Ein Thema liegt Carl immer wieder besonders am Herzen: das Leben von Menschen mit Behinderungen inmitten unserer Stadt und Gesellschaft. Und so sind wir auf Nina Kleinschmidt aufmerksam geworden – ein fröhliches zwölfjähriges Mädchen voller Energie und Lebenslust. Nina kam am 4. Oktober 2001 mit einer Trisomie 21, dem Down-Syndrom zur Welt. Aber auch, wenn ihre körperlichen und geistigen Besonderheiten ein Leben lang bleiben werden und ihre Entwicklung beeinträchtigen, unterscheiden sich ihre Interessen kaum von denen gleichaltriger Mädchen. Wir haben sie zuhause besucht und einen Einblick in ihren Alltag sowie gelebte Inklusion bekommen – und dabei eine wunderbare Persönlichkeit kennengelernt.

Für ihre Eltern, Nicole und Ralf Kleinschmidt, war es von Geburt an wichtig, mit Nina einen »ganz normalen« Alltag zu leben. Die Familie möchte, dass ihre Tochter nicht zuerst aufgrund ihrer Behinderung, sondern eben als junges Mädchen mit eigenen Talenten und Interessen wahrgenommen wird. Die Einladung an uns, verbunden mit einem klaren Schritt in die Öffentlichkeit, ist ein kleiner Teil dieses Wunsches. Nur durch Aufmerksamkeit für Menschen mit Down Syndrom oder anderen Beeinträchtigungen werden diese nachhaltig in einer Gesellschaft ankommen, in der Vielfalt nicht als Problem, sondern als Gewinn gesehen wird.

Wir lassen uns also gerne auf den Besuch ein und möchten Nina in ihrem bekannten Umfeld kennenlernen. Mutter Nicole Kleinschmidt zeigt uns die kreative Seite in Form eines besonders gelungenen Bildes, das die heute Zwölfjährige schon während ihrer Zeit in der Grundschule am Bühlbusch gemalt hat – die »Maus« aus der Sendung mit der Maus. Malen gehört auch heute noch zu den Leidenschaften des jungen Teenagers, ihr Interesse hat sich jedoch zwischenzeitlich mehr auf das Bemalen von Handtaschen verlagert. Das gelingt ihr beein-druckend genau und sorgfältig, wie einige schöne Stücke zeigen.

Ebenso typisch für Mädchen in ihrem Alter ist die Liebe zu Pferden. Durch das therapeutische Reiten, das Nina seit Jahren wahrnimmt, kann sie einem ihrer Lieblingshobbys nachgehen und gleichzeitig den Kontakt zu den einfühlsamen Tieren pflegen. Aber nicht nur das Reiten begeistert die Schülerin sportlich, sondern auch der regelmäßige Besuch im Fitness-Studio. Eine Bewegungsfreudigkeit, von der im Alltag gleich die ganze Familie profitiert: In ihrer Freizeit unternehmen die Kleinschmidts gerne längere Fahrradausflüge mit dem Tandem, gemeinsame Zoobesuche oder Wochenendtrips – am liebsten in die schöne Bundeshauptstadt Berlin.

 

Reisen gehört ebenso zu den Lieblingsbeschäftigungen des lebenslustigen Mädchens, wie gemeinsame Treffen mit Freunden. Viel beschäftigt hat die Familie – wie jede andere Familie auch – der Wechsel von der Grundschule zu einer weiterführenden Schule. Denn trotz inklusiver Ansätze fehlt es an den meisten Schulen nach wie vor an wirklich angemessenen und bedarfs-gerechten Rahmenbedingungen für Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen. Das unter allen Umständen einzufordern, scheint auf den ersten Blick gut und richtig – allein die Menschen, um die es eigentlich geht, bleiben dann auf der Strecke. So fiel die Wahl von Nicole und Ralf Kleinschmidt schließlich bewusst auf die Wiesenschule in Rietberg, die als Schule des Kreises Gütersloh ihren Förderschwerpunkt auf die geistige Entwicklung der Schülerinnen und Schüler legt.

Der Ansatz macht deutlich, dass sich Förderschule und Inklusion nicht ausschließen. Ganz im Gegenteil: Die Wiesenschule ist – anders als die meisten Regelschulen – konzeptionell auf die individuellen Förderbedürfnisse ihrer Schüler ausgerichtet. Gleichzeitig stellt sie sich den Ansprüchen einer sich inklusiv entwickelnden Bildungslandschaft. Am Ende profitieren die jungen Menschen von der bestmöglichen Förderung und Forderung, von Erfolgserlebnissen in altersgemischten Gruppen und von hundertprozentiger Akzeptanz. »Wir haben jeden Tag die Gewissheit, dass Nina in der Wiesenschule gut aufgehoben und glücklich ist«, berichtet Nicole Kleinschmidt und weiß, dass das auch heute keine Selbstverständlichkeit ist. »Das positive Umfeld wirkt sich auch auf die Entwicklung und die Fähigkeiten von Nina aus – und das ist für uns das Wichtigste«, ergänzt sie.

Die Zukunftsvisionen des jungen Teenagers unterscheiden sich kaum von denen Gleichaltriger. Nina wünscht sich ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben. Natürlich angepasst an die individuellen Möglichkeiten – in einer Wohngemeinschaft, einem Mehrgenerationenhaus und vielleicht mit einem Partner an der Seite. Wie sie und die Gesellschaft sich entwickeln, bleibt mit Spannung abzuwarten. Für diesen Moment bedanken wir uns für den Einblick in das »besonders normale« Leben von Nina und ihrer Familie – wir kommen gerne wieder!

Fotos: Magazin Carl
Text: Petra Heitmann