Zwei Mal bereits haben wir die Reise von Alex Schumacher und seinem Begleiter Thomas Krone in die Provinz Papua in West-Neuguinea thematisiert – und wie versprochen gibt es in dieser Ausgabe den Abschluss der kleinen Reihe, die für viel Aufmerksamkeit gesorgt hat. Wir haben vom Naturvolk der »Korowai« berichtet, das traditionell in Baumhäusern lebt. Und wir haben die beiden Reisenden ins Hochland begleitet, das ganz andere Einsichten und Erlebnisse zu bieten hatte. Fehlt also nur noch ein Trip ins »Paradies« – und genau den gab es am Ende der Reise vor gut einem Jahr. Im krassen Gegensatz dazu steht das Statement, das Alex Schumacher uns ebenfalls gerne mitgeben wollte. Es macht die Geschichte mit berechtigt kritischen Tönen rund, weshalb wir diesem sehr gerne den Platz einräumen. Auch diesmal berichtet Alex über die Erlebnisse aus seiner Sicht – viel Spaß beim Lesen!

»Nach dem Hochland-Trip waren wir wieder in Jayapura. Natürlich wollten wir die verbleibenden Tage in Papua nicht einfach verdameln, allerdings kann man hier rein gar nichts tun. So beschlossen wir, ins Raja Ampat Archipel zu fliegen, zu dem unser Guide aus dem Tief- und Hochland einen direkten Kontakt hatte. Mit dem Flugzeug ging es nach Sorong, dann per Fährüberfahrt nach Waisai. An Bord werden wir mit lautstarker Karaoke-Musik begrüßt, auf den Bildschirmen laufen die Texte. Als wir da sind, bringt uns ein Auto zu ›Macys Home-stay‹, alles in allem eine recht angenehme Unterkunft. Unser Guide im Archipel heißt Jos. Er hat hier ein Restaurant, das frischen Fisch anbietet. Am Abend werden wir von einem seiner Jungs mit einem blauen Roller abgeholt und werden einer nach dem anderem zu Jos’ Restaurant gebracht. Der Roller hat kein Licht, ich dafür auch keinen Helm. So ist es hier eben.

Am nächsten Morgen soll es um 7:00 Uhr Frühstück geben, schon um 7:50 Uhr kommt es dann – bestehend aus einer Frühlingsrolle, einem widerlich süßen Kuchen in Plastikverpackung und widerlich süßem Tee. Dann warten wir wieder, diesmal auf Benzin, bevor es ins Archipel geht.

Und genau hier finden wird es, das Paradies: Alle Formen und Farben von Korallen, Fischen und Schildkröten dürfen wir bewundern. Schnorchelnd kann ich sogar riesige Mantarochen unter mir im Wasser schweben sehen. Wir warten später am Tage auf die Flut, um mit dem Boot zu unserem Homestay hinüberzugelangen, einem kleinen Inselchen mit weißem Sand und ein paar exotischen Hütten. Einmal mehr glaube ich, mitten in einen David Lee Roth-Song geraten zu sein.

Wir sehen uns um: Hütten auf Stelzen, die sich wunderbar in die Landschaft einfügen, Baumstümpfe laden zum Sitzen ein. Hinter einigen spärlichen Büschen stehen zwei Hütten mit sanitären Einrichtungen, Dusche (Eimer mit Kelle) und den altbekannte Trittschale am Boden. Im linken Türchen rosa, im rechten blau – oder umgekehrt. Männlein wie Weiblein verschwindet dort, wo frei ist. Innen ist man ohnehin nur durch Bananenblätter voneinander getrennt. Jos macht uns gegrillten Thunfisch, dazu Pommes und vieles mehr, was bei den anderen Gästen Fressneid auslöst. Hier begegnen wir tatsächlich den ersten anderen Deutschen, die wir bislang in Papua getroffen haben.

 

Alle haben Riesenhunger von der Schnorchelei und dem Tauchen. Da lässt sich unser Gastgeber nicht lumpen, das muss man ihm lassen. Es folgt der verträumte Blick in die Sterne, mitten im Paradies.

