 geweihte spätromanische Marienfelder Klosterkirche zu den bedeutendsten mittelalterlichen Architekturdenkmälern in Westfalen zählt. Im einzigen erhaltenen Kreuzgangflügel begutachten wir den neuen Altar, aufgebaut aus 150 Steinen, von Gläubigen aus allen Herrenländern. »Jeder Stein hat eine ganz eigene Geschichte«. Pater Gottfried zeigt auf einige Elemente.

 

Die meisten Steine stammen aus der näheren Umgebung, aber es sind auch Exemplare dabei, die eine weite Reise hinter sich haben: Aus Australien, Afrika, Jordanien und natürlich auch vom spanischen Jakobsweg. Eine echt coole Idee, die den Zusammenhalt innerhalb der Gemeinde zeigt.

 

Als wir die Kirche wieder verlassen, fällt uns neben der Kirchentür etwas ins Auge. Es ist ein Stempel. Und nicht irgendeiner, sondern der offizielle Pilgerstempel mit der Aufschrift »Campus Sanctae Mariae«, wie das Kloster bei seiner Gründung 1185 genannt wurde. Und auch wir bekommen vom Pater symbolisch unseren Besuch abgestempelt. Nicht in einem Pilgerpass, den haben wir ja nicht. Dafür aber auf einer Postkarte der Abteikirche. Dabei ist unser Besuch noch nicht ganz vorbei. Zu guter Letzt geht es in den Klosterladen. Ein Ladenlokal voll mit Büchern, vielen theologischen Werken, aber auch Romanen, Reiseführern und anderer Literatur. In einer Ecke des Ladens gibt es eine kleine Enothek. Hier lagern Weine aus Deutschland, Frankreich, Spanien und Portugal. Persönlich ausgewählt von Bruder Simeon. Er war es nämlich, der den Laden aufbaute und zu Lebzeiten mit purer Leidenschaft führte. Der kleine Laden wird heute vom evangelischen Pfarrer Martin Liebschwager, seiner Frau Christina Mohring-Kohler und einem Team von Ehrenamtlichen weitergeführt. Immer wieder sind Menschen, die zufällig in den Laden kommen, angetan von Auswahl und Gestaltung des Angebotes. Ein echter Geheimtipp! Nach und nach wurde Bruder Simeons Auswahl natürlich auch durch neue Produkte erweitert. »Aber sein Geist bleibt hier im Klosterladen«. Mit diesen Worten verlassen wir den Laden und machen uns gemeinsam auf den Weg dorthin, wo unser Besuch begann. Wir verabschieden uns von Pater Gottfried und bedanken uns für seine Gastfreundschaft. Wir waren schon lange nicht mehr zu einem Gottesdienst in der Kirche. Noch lange nach unserem Besuch bleiben uns die Wörter des Paters im Kopf: »Dann kommt doch!«