Aus den arrivierten Musikern der Region ragt er heraus: Tobias Schössler, der Pianist, Teil der deutschen Piano-Avantgarde. »Ein Grenzgänger zwischen den Musikstilen«, meint Claudia Buzin im 3Sat-Kulturmagazin »Kulturzeit«. Als »überraschenden Spaziergang durch eine zuweilen musikalisch fremde und doch sehr vertraute Welt mit improvisatorisch sakralen Tiefen und ekstasefähigem Rausch« stuft ihn WDR-Redakteur Jürgen Kura ein. Nach einer längeren Pause legt Schössler jetzt mit »Sections« – Abschnitte – seine vierte CD vor. Das Werk gibt‘s auch in einer aufwändigen Vinylversion für Liebhaber. CARL-Gastautor Wolfgang Hein besuchte den Pianisten zu Hause in Harsewinkel und hörte sich das Werk gemeinsam mit dem Künstler an.

Der entschuldigt als Erstes die schlechte Qualität seines alten Plattenspielers. Der leiert und rumpelt leicht, im Hintergrund sind schleifende Motorengeräusche zu erahnen. Hin und wieder knackt es aus den Lautsprechern. »Ach, wie schön, wie früher«, sagt Schössler. »Da ist Volumen drin, wunderbar. Eine CD ist clean, zu sauber und technisch, trocken. In der Schallplatte schwingt Wärme mit, eine besondere Weichheit, man möchte sich richtig einkuscheln.« Auf 180 Gramm schwarzem PVC wird Musik zur Skulptur.

Sieben Stücke auf beiden Seiten einer Langspielplatte – alles ist wohl proportioniert. Musik kompakt, Gefühle komprimiert. »Sections« – hinter dem Titel steht eine Idee. »Ich gehe in die Tiefe der Melodien und Klangbilder, versuche dabei, jedem Ton, jeder Harmonie genau nachzuspüren. Ich will Klänge freilegen. Will nicht zu viel, auch nicht zu wenig sagen«, ist sein Erklärungsversuch. Es ist ein durchkomponiertes Werk. Dennoch: Im Rahmen einer Aufführung entsteht dank seiner improvisatorischen Art jedes Mal etwas Anderes: »Je nach Herangehensweise, wie ich in die Töne herein höre und sie seziere – da kann ich nicht streng bei der Komposition bleiben.«

 

Gleich im ersten Stück dieser Platte befasst sich Schössler mit einem Straßenmusiker aus New York, Louis Thomas Hardin, der von allen »Moondog« genannt wurde und vor etwa zwanzig Jahren verstorben ist. Wie kann das gelingen? Es gibt bei Schössler keine drei Saxophone, die sich spannend einsetzen ließen, bei ihm geht‘s um »Piano solo«. »Doch! Die Widmung passt schon«, kommt es von ihm lapidar. »Das ist eine ganz einfache Melodie, aus ihr entstehen kleine Mikrokosmen. Das ist meine Referenz an diesen Ausnahmemusiker.«


Vor einem Jahr etwa sei dieses Grundthema entstanden, in einem gerade für Moondog typischen kanonischen Prinzip. Schössler sieht in diesem Stück eine besondere polyphone Arbeit. Da spielen seine Vorlieben für den Minimalismus mit hinein und er habe außerdem oft an Moondog gedacht. Er empfand es als spannend, was dieser Barde machte und wie er es machte. Er war kein großer Avantgardist, der seriell arbeitet, er war auch weitgehend tonal, aber vor allem war er ein »gerader« Taktgeber.

Ein anderes Stück, ausgangs der A-Seite, heißt »Song in the Corner 4«. »Das gehört in keine Ecke. Es ist nur eine mitsingbare Melodie, eng an ein Songformat angelegt, aber ich breche dann gewohnte Harmoniefolgen und behaupte, da ist Pop drin – was immer auch Pop sein mag.« Tobias Schössler als Popper? Er sei ein Musiker, der nicht verhehle, aus der Klassik zu kommen, sagt er dazu. Es sei auch problematisch, wenn man in Genres definiert werde. Letztendlich sei auch seine Musik ein großes Crossover.

Tobias Schössler ist im April wieder unterwegs in Deutschland, konzertiert in Berlin, München und Freiburg, aber auch in Bielefeld und Gütersloh: Am 22. April öffnet er wieder seinen Pianosalon in der Weberei.
»Sections« gibt es im Eigenvertrieb auch bei den Konzerten oder im Plattenladen (LC 23436).

Foto: Tobias Schössler Pressefoto
Text: Wolfgang Hein