Die meisten von uns kennen das alte Flughafengelände an der B513 – zumindest vom Vorbeifahren. Hier waren bis 2016 noch die Briten stationiert. Familien haben auf dem Gelände gelebt. Es gab einen Supermarkt, Kirche, Sparkasse, Reisebüro und soziale Einrichtungen. Jetzt ist auf dem 308 Hektar großen Areal zwischen Herzebrock, Harsewinkel und Gütersloh Ruhe eingekehrt. Die Briten sind abgezogen und die Wohnhäuser, Bunker und Hallen liegen weitgehend geheimnisvoll und still im Grünen. Ganz still? Nein, nicht ganz, denn die Weiten des Areals mit den gutbefestigten Straßen sind perfekt für Fahrmanöver und bieten jede Menge Platz zum Beschleunigen, Bremsen und kontrollierten Driften und Rutschen. Die Verkehrswacht ist geblieben und führt hier zwischen Bunkern, Flugzeugtower und geheimnisvollen Gebäuden Fahrsicherheitstrainings durch. Wir berichten euch was da passiert und warum es sich lohnt teilzunehmen! Bitte anschnallen!

Als wir die Sicherheitskontrollen passieren und uns unseren Weg durch die vielen verzweigten Straßen, neuen und alten Gebäude bahnen, ist das Fahrsicherheitstraining der Verkehrswacht bereits im vollen Gange. Wir parken, nähern uns der Menschentraube und fühlen uns zurückversetzt in unsere Fahrschulzeit: »Wenn ihr 30 Stundenkilometer draufhabt, wie lange braucht ihr, bis ihr mit dem Fuß das Bremspedal erreicht?« Trainer Dirk Meier läuft unter den Augen seiner Schü-
ler 9 Meter ab, markiert die Strecke, mit einer Pylone. »Euer Auto steht jetzt noch nicht. Wieviel Meter braucht ihr, um zu stehen?« Wie war das nochmal? Reaktionsweg + Bremsweg = Anhalteweg? Genau.

Heute findet ein vierstündiges Training statt, an dem sechs Personen mit eigenen Autos oder Firmenwagen teilnehmen. Eine bunt zusammengewürfelte, gut gelaunte Gruppe. Für die Sechs hat das Training schon um neun Uhr im neuen Schulungsgebäude mit einer kleinen Vorstellungsrunde, Kaffee und ein bisschen Theorie begonnen. Dann ging es auf den mit Pylonen gesäumten Zubringer der ehemaligen Start- und Landebahn, zum Slalom. Dabei geht es nicht vorrangig darum, die Pylonen zu verschonen, sondern um etwas viel Grundlegenderes: Wie sitze ich eigentlich im Auto? Und wie lenke ich? Scheinbar triviale Dinge, die in einer echten Gefahrensituation von großer Bedeutung sind. In mehreren Durchgängen haben alle Teilnehmer schnell gemerkt, was die richtige Armstellung und Blickführung ausmacht.

Dann geht es vom Lenken zum Bremsen. Nach Schätzaufgaben und einer kleinen humorvollen Wiederholung der Termini und Formeln dürfen die Teilnehmer wieder hinters Steuer. Die Aufgabe: Eine Vollbremsung. Erst aus 30, dann aus 50 zuletzt aus 70 Stundenkilometern. Der unglaubliche lange Zubringer ist perfekt, um hier ordentlich auf Geschwindigkeit zu kommen. Die Teilnehmer stellen sich mit ihren Autos in Entfernung auf und warten auf den Befehl: »Und jetzt der Polo«, spricht Dirk Meier ins Walkie-Talkie. Der Polo beginnt in der Ferne zu beschleunigen, hält die Geschwindigkeit geht an der vereinbarten Torlinie in die Bremse und bringt das Auto nach 25 Metern zumStehen. »Wichtig ist hier, dass die Teilnehmer einen richtigen Hammerschlag auf die Bremse geben«, erklärt er uns.

