Gütersloh und seine Geschichte – ein Spannungsfeld aus Unwissenheit und Desinteresse, kollektivem Minderwertigkeitskomplex und schlechter Vermittlung? Es sind wohl eher Sätze wie dieser, die das Verhältnis zu unserer Stadt etwas sperrig gestalten. Die gefühlte Wahrheit: »Wir sind ja nichts«. Zu jung, zu unbedeutend, zu langweilig. Und wenn man zwischen Quasi-Großstadt und Kaf f auslotet, gewinnt immer das Kleinste. Carl findet, dass das auch anders geht – und erhebt Stadtgeschichte zum Lifestyle. Wir werden uns in diesem Jahr auf die Suche nach Schlüsselreizen machen, die Geschichte für jedermann spannend machen. Eine Spurensuche, die im Umfeld des Magazins und sicher auch im einen oder anderen Filmbeitrag kurz und kernig, erzählend und interessant aufbereitet wird. Und das aus möglichst vielen Blickwinkeln. Menschen, Motive und Meinungen aus der Carl-Perspektive.

Ein echter Profi auf dem Gebiet der Geschichtsvermittlung ist Dr. Rolf Westheider, der nicht nur scheidender Museumsleiter des Stadtmuseums ist, sondern in erster Linie auch ein guter Erzähler und Pädagoge. Gemeinsam mit ihm haben wir nur eine gute Stunde Zeit gebraucht, um die Kernthemen moderner Geschichtsvermittlung aufs Papier zu bringen. Deutlich länger braucht natürlich das, was wir daraus entstehen lassen möchten.

Denn für die »Generation Headlineleser« braucht es eine deutliche Verdichtung der Themen zu kleinen Wissenshappen. Informationen, die interessieren, aber nicht zeitraubend sein dürfen also. Bildlich aufbereitet, crossmedial vernetzt und verlässlich abrufbar. Mit viel Fleiß eine absolut lösbare Aufgabe, wie wir finden.

Und so werden wir in den kommenden Monaten vielfältig erfahren, warum man sich doch für die junge Geschichte der Stadt interessieren darf und sollte, welche fast vergessenen Highlights vor allem das letzte Jahrhundert zu bieten hatte und warum man die Liebe zu Gütersloh auch durchaus offensiv nach außen tragen kann.

Spannend und tragisch zugleich ist das auch, weil Wandel in Gütersloh immer schnell vollzogen wurde – zum Leidwesen der Historiker, Archivare und vieler Bürger. Ob Wirus, Paul-Thöne-Halle oder auch das ebenfalls aus dem Stadtbild verschwundene Hallenbad an der Herzebrocker Straße: Sobald der Nutzen der Gebäude verfällt, weichen die Mauern schnell neuen Bauten und Projekten. Auf diese Art aber erzählen auch Orte teils mehrere Geschichten, die es zu entdecken gilt. Wir freuen uns drauf!

Ein guter Sparringspartner für den Blick zurück ist Norbert Jebramcik. Der Gütersloher widmet sich in seiner Freizeit einem ganz besonderen Hobby – und erzählt auf seine eigene spannende Art und Weise die Geschichte der Stadt Gütersloh nach.

 

Die Hauptdarsteller: liebevoll und sehr detailgetreu nachgestellte Häuser aus Pappe, Holz und Kleber. Die Zeit: Gütersloh um 1900. So wird das lebendig, von dem viel zu viel dem Abrissbagger zum Opfer gefallen ist. Bereits vor zwei Jahren haben wir den Bastler zu Hause in seinem Arbeitskeller besucht und ihm über die Schulter geschaut. Das werden wir für CarlHistory nun immer wieder einmal tun, um historische Ansichten in originalgetreuer Ansicht als Fotomotive zu bekommen und Geschichte so noch erlebbarer zu machen.

Den Ausschlag, dem außergewöhnlichen Hobby intensiv nachzugehen, gab ein Urlaub in Rothenburg. Eine Stadt, die natürlich einiges mehr zu zeigen hat als Gütersloh, wenn man mit dem alten Klischee hausieren gehen möchte. Aber Norbert Jebramcik ist das genauso wie Carl unterwegs: Er sieht auch in seiner Heimatstadt das Schöne. So entstand die Idee, den alten Gütersloher Kirchplatz nachzubauen. Passend zur Modelleisenbahn im Maßstab 1:87. Ausgestellt wurden die Gebäude erstmals im Rahmen einer Ausstellung zu den Hobbys der Mitarbeiter eines Gütersloher Unternehmens – verbunden mit vielen Anfragen, ob das nicht ein Thema für das hiesige Stadtmuseum wäre.

Dort wurde das Modell des Kirchplatzes dann auch anlässlich des Jubiläums »175 Jahre Stadtrechte Gütersloh« ausgestellt. Im Jahr 1998 wurde die erste Dauerausstellung seiner Werke im Turm der ebenfalls nachgebauten Apostelkirche eröffnet, wo die Häuser auch heute stehen und den Platzbedarf im eigenen Keller etwas entspannen.

Angespornt vom Interesse der Öffentlichkeit, ging es in den folgenden Jahren kontinuierlich weiter. Über Kontakte zu Heinrich Lakämper-Lührs und Stadtarchivar Stephan Grimm konnte ein fundiertes Wissen über die damaligen Gebäude und deren Umgebung aufgebaut werden. »Die Recherche zum damaligen Zustand der Straßenzüge nimmt in etwa 50 Prozent der Arbeit ein«, erzählt Jebramcik. Alte Fotos auszuwerten, sich ein möglichst genaues und naturgetreues Bild von Häusern und Details zu machen und maßstabsgetreu nachzubilden ist ein durchaus komplexer Prozess, den der Gütersloher mittlerweile bestens beherrscht.

Zurzeit beschäftigt sich Norbert Jebramcik intensiv mit dem Nachbau der Münsterstraße, die mit ihren zahlreichen Brennereien um das Jahr 1900 viele spannende Geschichten zu erzählen hat. Bei unserem Besuch durften wir bereits die vielen Rohbauten bestaunen, die nun nach und nach verfeinert werden. Wenn es gut läuft soll der Straßenzug in zwei Jahren fertig sein und den Innenstadt-Ring »Gütersloh um das Jahr 1900« schließen. Bis dahin werden wir gemeinsam noch einige Geschichten finden, erzählen und bildlich zeigen können.

Fotos: Sven Grochholski
Text: Ben Hensdiek