Schule trifft Landleben

Carl ist auf Sommertour – und die hat uns aus der Gütersloher Innenstadt unter anderem in Richtung Nord-Ost geführt. Gut zwölf Kilometer bei bestem Wetter. Entlang der B61, einmal links und einmal rechts – und schon standen wir mitten in der Ummelner Landidylle. Da, wo sonst Woche für Woche bis zu 34 Kinder und ihre Begleiter Platz finden und das Leben und Arbeiten auf dem Bauernhof in der Praxis kennenlernen, geht es in den Sommerferien etwas beschaulicher zu. Umso mehr Zeit blieb uns, Tiere und Menschen auf dem Schulbauernhof Ummeln kennenzulernen. Ein paar Stunden Urlaub auch für uns.

Herz des Schulbauernhofes ist ein im Jahr 1914 erbautes Bauernhaus mit großer Deele, Küche, Speiseraum und Schlafräumen. Perfekte Bedingungen für jeweils eine Schulklasse mit Begleitern. Die kommen aus ganz Nordrhein-Westfalen und bleiben in der Regel für eine Woche, wohnen in Mehrbettzimmern und arbeiten unter fachlicher Anleitung im Betrieb mit. Tiere füttern, Ställe misten und Gartenarbeit, in der Gruppe für alle kochen, filzen oder auf dem Hof angebautes Obst und Gemüse verarbeiten. Die Aufgaben richten sich ganz nach dem Jahreslauf, jetzt sind gerade Bohnen, Möhren und die ersten Kartoffeln erntereif.

Aber kann all das bei den meist acht bis zwölf Jahre alten Besuchern punkten? »Absolut«, weiß der Vereinsvorsitzende und Mitgründer des Schulbauernhofes, Manfred Hofmeister. Und er geht noch einen Schritt weiter: »Wir merken immer mehr, dass das Naturerlebnis bei den Kindern gegen alle technischen, als unverzichtbar geltenden Dinge in ihrem Leben gewinnt«. Handy oder Computer sind hier nach wenigen Stunden vergessen. Viel spannender ist es, das rund 7 Hektar große Gelände zu erkunden und zu entdecken. Der pädagogische Hintergrund der Umweltbildung, der hier seit 1985 gelebt wird, hat sich dabei in seiner Form kaum verändert. Allein die Realität, aus der die Kinder abgeholt werden müssen, ist eine gänzlich andere geworden.

Das Gelände zu entdecken ist auch unser Ansatz: Der große Nutzgarten, Acker- und Weideflächen, eine Streuobstwiese, ein Bachlauf und ein Feuchtgebiet, Bolzwiese, Grillplatz und das kleine Wäldchen sind echte Wohlfühl-Orte. Angetan haben es uns vor allem aber auch die Tiere. Der Schulbauernhof Ummeln war einer der ersten Höfe, die als Arche Hof der »Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen« (GEH) gearbeitet haben. Seit 1995 leben hier vom Aussterben bedrohte Rassen, die gezüchtet, ökonomisch genutzt und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Und so beginnt unser Rundgang bei den Schwäbisch-Hällischen Landschweinen, einer der ältesten Schweinerassen in Deutschland. Sie fallen vor allem durch ihre besondere Körperzeichnung auf und sind hier auf dem Hof sehr zutraulich. Die Rasse war lange Zeit vor allem bedroht, weil sie zum starken Fettansatz neigt. Aus diesem Grund lange Zeit verschrien, gilt sie heute sogar als Delikatesse – was den Tieren in letzter Sekunde die Erhaltung gesichert hat. Ans Aufessen mögen wir an dieser Stelle aber nicht denken, denn die zutraulichen Tiere sind schnell ins Herz geschlossen. Im Offenstall kommen sie nah an uns heran – und so können wir Eber Rasmus tief in die großen Augen blicken. Über unseren Besuch freut sich auch die große Herde der Coburger Fuchsschafe.

Die alte Landschafrasse besticht durch ihre attraktive rotbraune Färbung und das sanfte Gemüt. Vor allem die zutraulichen Lämmer hinterlassen bei den Kindern eine bleibende Erinnerung. Uns beeindruckt das kesse Verhalten der Lämmer, die sich grasend-schmatzend annähern. Der Wert der hier geleisteten Arbeit wird uns schnell deutlich.

Erdacht und konzipiert wurde der Schulbauernhof in den Jahren 1981/82 als außerschulischer Lern- und Arbeitsort von Lehrern und Kinderpsychologen aus Bethel. Das Ziel: Die Entwicklung einer ganzheitlichen Umweltbildung. Im Jahr 1983 wurde der alte Hof »Meier zu Ummeln« gepachtet und zum Belegungsbetrieb umgebaut. Mit viel ehrenamtlichem Engagement nahm er 1985 als erster Schulbauernhof Deutschlands seinen Betrieb auf. Im Jahr 2001 begann die Umstellung des Betriebes auf die ökologische Erzeugung nach Richtlinien des »Bioland«-Verbandes. Vier Jahre später wurde das Angebot durch das »Kochen mit Kindern« ergänzt. Seitdem bietet der Schulbauernhof seinen Besuchern ein ökologisch wertvolles Verpflegungsprogramm.

Doch zurück zu unserem Rundgang, den wir in aller Ruhe und mit der Kamera fortsetzen. Die nächste Station: Das Geflügel. Seltene Hühnerrassen leben hier in einem großen Waldstück mit Anbindung an die Streuobstwiese, gemeinsam mit Enten und Gänsen. Wir stehen mittendrin, mit ein paar Körnern »bewaffnet«, um die Schar um uns zu versammeln. Auch hier: ein zutraulicher Empfang. Für manches Stadtkind wäre genau das eine ungewöhnliche Aufgabe, vielleicht auch eine Zumutung. Hier und da ein paar Hinterlassenschaften der Tiere, durch das Futter angelockt ein regelrechter Ansturm auf uns. Begegnungen einer besonderen Art, die tiefe Spuren hinterlassen. Positive Spuren, wie die Haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen.

Praktikanten, Teilnehmerinnen und Teilnehmer am freiwilligen ökologischen Jahr oder dem Bundesfreiwilligendienst bilden das junge Schulbauernhof-Team. Strukturell bedingt wechseln die Gesichter nach Monaten oder spätestens einem Jahr. Viele aber kommen ihr Leben lang immer wieder und packen ehrenamtlich mit an. So, wie die vielen älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die den Aufbau des Hofes begleitet und maßgeblich gestaltet haben. Sie alle verbindet die Freude an der Arbeit in und mit der Natur sowie mit Kindern im landwirtschaftlichen Umfeld. Wer hier mitmachen möchte, ist jederzeit herzlich willkommen. Nach zwei Tagen Probearbeit, in denen geschaut wird, ob ein neuer Mitarbeiter und das aktuelle Team des Schulbauernhofes zusammenpassen.

Carl wäre am liebsten direkt auf dem Schulbauernhof geblieben. Denn neben aller Arbeit, die hier Tag für Tag anfällt, ist das familiäre Leben, das Miteinander vieler Generationen und die Naturnähe ein echtes Highlight in einer sich viel zu schnell drehenden Welt voller technischer »Fortschritte« und Errungenschaften. Den Gegenpol durften wir an diesem Tag in Ummeln erleben. Vielen Dank dafür!

Fotos: Sven Grochholski
Text: Benedikt Hensdiek