Am nächsten Morgen gibt es Melone, Kaffee und Toast mit ungekühlter Margarine (argh!), ein Hund bettelt. Es geht wieder Schnorcheln, ich sehe eine Schildkröte und dann, früh am Morgen des 28. März 2016 – gerade im Wasser – meinen ersten Hai vis-à-vis! Irgendein archaisches System nimmt ihn sofort als solchen wahr, ein magischer Moment. Als er mich entdeckt, zischt er ab ins Blau. Wie ein Luftballon, den man aufbläst und dann loslässt. Momente einer Reise, die ich nie vergessen werde.Zurück in Sorong wollten wir abends essen gehen. Zur Auswahl stehen die Spezialitäten R2 (scharfes Schwein) und BW (Hund). Allerdings hatten wir noch ein wenig Zeit, bevor wir uns mit Jos treffen wollten. Wir gingen an der ›Promenade‹ entlang, um noch irgendwo einen Kaffee zu trinken und ich wollte mir noch eine Dose Cola holen. Ich weiß nicht einmal warum, irgendwie fügte ich mich völlig in das Klischee des westlichen Mannes. Überall standen kleine oder etwas größere Wägelchen mit zum Teil kleinen Tischchen davor und improvisierten Dächern aus Plane. An einem ging ich vorbei und dann nochmal zurück. Aber hier kein kleines Tischchen davor, darin zwei kleine Mädchen, höchstens zehn Jahre alt. Eine lag, die andere hatte nur noch Platz zum Sitzen in dem an der Seite geöffneten Hängerchen. Vorne sowas wie Maschendraht, innen hinter den Mädchen die Waren im Regal. Ich entschied mich dazu, meine Cola bei ihnen zu kaufen. Wir verstanden einander kaum, aber ein paar Zahlen konnten sie auf Englisch. 7000 indonesische Rupiah für eine Dose. Ich hatte nur 5000 klein, gab ihnen den Schein, suchte nach Kleingeld. Das missverstanden sie, ›Hey, Mister, 7000!‹. Ich gab etwas mehr Geld und bedeutete ihnen, den Rest zu behalten.

Die Szene geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Kein Erwachsener weit und breit und ich hoffte innerlich, dass die Mädchen auch zur Schule gehen. Ich ging später noch einmal vorbei und fragte nach, ob sie morgen zur Schule gehen, doch sie verstanden mich nicht. Ich sagte ihnen ›Geht morgen schön zur Schule!‹, vielleicht verstanden sie es ja doch. Hilflosigkeit. Nachdenklichkeit. Später fragte ich Jos, ob die Kinder hier zur Schule gehen. Er meinte lapidar: ›Einige ja, andere nicht‹.

So mischte sich in die Flut an positiven, aufregenden aber auch gefährlichen Erlebnissen unserer Reise zu den Korowai und in die anderen Gebiete in West-Neuguinea auch eine große Portion Nachdenklichkeit. Denn niemand weiß, wie lange die Lebensweisen der Naturvölker überhaupt noch erkennbar und erlebbar bleiben und dazu tragen wir auch passiv selbst bei. Doch vor allem die Missionen sowie die indonesische Regierung stülpen sich aus unterschiedlichen Motiven über die einheimische Kultur der Papua und das fast im völligen Abseits aller globalen Wahrnehmung. 2013 wurden aus der Bundesrepublik Deutschland Rüstungsgüter im Wert von 225 Millionen Euro nach Indonesien geliefert und die Bundesregierung hat keinerlei Kenntnis über die Verwendung selbiger. Kurz nach unserer Abreise aus Westpapua ging die Zahl der willkürlichen Verhaftungen wieder rasant in die Höhe. Wer weiß, was noch kommt. In Papua geschieht bis zum heutigen Tage Völkermord und eines Tages werden möglicherweise auch die faszinierenden Korowai diesem zum Opfer fallen. Da hab’ ich was dagegen – und allein deshalb war dies auch nicht meine letzte Reise nach West-Neuguinea!«

Fotos: Axel Schumacher und Thomas Krone
Text: Ben Hensdiek nach einer Vorlage von Alex Schumacher