Carl lebt in einer Stadt, in der die Trendsportart »Parkour« schon lange fest etabliert ist. Die Szene wächst stetig, der Bau einer großen Parkour-Anlage ist in Planung, das nächste Parkour-Camp steht schon vor der Tür. Für uns also mehr als genug gute Gründe, um den jungen, engagierten Traceuren einen Besuch abzustatten und Ihnen ein wohlverdientes »Compliment« auszusprechen.

Hürden, Barrieren oder Hindernisse?! Die gibt’s für die rund 20 Mädchen und Jungen, die sich jeden Mittwochnachmittag zum Parkour-Training in der Sporthalle des Reinhard-Mohn-Berufskollegs treffen, nicht. Sie machen keinen Bogen um die aufgebauten Kästen, Matten und Bänke, sondern überwinden sie auf unterschiedlichste Weise: Balancierend, kletternd, springend, krabbelnd oder mit einer Rolle vorwärts. Aber immer nur mit den Fähigkeiten des eigenen Körpers. Schließlich sind »Traceure«, also Parkourläufer diejenigen, die ihre Umgebung als kreativen Spielraum zur Fortbewegung nutzen.

Als wir beim Inklusionstraining in der Sporthalle des Reinhard-Mohn-Berufskollegs an-kommen, hören wir die fröhlichen Kinderstimmen schon von weitem. Die Mädchen und Jungen ab zehn Jahren können es kaum abwarten bis es endlich losgeht. Während die Kids in lockere Sportkleidung und Turnschuhe schlüpfen, erklärt uns Erziehungswissen-schaftler Claus-Peter Mosner, der bei der Stadt Gütersloh in der offenen Jugendarbeit im »Bauteil 5« tätig ist, worauf es bei der Sportart ankommt: »Parkour lässt den kreativen Geist wachsen und lädt dazu ein, die Dinge neu oder anders zu nutzen. Konzentration, Krea-tivität, das Schärfen der Sinne, intuitives Handeln und die Kombination verschiedenster Bewegungen sind wichtige Bestandteile.

Warum also nicht mal rückwärts eine Treppe hinuntergehen oder auf den Händen eine Mauer entlang balancieren? Klar, das ist natürlich nur etwas für geübte Traceure. Doch auch darum geht es in diesem Sport. Selbstüberschätzung ist hierbei eine Schwäche. Jeder muss sich selbst und die eigenen Stärken realistisch einschätzen können. Auch das lernen die Kids in den Parkour-Trainings. Es zählen nur die eigenen Fortschritte, jeder vergleicht sich nur mit sich selbst. Konkurrenz und Wettkampf gibt es nicht. Ganz nach dem Motto: »Gemeinsam erreicht jeder sein eigenes Ziel.«

 

Und so läuft‘s zum Beispiel auch im Mittwochstraining, das Carl besucht hat. Anders als die übrigen Trainingsangebote, ist dieses ein Inklusionstraining, bei dem fünf Trainer vor Ort sind. Es ist noch intensiver auf die individuellen Stärken der Kinder ausgerichtet. Wie bei jedem anderen Training steht aber auch hier am Anfang das Aufwärmen. Koordination, Spannkraft und Schnelligkeit werden in spielerischer Form geübt. Vor allem aber stiftet das Aufwärmen Gemeinschaft. Schließlich lernt man beim Parkour nicht nur im Sport, sondern auch im Leben, Hindernisse und Hürden zu überwinden. Davon lassen sich an diesem Tag nicht nur fünf Kinder, die zum ersten Mal dabei sind, mitreißen, sondern auch einige Eltern, die gemeinsam mit ihren Kindern beim Aufwärmen mitmachen. Parkour ist eben auch Vielfalt!

Nach dem Aufwärmen werden die Hindernisse aufgebaut. Jedes Kind packt tatkräftig mit an und erkundet danach erst einmal selbst die Übungsstationen. Vorgaben machen die Trainer den Kindern nicht. Sie sollen intuitiv an das, was vor ihnen ist, herangehen. Ein paar Regeln gibt es aber doch. Man sollte zum Beispiel nicht mit den Knien oder Ellenbogen auf die Hindernisse stoßen, erklären uns die Kinder. Denn, wenn man draußen über Mauern klettert, kann man sich leicht verletzen. Traceure sind schließlich auch im urbanen Raum unterwegs und überwinden leicht Mauern, Zäune oder Fassaden. Respekt vor fremdem Eigentum gehört deshalb auch zu dem, was die Trainer den Kids und Teenies hier vermitteln. Die Trainingsangebote sind kostenlos, da sie von der Stadt Gütersloh und durch ehrenamtliche Helfer organisiert und finanziert werden.

Schon heute freuen sich Trainer und Nachwuchs-Traceure auf den Bau der Parkour-Anlage. Die wird in naher Zukunft an der Hauptschule Nord entstehen. Die Anlage soll unter freiem Himmel und offen für jeden zugänglich sein. Zwar sind die Hauptarbeiten noch nicht angelaufen. »Der Beteiligungsprozess ist aber schon abgeschlo-ssen«, verrät Mosner. Am Entstehungsprozess sind auch die Traceure beteiligt worden. Es gab Workshops mit Kindern und Fachplanern, bei denen die jungen Sportler ihre Wünsche und Bedürfnisse geäußert haben. Daraus sind dann Entwürfe entstanden, die sich struk-turell von den meisten Anlagen unterscheiden. »Die Geometrie der Stadt wird mit dem Lauf der Natur verbunden.« Dazu gibt’s große Materialvielfalt und extrem innovative Ideen. Ist die Anlage fertig, wird sie eine der größten in ganz Deutschland sein. Carl ist schon jetzt sehr gespannt! Weitere Infos rund um Parkour in Gütersloh gibt’s unter www.parkour-guetersloh.de.

Fotos: Jessica Bochinski
Text: Sina Schäffer