Farm house JAZZ

 

Auf Platz eins der deutschen Hitparade steht Manuela mit »Schuld war nur der Bossa Nova.« Der Jazz fristet in Deutschland ein Schattendasein – genau wie 50 Jahre später. Doch sieben junge Männer aus Harsewinkel und Versmold haben eine Mission: Sie wollen den Jazz als Kulturgut bekannter machen und unterzeichnen am 29. Juni 1963 ein Satzungspapier. Der Farmhouse Jazzclub ist geboren. Doch hätten die Herrschaften damit rechnen können, Jazzgeschichte zu schreiben?

So beginnt die Jubiläumschronik von Max Oestersötebier mit dem wunderbaren Titel »Bei Erbsensuppe und Fencheltee«, veröffentlich anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Farmhouse Jazzclubs Harsewinkel im Jahr 2013. Und in der Tat blickt der Club, der wie eh und je im 14-tägigen Rhythmus hervorragende regionale und internationale Bands aller jazzverwandten Stilrichtungen präsentiert, auf eine bewegte Geschichte zurück. Jede musikalische Mode hat er überlebt. Und kaum eine Spielstätte des Jazz in Europa kann 53 Jahre Existenz an einem Stück vorweisen, ohne dass ein Ende absehbar wäre. Trotz familienfreundlicher Eintritts- und Getränkepreise kann der Club den Bands faire Gagen zahlen und gilt sogar als der reichste Jazzclub Deutschlands, da ihm das idyllisch gelegene Clubhaus gehört. Die besondere Gemeinschaft aus Mitgliedern, Besuchern und Musikern haben den Erwerb der Liegenschaft ermöglicht, als der Club 1993 vor dem Aus stand, da der Pachtvertrag nicht verlängert wurde.

Was einen Jazzclub wie das Farmhouse auch so einzigartig macht, sind die vielen Geschichten und Anekdoten rund um die Konzerte, die über die Jahrzehnte einen reichen Schatz an Erinnerungskultur anhäufen. Viele dieser Geschichten findet man in Max Oestersötebiers Chronik, die bei Veranstaltungen im Jazzclub erhältlich ist. Einen kleinen Vorgeschmack aus dem Kapitel »Kalter Krieg, Kopfschmerzmusik und lebende Schellackplatten« möchte Carl hier präsentieren: 

Zur Zeit des »Ost-West-Konflikts« konnte der Club einmal die »Hagaw Association« aus Warschau verpflichten, eine der damals bekanntesten polnischen Jazzbands. Da die Gagenforderungen einer solch bekannten Band natürlich recht hoch waren, mussten die Musiker privat bei den Clubmitgliedern untergebracht werden. Bandmanager Krystian Brodacki, der ein wenig Deutsch sprach, übernachtete bei Club-Präsident Jochen Belz. Als Gastgeschenk holte Brodacki eine halbe Flasche Wodka aus 
dem Mantel, die auch umgehend geleert wurde. »Wir sprachen über die Ost-West-Politik«, erinnert sich Belz. »Und je leerer die Flasche wurde, um so mehr waren wir einer Meinung.« Die Musiker wurden nach einem besonderen System aufgeteilt: Es musste immer ein »Linientreuer« mit einem »Fluchtverdächtigen« gemeinsam untergebracht werden. Solch ein Paar wurde auch von Club-Gründungsmitglied Werner Stricker beherbergt, dem nachgesagt wird, schon immer ein wenig liberaler gewesen zu sein, weswegen auf seinem Couchtisch auch eine Ausgabe der »St.-Pauli-Nachrichten« lag. 

Einer der Musiker konnte seine Blicke nicht von dem Magazin abwenden, doch der Linientreue bewachte dessen Verhalten mit Argusaugen. Irgendwann konnte sich der eine nicht mehr beherrschen und rannte mit dem Magazin zur Toilette. Dabei stand dann der andere brav Wache an der Tür. So ist die Geschichte überliefert, so erzählt man sie sich gerne. Der Club bekam ein fantastisches Konzert von europäischen Spitzenmusikern und ein paar lustige Anekdoten; und einer der Musiker war danach ganz besonders glücklich... 

Ein anderer Star der Jazzszene kam im Mai 1980 in den Club und bereitete mehr Kopfschmerzen als Glück: Gunter Hampel, Bundesverdienstkreuzträger, deutscher Jazzpreisträger und zwei Jahre zuvor erst vom »Down Beat Magazine« zum »Rising Star« des Vibraphons gekürt. Mit seiner »Galaxy Dream Band« sorgte er gerade in seiner Wahlheimat New York für Furore und das Gastspiel im Club war eine kleine Sensation. Jochen Belz weiß noch immer, wie er trotz des erwartet großen Zuschauerandrangs überrascht war: »Als ich zum Club fuhr, kam ich vor lauter Menschen kaum auf den Parkplatz. Da wurde mir klar, dass wir gar nicht genug Grillwürstchen hatten. Ich bin also wieder umgedreht und habe noch schnell für Nachschub gesorgt.« Doch die Musik Gunter Hampels war offenbar zu viel des Guten für die ostwestfälischen Ohren. Auch wenn seine Free-Jazz-Tage zu dem Zeitpunkt schon wieder vorbei waren, stellte sich das Programm als zu experimentell dar. »Als ich wieder zurück war, kamen mir schon die flüchtenden Leute entgegen. Die wenigsten haben das erste Set geschafft. Die Würstchen hätte ich gar nicht zu holen brauchen.« Misserfolge wie das Gunter-Hampel-Konzert bilden zum Glück die Ausnahme in der Clubgeschichte.

Für die Ewigkeit festgehalten wurden im Farmhouse Jazzclub auch zahlreiche Konzerte, die später auf Platte oder CD herausgebracht wurden. Erst im Dezember nutze die Ur-Gütersloher »BarFly«-Band um Gerry Spooner die Räumlichkeiten für zwei Konzerte mit gleichzeitigen Mitschnitten für eine CD. Ein Teil der Bilder, die wir hier genutzt haben, ist im Rahmen dieser Sessions entstanden. Und sie zeigen: authentischer als hier kann Album gar nicht entstehen. Wer das Flair des Clubs bislang nicht erleben durfte, dem sei ein Besuch bei einem der nächsten Konzerte unbedingt empfohlen!  

Farmhouse Jazzclub Harsewinkel e.V.

Vorbruchstraße 29
33428 Harsewinkel
Web: www.farmhouse-jazzclub.de

 

⋅ max/ben