Nicht nur für kinder

Wunderwirtschaft ...

Wir schreiben das Jahr 1971. Die »Altdeutsche Gaststätte Beckord« ist der Inbegrif f für einen florierenden Schnellimbiss-Betrieb. Hier stehen die »Tanten vom Grill« Hella und Heide hinter der Theke und verkaufen ihre beliebte Rostbratwurst, Schaschlik und halbe Hähnchen – und das den ganzen Tag über bis spät in die Nacht. Dann kam die Spätschicht des Unternehmens Bertelsmann über die Straße und versorgte sich reichhaltig mit Speisen und Getränken – eine Betriebskantine gab es nicht. Oft wurde das Essen auch in Kartons über den Zaun gereicht, um die Kollegen zu versorgen. »Da haben die Würstchen senkrecht auf dem Grill gestanden«, erinnert sich Betreiber Volker Beckord.

Zu diesem Zeitpunkt ist bereits klar, dass August Beckord genau den richtigen Riecher hatte, als er sein Wohnhaus im Jahr 1955 zur Gaststätte umbaute und den Maler-Job bei Miele an den Nagel hing. Die damalige Friedrichsdorfer Straße 114 – heute die Carl-Bertelsmann-Straße – war zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal richtig befestigt. Klar war aber, dass genau gegenüber der neue Bertelsmann-Firmensitz entstehen sollte. Seitdem hat sich vieles getan – und der Altdeutsche Hof Beckord ist den Weg durch das Wirtschaftswunder bestimmt durch das große Wachstum des Unternehmens »gegenüber« erfolgreich mitgegangen.

Seit 1988 betreiben die Enkel Renate und Volker Beckord die Gaststätte in dritter Generation. Seitdem steht nach einem umfassenden Erweiterungsbau vor allem das Hotel- und Restaurant-Geschäft im Vordergrund, den Imbiss selber gibt es nicht mehr. 19 Zimmer werden angeboten, seit einiger Zeit erfolgreich auch als eingetragenes »Bed + Bike«-Hotel mit eigener Rad-Werkstatt die Volker Beckord als versierter Restaurator von Miele-Fahrrädern unterhält und auch gerne Besichtigungen mit den Gästen macht.

Die Gäste lieben vor allem die urige Kneipen-Atmosphäre und die jahreszeitliche westfälische Küche. Die hat Volker Beckord, der nach seiner Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann das Kochhandwerk erlernte, bestens im Griff. Die Zutaten aus regionalem Anbau kauft er konsequent auf den heimischen Märkten ein – stilecht und Co2-neutral mit dem Fahrrad.

Wer mag, kann dazu aus einer in der Region einmaligen Spirituosen-Auswahl wählen. »Leibwächter« von der Brennerei Schlichte in Steinhagen zum Beispiel gibt es. Oder den Wacholder »Verle Perle« von Schröder aus Verl. Respekt einflößend sind zudem die Sorten »Stromstoss« und »Schrittmacher« von Pähler aus Rietberg. Getränke, die es nur noch selten im Ausschank gibt. Ergänzt wird das Ganze durch die wohl deutschlandweit umfangreichste Sammlung regionaler Spirituosen-Plakate – vom Pollhänser über den Schinkenhäger bis zum Münsterländer Kornbranntwein, der auf einem Original-Plakat von 1898 im Gastraum präsentiert wird.

Nach 60 Jahren ist der Altdeutsche Hof angekommen in einer gelungenen Symbiose aus Moderne und Tradition. Ein uriges Erlebnis und eine leckere, moderne Küche laden zum Verweilen und Genießen ein. Und mit etwas Glück wird die ein oder andere Anekdote vergangener Zeiten ausgepackt. Ein paar von ihnen haben wir hier bereits gesammelt!

Der Fernseher

Keine Gaststätte in den 50ern ohne TV. Die »Fernsehstube« bei Beckord war hinter dem Torbalken (an der Kasse) zu finden. Der Raum konnte mit einer Schiebetür vom Thekenbereich getrennt werden. Frankenfeld, Kuli, Millowitsch, und das Ohnsorgtheater sorgten am Samstagabend für ein volles Haus.