 

Wir sehen das Warnblinklicht des Polos leuchten und erfahren auch sogleich was los ist: Bei einer Vollbremsung zwischen 70 und 80 Stundenkilometern springt das adaptive Bremslicht an, bei neueren Modellen auch die Warnblinkanlage. Das wussten wir auch noch nicht! Für die nächste Aufgabe gibt es einen Untergrundwechsel. Jeder kennt die weißen Markierungen auf dem Asphalt. Auf dem Kasernengelände gibt es eine große 40x10 Meter lange Fläche davon, die mithilfe mehrerer Sprinkler in eine richtige »Rutschbahn« verwandelt wird, die einem schneebedeckten Untergrund gleicht. Wir versammeln uns vor der weißen Fläche. Wie lang war der Bremsweg noch bei 30 Stundenkilometer auf trockener Fahrbahn? Klar, der Bremsweg fällt hier nochmal länger aus. Und das beweisen auch gleich die ersten Fahrer. Bei jedem Fahrzeug wird beim Bremsen auf der Gleitfläche außerdem das Antiblockiersystem getestet, und beim Anfahren, ob ASR vorhanden ist. Die Teilnehmer üben auf der Rutschfläche ihr schleuderndes Auto abzufangen und bekommen ein Gefühl dafür, wie ihr Fahrzeug auf verschiedenen Untergründen reagiert. »Und nochmal zwei Km/h schneller«, hören wir Dirk Meier, ins Walkie-Talkie sprechen. Jeder Teilnehmer soll sich hier an die richtige Geschwindigkeit für eine Zielbremsung herantasten, bevor es ans eigentliche Ausweichmanöver geht.

Jede Menge Praxis und ein bisschen Theorie für den Fall der Fälle: Das ist das, was tagtäglich auf dem ehemaligen Militärareal stattfindet. Dabei ist die Verkehrswacht eng mit der Geschichte des Flugplatzes verbunden, denn schon seit 1999 finden auf einem Teil des riesigen Geländes verschiedene Fahrsicherheitstrainings statt. Sowohl Trainings für junge Fahrer, als auch für Senioren. Trainings für Lastkraftwagenfahrer, Motorradfahrer und auch für die Fahrer von Sonderfahrzeugen, wie der Feuerwehr. Von Pia Coulthard, die ebenfalls Trainerin bei der Verkehrswacht ist, erfahren wir, dass alle Trainings nach den Richtlinien des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR) durchgeführt werden: »Je nach Personengruppe, individuellen Bedürfnissen und Fahrzeug variiert der Trainingsaufbau. Es geht aber immer um Lenken, Bremsen oder die Kombination von Beidem.« So trainieren die Fahrer präzises und schnelles Reagieren und schärfen ihr Bewusstsein für Gefahren und kritische Situationen.

Was 1999 mit zehn Kursen im Jahr und wohlwollender Unterstützung der Briten angefangen hat, hat sich zu etwas richtig Großem entwickelt. Heute finden pro Jahr circa 200 Trainings statt. mit rund 2000 Teilnehmern. Schon von Anfang an fühlt sich die Verkehrswacht auf dem Gelände einfach pudelwohl. Vor Kurzem ist die Organisation in eines der leerstehenden Gebäude eingezogen, indem alle Aktivitäten gebündelt werden können und das zudem direkt an der Trainingsstrecke liegt. Hat sich denn was geändert, jetzt wo die Briten nicht mehr da sind? »Viel hat sich für uns nicht geändert. Es ist hier ein wenig ruhiger geworden« sagt Pia Coulthard und lacht. Wir kehren nach einem spannenden Tag wieder in die Redaktion zurück und sind uns einig: Ein Fahrsicherheitstraining bedeutet nicht nur mehr über seine persönlichen Grenzen und die Gesetze der Physik zu erfahren, sondern auch jede Menge Spaß!

Fotos: Matthias Kirchhoff
Text: Charline Belke