Tag für Tag steht er dort, in der linken Hand einen schweren Stock. Die Rechte zur Hutkrempe erhoben, an der Stirn angewinkelt, hält er Ausschau und scheint seinen Blick vor Sonne, Wind und Wetter zu schützen. Aber wer ist eigentlich der bärtige Mann mit dem Mantel? Und weshalb »kiekt« er seit mehr als 50 Jahren vom Harsewinkeler Rathausplatz in die Ferne? Der »Spökenkieker« hält nicht unbedingt Ausschau. Er war ein »Kieker«, also ein Seher, der schlimme Ereignisse in der Zukunft voraus sah. Allgemein wurden so in Westfalen, aber auch im Münsterland und Emsland Menschen bezeichnet, denen diese Fähigkeit nachgesagt wurde. Aus Weser-Sandstein geschlagen und mehr als menschengroß, soll unser Spökenkieker-Denkmal an diese »Geister-Seher« erinnern.

Das Denkmal wurde als einziges seiner Art von dem Wiedenbrücker Bildhauer Hubert Hartmann erschaffen und erhielt seinen Platz vor dem damals neuen Rathaus am 27. November 1962. Ein kalter und nasser Tag, an dem ein tiefhängender, nebliger Himmel über Harsewinkel lag.

 

Ein Wetter, das von so manch einem als richtiges »Spökenkieker-Wetter« bezeichnet wurde. Auch in Harsewinkel ranken sich viele Geschichten um einen Mann, der Leid und Unheil voraussah. Denn bei der Übergabe erweckte das Denkmal gerade bei den älteren Herrschaften und den anwesenden Schulklassen Erinnerungen an den alten »Stümpel«. Einen Tagelöhner, der von 1830 bis 1904 lebte und mit bürgerlichem Namen Anton Westermeier hieß. Während die Menschen schlafen, zieht es ihn hinaus auf die Straßen. Dorthin, wo er ein Ereignis greifbar nah sieht. Eines Nachts erscheint ihm an unserem alten Güterbahnhof ein Zug, obwohl zu der Zeit überhaupt noch gar keine Schienen durch unsere Stadt verliefen. Er prophezeit den Bau der Eisenbahnlinie, aber nicht nur das: Auch mehrere Hofbrände und den Bau eines Friedhofs, auf dem als allererstes ein Kind Ruhe finden wird, sieht er kommen. Zu guter Letzt kündigt »Stümpel« seinen eigenen Tod an. Im Herbst 1903 kommt er zurück in sein Haus und bemerkt: »Dat waß miene leßte Kaore Grön; mienen Sarg steiht de all.« [Das war meine letzte Karre Grün; mein Sarg steht da schon.] Ein paar Monate später stirbt er.

Text: Charline Belke
Fotos: Jessica Bochinski