Die ersten großen TV-Ereignisse, als es den Begriff »Public Viewing« noch nicht gab, waren im Jahr 1953 die Krönung von Elisabeth II. von England am 2. Juni von 10:00 bis 17:30 Uhr und von 20:00 bis 22:00 Uhr in ARD und NWDR – erstmal LIVE! Über 30 Millionen Zuschauer schauten die Übertragung – ein absoluter Rekord. Im Jahr 1954 stand dann das »Wunder von Bern« und der Beginn des deutschen Wirtschaftswunders im Fokus.

Ganz nebenbei: Ein Fernseher von »Graetz« hat 1957 ganze 950 DM gekostet – das durchschnittliche Nettoeinkommen eines Arbeiters betrug gerade einmal 450 DM.

Werk III

Der Altdeutsche Hof Beckord hatte im Volksmund noch einen weiteren Namen: »Werk III« war quasi ein außerbetrieblicher Standort des Unternehmens Bertelsmann. Neben dem »Bauteil I« in der Innenstadt (heute steht dort das Kino Cinestar) und dem frisch erbauten Hauptsitz des Unternehmens an der heutigen Carl-Bertelsmann-Straße wurden im Werk III zahlreiche weitreichende Unternehmensentscheidungen bei Kartoffelsalat und Bockwurst getroffen. Zum Namen beigetragen hat natürlich auch die Tatsache, dass der frühere Imbiss für zahlreiche Mitarbeiter die »Betriebskantine« darstellte. 

Der Schildersammler

Der Gastraum des Altdeutschen Hofes ist geprägt von der alten, gemütlichen Einrichtung – und gut 100 historischen Schildern und Plakaten von Gütersloher Schnäpsen. Alle Sorten, die noch hergestellt werden, stehen auch in der Getränkekarte und können vor Ort genossen werden.

Einmal in der Woche schaut Sammler Volker Beckord durch die verschiedenen Internet-Portale und sucht nach neuen Angeboten. So ist innerhalb der vergangenen 15 Jahre die umfangreichste Sammlung von Emaille Dauerplakaten der heimischen Produkte entstanden.

Sperrstunde

Um 23 Uhr war die Kneipe voll! Mit dem Ende der Spätschicht ging es noch einmal richtig rund im Altdeutschen Hof. Einziges Manko: Die Sperrstunde um 1 Uhr nachts. »Da wurde immer kräftig kontrolliert«, erinnert sich ein Gast. Um der Kontrolle zu entgehen und die Nacht fortzuführen, wurden zahlreiche Wege gefunden. Einer der wohl schwärzesten Plätze, um sich zu verstecken, war der Kohlenkeller. »Da saßen wir auf den Kohlen und haben unser Bier aus großen Gurkengläsern – verschüttsicher mit Deckel – getrunken, bis wir wieder in den Gastraum konnten«. 

Mohndruck brennt

Es ist Totensonntag des Jahres 1979, 9 Uhr. Hans Beckord steht vor der Gaststätte und sieht Rauch über dem gegenüberliegenden Mohndruck-Gebäude aufsteigen. Ein Schwelbrand, der an diesem Tag für Aufsehen sorgen wird. Und für Schaulustige, ist er sich sicher. Was folgt ist eine Bestellung von 500 Bratwürsten bei Hanhörster, die den hungrigen Schaulustigen serviert werden. Der Menschenauflauf wird auf Fotos vom Tag deutlich – Autos und Fahrräder stehen entlang der Straße, während die Feuerwehr ver-
sucht den Brand im Dachbereich zu löschen.

Hans Beckord hat die Situation mit seiner Filmkamera festgehalten – zu einer Zeit, in der kaum jemand die technischen Möglichkeiten hatte, Filmaufnahmen zu machen. Entstanden sind einmalige Aufnahmen, die wir im Film zeigen. Die 500 Bratwürstchen waren am Ende des Tages übrigens weg.