Tafel inside

Folge 1

Eine Stadt wie Gütersloh darf sich nicht daran gewöhnen, sich auf Einrichtungen wie die Tafeln verlassen zu können und darüber hinaus die Augen vor der Armut der Menschen zu verschließen«, hat Bürgermeisterkandidatin Anke Knopp im Wahl-Interview von Carl und GüterslohTV gesagt. Und doch hat die Gütersloher Tafel Zulauf wie nie. Gastautor Jens Dünhölter stellt die Arbeit vor Ort mit einem Blick hinter die Kulissen vor. In Teil eins des »Tafel-Inside-Reports« geht es um die Fahrer, die Lebensmittel einsammeln und zu den Ausgabestellen bringen.

Armut, Not, Hunger, Elend, Lebensmittelknappheit und Existenzsorgen sind auch in der vermeintlichen Wohlfühl-Oase des Kreises Gütersloh keine Seltenheit. Rund 3800 Personen – Männer, Frauen, kleine Kinder – leben am untersten Rand des Existenzminimums. Ihre Nöte zu lindern, den Alltag etwas strahlender, heller und freundlicher zu machen, hat sich die Gütersloher Tafel auf ihre Fahnen geschrieben. Seit 18 Jahren sammelt die wohltätige, humanitäre Organisation Lebensmittelspenden ein, ordnet sie und händigt sie gegen einen symbolischen Betrag von 1,50 Euro pro Woche an Bedürftige aus. 2014 wurden dabei fast 1400 Tonnen einwandfreie, überschüssige Lebensmittel vor dem Verderb und der Vernichtung bewahrt, sowie später als Spende an Rentner, Gering- verdiener, Alleinerziehende, Asylbewerber, Sozialhilfe-Empfänger, Arbeitslosengeld-Bezieher oder andere Personen in einkommens- schwachen Situationen verteilt.

Die Tendenz des Spendenaufkommens ist zum Leidwesen der Tafel- macher leider sinkend. Rund 670 Männer und Frauen sind bei der Tafel im Einsatz. Das Gros davon stellen mit 650 Personen die Ehrenamtler. Wie die Heinzelmännchen wuseln sie im Verborgenen. Fleißig, unermüd- lich, zum Wohle der Allgemeinheit. Soweit die Fakten. Doch wie läuft die Arbeit wirklich ab?

Roswitha Nothnagel (54) und Tim Jackstel (18) gehören dazu. Die beiden sind zwei von fünfzehn bis 20 Fahrerinnen und Fahrern, die an sechs Tagen pro Woche mit fünf Transportern und einem siebeneinhalb Tonner bei insgesamt 174 Lebensmittelsponsoren im Kreis meist noch gut erhaltene, aber eben nicht mehr verkaufbare Nahrungsmittel einsammeln. In knapp zwei Stunden haben die erfahrene Helferin und ihr »Bufdi« (Bundesfreiwilligendienstleistender) bei ihrem ersten gemeinsamen Einsatz 24 Kisten Obst und Gemüse, zwei Kisten Frost-/Tiefkühlware sowie eine Kiste Backwaren eingesammelt. Bei 30 Kisten ist Schluss - mehr grüne (für Obst und Gemüse), rote (Brot) und kleine rote (für Fleisch- und Wurstwaren) Behältnisse passen nicht in die Tafel-Transporter.

Rosi Nothnagel, seit einem Jahr zweimal pro Woche im Einsatz, ist mit der Ausbeute ihrer Mittwochstour zufrieden: »Es hat sich gelohnt, waren ein paar gute Sachen dabei und wir sind nicht umsonst gefahren«. Ungefragt schiebt sie hinterher: »Wenn’s an allen Stationen nur zwei, drei Kisten gewesen wären, hätte ich mich geärgert. Dazu ist der Aufwand einfach zu hoch«.

Als besonderen Höhepunkt spendierte einer der Märkte neben Cup Cakes auch eine halbe Kiste Speise-Eis-Packungen, die wegen leicht beschädigter Verpackungen aus dem Verkauf abgezogen wurden. »Das Eis war außergewöhnlich«, freut sich Rosi Nothnagel im Sinne der 3800 Kunden, wie der Empfängerkreis im Tafel-Jargon tituliert wird.

Mit »ganz viel Glück und an guten Tagen«, räumt Personal-Koordinator Peter Ablass später ein, sind als Sonderspenden auch schon sechs Tonnen Pizza, acht Paletten Joghurt, eine Kiste Schokolade oder eine Palette Kaffee in den 1000 Quadratmetern großen, zentralen Kühlräumen an der Kaiserstraße 38a gelandet. Für die Bedürftigen sind diese Tage dann immer wie Weihnachten und Ostern zusammen.

Der Alltag sieht allerdings anders aus. Er besteht an diesem Tag aus Tomaten, Pfirsichen, Blumenkohl, Weintrauben, Auberginen, Orangen, Pilzen und Champignons, die von den jeweiligen Abholstellen in großen, zum Teil nur grob vorsortiert Kisten bereitgestellt werden. Für Rosi Nothnagel und das Heinzelmännchen-Corps ist das Anfahren der Sponsoren unter dem Tafel-Motto »Wir sammeln ein – und teilen aus« trotz aller Routine bei über 20 regelmäßigen Abholungstouren immer wieder »eine Wunderkiste«.

Egal, wie umfangreich der Inhalt der Abhol-Kisten ausfällt, Tafel-Arbeit ist auch immer Knochen-Arbeit. Gelegentlich finden sich unter den aussortierten, nur grob gesichteten Spenden auch Lebensmittel, die definitiv nicht mehr für den Verzehr geeignet sind. Obst, Gemüse und Co. landen darum natürlich erst nach ausführlicher Sicht- und Tastprüfung der Tafel-Teams in den eigenen Kisten der Kühlfahrzeugen. Die Be- und Entladung der Fahrzeuge an den Sammelstellen, dem Lager und den 52 Verteilstellen im Kreisgebiet erfolgt jeweils von Hand. Bei maximal 30 Kisten a zehn Kilogramm kommen dabei schnell einige hundert Kilo zusammen. Der Grund, sich im Sinne von Humanität, Solidarität und Mitgefühl unentgeltlich ehrenamtlich zu engagieren, dürfte bei den meisten ehrenamtlichen ähnlich sein: »Wer jemals bei der Ausgabe in die leuchtenden Augen der Empfänger geblickt hat, weiß wozu wir uns anstrengen und einsetzen. Das ist jede Mühe der Welt wert«, sagen sie.


Kontakt unter: 
Gütersloher Tafel  ⋅ Telefon: 05241-39010
Mail: info@gueterslohertafel.de
Web: www.gueterslohertafel.de


 

Text und Fotos: Jens Dünholter