Mit 32 Jahren kann man durchaus einiges erreicht haben. Von der abgeschlossenen Ausbildung über die Karriereleiter bis hin zur Familiengründung gibt es viele Wege, die man einzeln oder parallel einschlagen kann. Für den Gütersloher Postboten Daniel Kassner ist dieser Horizont noch einmal einen ganzen Kontinent weiter. Sein Traum: Afrika mit dem Rad zu durchqueren. Ein ganzes Jahr lang hat er sich hierfür Zeit genommen, wollte die ursprüngliche und wilde »Faszination Afrika« ganz bewusst und intensiv erleben und am Ende Erfahrungen mitbringen, von denen er lange zehren kann. Zurück in Gütersloh kann er das auf seinen Touren als Briefträger und in Gesprächen mit Interessierten. In der Carl-Redaktion hat er uns von seiner langen Reise erzählt, die nicht immer nach Plan verlief und gleich zu Beginn eine große Hürde mit sich brachte.

Am 9. Mai 2016 war es so weit: Mit dem Flugzeug geht es nach Kapstadt, den Startpunkt einer unkalkulierbaren Reise. Zwölf Monate hat Daniel Kassner vor sich – was auf ihn zukommt weiß er allerdings nicht. Einiges kommt schon zu Beginn der Tour ganz anders als zuvor gedacht, an einigen Stellen hat er viel zu viel geplant. Erfahrung mit größeren Radtouren hatte er bislang nur von einwöchigen Rad-Urlauben in England und Dänemark. Die Aufgabe, den Afrikanischen Kontinent zu durchqueren ist da ein ganz anderes Kaliber.

Obwohl der Postbote zu Beginn hochmotiviert startet, geht ihm schon nach zwei Wochen die Puste aus. Allerdings ist es nicht der Körper, der den Start der Tour nicht verkraftet, sondern vielmehr der Kopf. Die Einsamkeit und der hausgemachte Druck zwingen Daniel Kassner noch einmal zurück nach Kapstadt. Hier überdenkt er seine Ziele und kommt zur Ruhe. Deutlich entspannter macht er sich ein zweites Mal auf den Weg Richtung Norden. Wohin genau es geht plant er nun nicht mehr im Detail, vielmehr lässt er alles auf sich wirken und bleibt für eine Weile dort, wo es ihm gefällt.

So führt es ihn von Südafrika ausgehend nach Namibia, wo er eine Woche lang mit dem Rad durch die Stein- und Geröllwüste fährt. Auf den plattgefahrenen Schotterpisten kommt er erstaunlich gut voran. Neben der Strecke erlebt er die Tierwelt von Sträußen über Zebras bis hin zu Springböcken, die Einsamkeit hier lernt er als Bereicherung kennen, ebenso die touristisch geprägte Gegend um den Fish River Canyon. Ein erstes längeres Zwischenziel findet er in der Namibias Hauptstadt Windhoek. Zwei Wochen verbringt er hier und lernt die Menschen kennen. Kurz bevor es mit einem befreundeten Radfahrer weitergehen soll, bricht er sich das Schlüsselbein.

Nach einer Nacht im afrikanischen Krankenhaus steht fest, dass er mindestens vier Wochen nicht mit dem Rad fahren kann. Nach dem ersten Schock macht er das Beste aus der Situation und erkundet die Region zu Fuß. Neben einer Safari fuhr er zum Sossusvlei, um die größten Sanddünen der Welt zu besteigen. Er freundet sich mit weiteren Reisenden an und besucht ein Kindertheater, das von Deutschen organisiert wird. Gespielt wird eine Version von »Frau Holle«, allerdings mit Regen anstatt Schnee. Den kennt man hier nicht. Unterkommen kann er für eine Woche bei Einheimischen, drei weitere Wochen wohnt er in einem Hostel.

