Schrift begegnet uns überall: Beim Lesen des Carl, eines eBooks oder des Navis im Auto konzentrieren wir uns auf den Inhalt, ohne Buchstaben und Zeichen bewusst wahrzunehmen. Schrift transportiert in erster Linie Inhalte – und doch können Buchstaben visuelle Zeichen sein. So gehen auch unsere Grafikerinnen und Grafiker davon aus, dass die Wahl der Schrift den Charakter unseres Magazins und damit einen wesentlichen Teil seiner Aussage mit-gestaltet.
In der Blessenstätte am Rande der Gütersloher Innenstadt gibt es mit der »Holzpixel«-Werkstatt von Manfred Makowski seit wenigen Wochen in Teilen der ehemaligen Kfz-Werkstatt Schmidt-Hentze einen kreativen Workspace mit Showroom und Schaufenster, der sich ebenfalls der Typografie widmet. »Das ist ein ernsthaftes Angebot an alle, das Kulturgut ‚Drucken‘ live zu erleben und keine blinde, vorromantische Nostalgie«, erläutert der mutige Gründer. Denn Formen für den Hochdruck werden auch digital hergestellt. Und digitale Entwürfe lassen sich analog umsetzen – mit fließenden Übergängen von Gebrauchsgrafik zu Kunst. Im »Holzpixel«-Werkraum kann das alles ausprobiert und bestenfalls bis zur Perfektion umgesetzt werden.
Was sich daraus entwickeln kann, präsentierte der Schweizer Gestalter Dafi Kühne bei der Eröffnung dieses Kulturortes. Kühne ist wie Makowski auch Sammler alter Druckmaschinen und arbeitet mit analogen und digitalen Mitteln, um frische und einzigartige Plakate herzustellen. Mit unterschiedlichen Werkzeugen – vom Computer bis zum Pantographen – verschieben seine Kompositionen die Grenzen der Gestaltung. Ohne Angst vor schmutzigen Händen integriert er in seiner Werkstatt den gesamten Schaffensprozess von der ersten Idee bis zum fertigen Produkt, etwa eines Plakates. Er verbindet dabei moderne Mittel mit der Jahrhunderte alten Tradition des Buchdrucks und schafft mittels Typografie und Form ein neues Vokabular zeitgenössischer Kommunikation. Seine Arbeiten sind nicht »retro« und finden kluge Antworten auf der Suche nach neuen Wegen des künstlerischen Ausdrucks: echte Druckgrafik.
Bis zum 6. Mai hängen seine Exponate noch am »Blessenend« im »Holzpixel«-Refugium und können während üblicher Geschäftszeiten, auf Wunsch auch nach persönlicher Anmeldung, betrachtet und diskutiert werden. Kühne stellte anlässlich der Eröffnung auch sein aktuelles Buch vor. In »TRUE PRINT« zeigt er auf 156 Seiten außergewöhnliche Möglichkeiten, wie mit hölzernen Lettern zeitgemäße Kunst erschaffen werden kann. Zur Einführung in die Arbeitsweise Kühnes war auch ein weiterer Experte angereist: Prof. Dr. Wolfgang Schepers, Vorstand der Gesellschaft für Designgeschichte in Krefeld, ordnete dessen Arbeiten anschaulich ein. »Das Hochdruckverfahren ist das älteste Druckverfahren und wurde bis in die 70er Jahre genutzt, bis es zunächst vom Offsetdruck und dann vom Digitaldruck abgelöst wurde. Es war über die Jahrhunderte das wichtigste Verfahren zur Herstellung von Büchern«, weiß er zu berichten. Er erinnerte angesichts des Lutherjahres auch an die Erfindung der beweglichen, »setzbaren« Buchstaben durch Gutenberg. »Das war damals ähnlich revolutionär wie die Digitalisierung in der Heutezeit«, lautete die zentrale These seines Vortrags, durch den sich anschließend wie ein roter Faden die gedankliche Auseinandersetzung mit der industriellen Entwicklung zog.
Dem Dessauer Bauhaus gebühre der besondere Verdienst, so der Referent, den Blick auf die handwerklichen Fähigkeiten und deren industrielle Verwertung zu richten. »Wohin führt die Entwertung der Materie durch ihre Behandlung mit der Maschine, durch Surrogate für sie und noch so viele Erfindungen? Ich meine natürlich nicht ihre Entwertung im Preise, sondern in der Bedeutung, in der Idee«, verweist er auf das Bauhaus-Manifest von 1919. Kunst von der Industrialisierung zu emanzipieren und auch das Kunsthandwerk wieder zu beleben, das sei gerade heute eine wichtige Aufgabe, der sich auch Manfred Makowski mit seinem Projekt an der Blessenstätte pionierhaft stelle.
Gut zweihundert Gäste kamen zur Werkstatt-Eröffnung. »Damit bin ich wohl im Kreis derer angekommen, die sich mit der Bewahrung alter Handwerkstraditionen beschäftigen«, freute sich Makowski. Mutmachende Gespräche mit Senioren aus der Druck- und Medienbranche sowie mit aktiven und ehemaligen Kunstlehrern und Pädagogen unterstrichen an diesem Abend die Bedeutung seines Vorhabens, das in der heimischen Druckindustrie ebenfalls aufmerksam verfolgt wird: Schon binnen weniger Tage nach seiner Eröffnung gingen Anfragen verschiedener Bertelsmann-Firmen ein, die ihren Azubis die inzwischen historischen Techniken näherbringen wollen. Außerdem haben sich Besuchergruppen von der VHS Reckenberg-Ems, der Fachhochschule Münster und von Studenten der Hochschule der Künste Saarbrücken in Gütersloh angemeldet.
Auch wenn die Vorbereitung der vielen Besuche vollste Konzentration erfordert blickt Manfred Makowski weiter voraus. Er liebäugelt mit einem neuen Fest für die Dalkestadt: »Gütersloh Wayzgoose« – ein Buchdruck- und Künstlerfestival in der Blessenstätte. Im Herbst soll es soweit sein. Ein Wayzgoose war traditionell eine jährliche Veranstaltung, organisiert von einem Druckermeister für seine Werkstatt. Es feiert das Ende des Sommers und den Anfang der Saison, in der man bei Kerzenlicht arbeiten musste. Später wurde der Begriff verwendet, um einen jährlichen Betriebsausflug oder eine Feier für die Angestellten von Zeitungsdruckereien auszurichten. Makowski konzipiert sein »Gütersloh Wayzgoose« als Fest der Druckkunst, bei dem internationale Experten nach dem Vorbild der »Letterpress Guild of New England« Vorträge und Workshops zu modernen und klassischen Druckverfahren anbieten.
Seinem mutigen Impuls, durch Ausstellungen und regelmäßigen fachlichen Austausch für eine große Idee zu werben, werden also bedeutungsvolle Ereignisse folgen. Manfred Makowski bietet in seinem Workspace eine vielfache Schnittstelle zwischen Bürgern, Designern und Industrie, ist aber auch interkulturell aufgestellt. Viele persönliche Verbindungen in die True-Type-Szene – von Australien bis Russland – lassen auf einen regen Betrieb hoffen.
Travelling artists are welcome.
Fotos: Ydo Sol
Text: Wolfgang Hein