Inselsommer

Mehr als ein halbes Jahrhundert lang war die Landzunge   zwischen der Dalke und und einer Umflut für die Mühle Avenstroth ein mystischer Ort. Gerüchte und geheimnisvolle Geschichten begleiteten das Treiben auf diesem verwunschenen Ort. Hin und wieder stiegen Voyeure auf alte Bäume, um einen Blick auf das Leben an diesem hermetisch abgeschlossenen Platz zu erhaschen. Nackte Männer und Frauen sollen dort in der Sonne liegen, hieß es. Der Priesnitz-Verein Gütersloh hatte sich auf der Dalkeinsel ein beschauliches Domizil mit Hausmeisterhäuschen, Umkleidekabinen und Ruheliegen eingerichtet, um den Leitsätzen seinen Namensgebers, einem wichtigen Wegbereiter der Naturheilbewegung des 19. Jahrhunderts, zu folgen.  

 

Als der Verein sich im Jahre 2000 auflöste übergab er das Areal der Stadt Gütersloh mit der Auflage, es in den Stadtpark zu integrieren, öffentlich nutzbar zu machen und einen neuen Ort zum Verweilen und zur stillen Erholung zu schaffen. Die »Insel mit den roten Liegen« entstand daraufhin im Jahre 2006 nach Vorschlägen des Förderkreises Stadtpark/Botanischer Garten und griff die historische Nutzung als Luftbad auf, interpretierte sie aber auf moderne Weise. Die stille Erholung stand und steht seitdem weiterhin im Vordergrund, vorsichtig wurde zusätzlich ein Kulturraum entwickelt, der die Stimmung der Umgebung aufgreift und den leisen Künsten zugewandt ist. 

Seit zehn Jahren organisiert der Verkehrsverein dort den Inselsommer. Im Vordergrund stehen ruhige, auch ambitionierte Aufführungen, die manchmal nur dort erlebt werden konnten. Theaterspiel, Lesungen und leise Konzerte sind seitdem gern besuchte Gelegenheiten, um einen lauen Sommerabend zwischen den alten Bäumen zu genießen. Mancher Gast brachte dazu sein Gläschen Rotwein mit oder nippte an der von der langjährigen Seele der Insel, Barbara Weidler, kredenzten Bowle. Inzwischen sorgt ein gut gefüllter Kühlschrank für das leibliche Wohl der Gäste. In diesem Jahr hat das Team des Verkehrsvereins drei Beiträge zur Aufführung vorbereitet. Davon ist eine nicht nur für kleine Kinder gedacht, erstmals beginnt eine Veranstaltung bereits um 16 Uhr, um ein Angebot für die ganze Familie zu schaffen. Am 8. Juli inszeniert Christine Ruis den  »Buchstabenfresser« nach einem Buch von Paul Maar. Eine Nachmittagsveranstaltung für die ganze Familie.

Die Schauspielerin, Stelzenläuferin, Theaterpädagogin und Regisseurin begann ihre Karriere im Erzähltheater. F.K. Wächter schrieb eigens für sie mehrere Stücke. Ihre Bühnenpräsenz und die Dichte ihrer Erzählkunst beeindrucken zutiefst. Der Autor Paul Maar vermisste – kurz nach dem Zweiten Weltkrieg – fesselnde und spannende Kinderbücher, so dass er sich kurzerhand hinsetzte und selbst welche verfasste. Bekannt geworden ist er mit mehreren Büchern über das Sams sowie seine Theatervorlagen für die Augsburger Puppenkiste. Den inzwischen siebten Inselslam gibt es am 22. Juli, 20 Uhr. Den »Highlander« des SlamGT, der den Gewinner zur Teilnahme an verschiedenen überregionalen Wettbewerben berechtigt, moderieren erstmals Niko Sioulis und Jonas Helmich. Sie werden bei dieser Gelegenheit auch den langjährigen Slammaster Micha-El Goehre verabschieden, der aus der Region verzogen ist und diese Veranstaltungsreihe deshalb in andere sehr geeignete Hände geben muss.

Mit »Vorwärts immer, rückwärts nimmer! – Die ultimative Ossi-Lesung« bringen Dominik Bartels, André  Bohnwagner und Jörg Schwedler satirische Geschichten über das Leben im ehemaligen Arbeiter- und Bauernstaat auf die Insel an der Dalke. Am 29. Juli, 20 Uhr verwandeln diese drei Literatur-Aktivisten den Veranstaltungsort in den VEB Literaturbetrieb, das Kombinat für Wortkunst oder in die LPG Satire. Die drei ostdeutschen Autoren zeigen, dass die DDR mehr zu bieten hatte als Broiler, Trabis und Spreewaldgurken. Sie nutzen ihre Reisefreiheit und bieten weit mehr als eine Ostalgie-Show: Ihr Vortrag ist ein augenzwinkernder Rückblick auf ihre Kindheit als Pionier, das Älterwerden im wilden Westen und auf die Absurditäten und Unsinnigkeiten im Alltag. Für empfindliche Nieren werden warme Decken vorgehalten, für empfindliche Haut steht ökologisch verträgliches Mückenspray bereit.

Ein Gastbeitrag von Wolfgang Hein