Es ist Mittwochnachmittag, als wir uns auf den Weg zu einem ganz besonderen Ort an der Stadtgrenze zwischen Gütersloh und Marienfeld machen. Geschichtsträchtig und von vielen Mythen umgegeben, wagte man jahrzehntelang maximal einen kurzen Blick aus dem Fenster, um dann auf der B513 am streng bewachten Entree der Royal Air Force, später Princess Royal Barracks benannt, vorbeizufahren. Diese Zeiten sind längst vorbei. Seit 2016 liegt das alte Flughafengelände nun brach, aber so einfach kann man sich dort natürlich nicht umschauen. Wir müssen uns erst einmal ordnungsgemäß anmelden und registrieren, bevor wir einen Blick auf den Tower, die Flugzeugshelter, leerstehende Unterkünfte und riesige naturgeschützte Flächen werfen dürfen. Carl hat bei seinem Besuch im Juni nicht nur aktuelle Impressionen eingefangen, sondern zudem beeindruckende historische Aufnahmen mitgebracht.
Insgesamt umfasst das Flugplatzgelände rund 380 Hektar. Allein die ehemalige Start- und Landebahn ist 2252 Meter lang und 46 Meter breit. Für eine Truppenverlegung landete dort 1984 sogar eine Boeing 747, gechartert von der British Airways, im Auftrag der Royal Air Force. Als nach dem Fall der Berliner Mauer der Abzug der Royal Air Force begann, endete mit dem letzten Start einer Boeing 767 der Britannia Airways am 31. März 1993 die militärische Nutzung des Flughafens durch die Royal Air Force.
Zuvor brachten die Engländer über Jahrzehnte auch royalen Glanz nach Gütersloh - spätestens als im Mai 1965 Queen Elisabeth II., begleitet von ihrem Mann Prinz Philip, erstmals die Prinzess Royal Barracks anlässlich eines Staatsbesuches in Deutschland bereiste. 1976 landete die Queen dort mit einer Maschine der Royal Air Force und bestieg noch auf dem Rollfeld einen geschlossenen Rolls Royce, der sie in die Innenstadt brachte. Im selben Jahr stattete übrigens auch die spätere britische Premierministerin Margret Thatcher den britischen Truppen einen Besuch auf dem Gütersloher Flugplatz ab. Direkt vor dem Tower steht noch heute das Podest, auf dem Ehrengäste und hohe Offiziere gewürdigt wurden.
In seiner Funktion als Ehrenoberst der britischen Army Air Corps kam Thronfolger Prinz Charles im Jahr 2010 nach Gütersloh. Es war seine erste Visite, bei der er sowohl von der ehemaligen Bürgermeisterin Maria Unger als auch von Sabine Amsbeck-Dopheide, Bürgermeisterin der Stadt Harsewinkel, begrüßt wurde. Eingebettet in einen Familientag nutzte der britische Kronprinz die Gelegenheit, den Soldaten sein Lob für »einen bemerkenswerten Job« auszusprechen.
Zur Überwachung der innerdeutschen Grenze waren in den Jahren 1965 bis 1977 sogenannte Lightning-Abfangjäger in Gütersloh stationiert. Der ein oder andere erinnert sich sicherlich noch an die erhebliche Lärmentwicklung, die von den Maschinen ausging. Sie waren in ständiger Alarmbereitschaft. Im Laufe der Jahre wurden die Lightnings dann durch Harrier-Senkrechtstarter ersetzt, bis auch diese Kampfflugzeuge aus britischer Produktion im Jahr 1993 endgültig abgezogen und durch eine Helikopter Einheit abgelöst wurden.
Bei unserem Besuch scheint die Natur fast schon im Einklang mit dem Flugplatzgelände. Im Süden erstreckt sich ein 220 Hektar großes Areal, das aufgrund seiner Artenvielfalt 2017 zum Nationalen Naturerbe erklärt wurde – und mittendrin die ehemalige Start- und Landebahn. Da hier die umliegenden Flächen über Jahrzehnte nicht gedüngt und das Gras nur gemäht und abgeräumt wurde, konnten sich dort einzigartige, vom Aussterben bedrohte Tier- und Pflanzenarten ansiedeln. Allein für den weitläufigen Blick über dieses bemerkenswerte Naturerlebnis hat sich unser Besuch schon gelohnt. Auf dem weitläufigen Gelände versinken dann immer wieder grüne und graue Bunker,Militärgebäude, Unterstände oder Shelter im Grünbraun der Landschaft. Aber das war ja immer schon so gewollt.
Fast idyllisch fügt sich ein stillgelegter Triebwerk-Teststand, speziell für britische Harrier-Maschinen, in die Landschaft ein. Er war übrigens der einzige in ganz Deutschland und seit 1993 nicht mehr in Betrieb. So erklärt sich bei näherem Hinsehen auch, dass die Natur hier überhand gewonnen hat. Einzig der ehemalige Tower ist schon von Weitem sichtbar. Wir steigen die steile Wendeltreppe hinauf und genießen erst mal den unbeschreiblichen Blick über das gesamte Flugplatzareal. Hier schlug also das Herz des ehemaligen Militärflughafens. Auch wenn die komplette Technik schon lange ausgebaut und der Tower weitgehend sich selbst überlassen ist, so können wir doch erahnen, dass genau an dieser Stelle jegliche Flug- und Bodenbewegungen kontrolliert wurden.
Unser letztes Ziel an diesem frühen Abend ist das Offizierscasino - ein beeindruckender Bau, mit hohen Decken, imposanten Leuchtern und dicken Wollteppichen. Es scheint fast, als warten die Räume nur auf das nächste Fest oder einen großen Empfang aus königlichem Hause. Doch dann ist es an der Zeit, das Gelände zu verlassen. Wie es mit den ehemaligen Princess Royal Barracks weitergeht, steht noch nicht fest. Nach unserem Besuch hoffen wir natürlich auf ein neues spannendes Kapitel an diesem geschichtsträchtigen Ort. Potential gibt es genug. Und wenn sich hier etwas tut, kommen wir gerne wieder.