 

Ein Stück des Weges nach Sambia mit seinen Victoriafällen legt er anschließend mit dem Bus zurück. Dort angekommen erlebt er das Afrika, das er in seiner Einfachheit bislang nur aus den europäischen Medien kannte. Hier leben die Menschen in Lehmhütten ohne fließendes Wasser. Alle 20 Kilometer liegt ein Dorf, die Steppe ist durch die Kohleproduktion der Einheimischen vielerorts verbrannt. Und doch erlebt er, dass hier mit den einfachsten Mitteln alles »irgendwie immer funktioniert«. Für Daniel Kassner ist das ein einprägsames Bild, von dem er uns angeregt berichtet.

Einige Zeit und viele gefahrene Kilometer weiter erkundet Kassner das kleine Land Malawi, das erst seit wenigen Jahren für Tourismus offen ist. Er erlebt die Ursprünglichkeit des Lebens hier und die Hilfsbereitschaft der Menschen. So kommt es auch dazu, dass er sein Zelt für drei Tage auf dem Deck eines Versorgungsschiffes aufschlagen darf, das einige Dörfer von der Wasserseite aus mit allem versorgt, was gebraucht wird. Als weißer ist er hier schnell eine kleine Berühmtheit.

In Tansania lernt er dann auch andere Seiten Afrikas kennen. Neben Kommunikationsproblemen im Süden erlebt er auch eine ablehnende Haltung den Touristen gegenüber, was sich unter anderem daran zeigt, dass Ausländer zum Beispiel auf der Fähre ein vielfaches mehr zahlen müssen, als die Einheimischen. In der Hafenstadt Dar Es Salaam wird ihm schließlich sein Handy geklaut, was den Kontakt nach Hause, aber auch die Navigation per GPS unmöglich macht. Besser gefällt es Daniel Kassner auf der grünen Insel Sansibar, die er nach langer Suche mit einem Schnellboot erreicht und für eine Woche bleibt. Dem unseriös wirkenden Transfer auf einem Frachtschiff konnte er so kurzfristig entgehen. Zurück auf dem Festland geht es mit dem Rad noch einmal rund um den Kilimandscharo. Bei 30 Grad und 100 Prozent Luftfeuchtigkeit kein einfaches Vorhaben, aber definitiv ein Erlebnis, von dem die Enkel noch erfahren dürfen. Nach Kenia und Nairobi nimmt Kassner dann das Flugzeug nach Marokko, wo Kassner während der Regentage zunächst auf die Mitnahme in einem Lieferwagen setzt. In Gibraltar ist dann zunächst Schluss mit der Reise. Um Weihnachten 2016 verschlägt es ihn für gut einen Monat zurück nach Hause.

Den Abschluss der Reise, der Ende Januar 2017 beginnt, hält Daniel Kassner durch. Das Abenteuer Afrika ist beim erneuten Start in Marokko bereits erlebt, spätestens in Spanien sinkt dann auch die Motivation. Pflichtbewusst geht der Postbote aber noch eine letzte Aufgabe an: Güterslohs Bürgermeister Henning Schulz hat ihm einen Brief an die Partnerstadt Chateauroux mitgegeben, den er natürlich persönlich austragen wollte. Der Weg entwickelte sich zu einem positiven Erlebnis, das mit einer spontanen Stadtführung gekrönt wurde.

Der Rückweg führte Kassner dann mit dem Rad nach Paris, von dort aus ging es nach Luxemburg und mit dem Zug zurück nach Gütersloh. Zehn Monate hat seine Reise bis hierher gedauert, 5000 Kilometer konnte er mit dem Rad zurücklegen und ungezählte Erlebnisse sammeln. Und auch, wenn Daniel Kassner sich zwischenzeitlich von den Eindrücken überreizt fühlte, zieht er ein durchaus positives Fazit. Die Frage »warum habe ich meinen Traum nicht einfach in die Realität umgesetzt«, braucht er sich nun nicht mehr zu stellen. Und das bereits mit 32 Jahren.

Fotos: Daniel Kassner
Text: Benedikt Hensdiek