Wofür eignen sich die dunklen Winterabende besser, als sich ganz seinen Hobbys und Leidenschaften hinzugeben? Die Bastelsachen werden aus dem Keller geholt, das 1000-Teile-Puzzle kommt auf den Tisch oder man testet endlich das neue Rezept, das schon seit Wochen an der Pinnwand hängt und nur darauf wartet ausprobiert zu werden. Norbert Jebramcik nutzt die gemütlichen Abende für sein Großprojekt. Was er macht? Ganz viel Recherchieren und Puzzeln, präzise Handarbeit mit Stanze und Skalpell. Norbert ist Modellbauer. In liebevoller Kleinstarbeit baut er die Gütersloher Kernstadt nach, so wie sie im Jahr 1900 ausgesehen hat. Einen Einblick haben wir schon 2015 bekommen. Nun hat der »Bauherr« einen weiteren Straßenzug vollendet. Ob uns da die Neugier packt? Na klar! Wir sind zu Besuch bei Norbert Jebramcik. Zu Besuch in der Münsterstraße um 1900.

Norbert Jebramcik freut sich über unser Interesse und öffnet uns ein zweites Mal die Tür zu seiner Miniaturwelt im Maßstab 1:87. Ohne Umwege folgen wir ihm durch den Keller in einen kleinen Werkraum. Und hier steht sie in voller Pracht – die Münsterstraße. Wie auf einem großen Tisch reihen sich Miniatur-Häuser mit beeindruckenden Fronten aneinander. Und nicht nur das. Kleine Figuren beleben Bürgersteige und sitzen in der »Gartenrestauration« des ehemaligen Cafés Lohmeyer. Auf der Straße geht es geschäftig zu. Kutschen beladen mit Fässern rattern über das Kopfsteinpflaster in Richtung der Blessenstätte. »Die hängt übrigens über uns«, verrät Norbert Jebramcik und deutet mit dem Finger an die Decke. Wir blicken nach oben und entdecken weitere Platten, die gut gesichert unter der Decke des kleinen Werkraums hängen.

Auch, wenn wir hier keine Blicke erhaschen können – wir sind mehr als begeistert von dieser Ausdauer und Geduld. Insgesamt 20 Jahre arbeitet Norbert schon an seiner Miniatur-Heimat. Mittlerweile kennt er seine Handgriffe und weiß auch, wie er an Infos kommt. »Alte Aufnahmen und Postkarten zeigen ja meist nur die Schokoladenseiten, also die Hausfronten«, erklärt er uns. Deshalb arbeitet er auch mit Luftbildaufnahmen, zum Beispiel aus der Nachkriegszeit und alten Stadtplänen, die ihm Anhaltspunkte zu Proportionen der Häuser geben.

 

»Wenn man gar nicht mehr weiter weiß, geben Abbruchpläne oft entscheidende Hinweise... und mit ein bisschen Glück erwischt man auch eine Ansicht vom Nachbarhaus«, erklärt uns Norbert. Für einen ganzen Straßenzug braucht der gelernte Mediengestalter etwa vier Jahre, zwei davon sind reine Bauzeit. Unterstützung bei der Recherche bekommt er unter anderem von Stadtarchivar Stephan Grimm.

Wir schauen uns die Münsterstraße vor uns an und versuchen uns zu orientieren. Norbert hilft uns dabei auf die Sprünge. »Dort in etwa ist heute das Schuhhaus Potthof f.« Er zeigt auf einen langgestreckten Bau am Ende der Straße. Hier und auf dem Areal rundherum war früher die Brennerei König beheimatet. Einen Hinweis darauf gibt auch der rauchende Schlot, der weit über die Häuserreihe emporragt. Auf der gegenüberliegenden Seite sichten wir die Krönigsche Apotheke und erfahren, dass es sich beim Nachbarhaus um das Geburtshaus von Carl Bertelsmann handelt. Die beiden Häuser prägen das Stadtbild heute leider nicht mehr. Wohl aber die große Platane zwischen den Häusern. Sie steht nach wie vor an Ort und Stelle. Auf der gleichen Straßenseite entdecken wir ein Fachwerkhaus, das uns bekannt vorkommt. In dem Haus mit dem markanten Giebel ist heute die Buchhandlung Markus zuhause. Gleich daneben ein prächtiges Bauwerk, der damalige Sitz einer der größten deutschen Bankgesellschaften – die Rheinisch-Westfälische Disconto-Gesellschaft. Neben der Industrie mit den Brennereien König und Kluthe & Vossen prägte sie das Bild der Münsterstraße bedeutend. Auch heute dreht sich hier wieder alles um Bankgeschäfte.

Norbert liebt es einfach die Gütersloher Stadtgeschichte lebendig zu machen. »Da gehen schon ein paar Klingen pro Straße drauf«, verrät er. Zu guter Letzt erhält jede Straße sogar eine Beleuchtung per Zufallsgenerator. Die Blessenstätte, die Kirch- und Kökerstraße sowie das Bahnhofsviertel hat er schon vollendet. Sie sind Teile eines großen Traums: Wenn alles fertig ist, möchte er die Platten zusammenfügen und sein Gütersloh um 1900 ausstellen. Als nächstes folgt aber erstmal der Lückenschluss – die Königstraße. Wir wünschen dem bekanntesten Modellbauer unserer Stadt weiterhin viel Spaß bei seinem »kleinen« großen Vorhaben und freuen uns schon jetzt auf den Tag, an dem die Platten und Straßen zu einem Ganzen zusammengefügt werden.