Feinste Handwerkskunst

Monat für Monat machen wir uns auf die Suche nach einer ganz besonderen Geschichte. Und dann heißt es wieder mal »Carl zu Besuch«. In diesem Fall sind wir raus aufs Land gefahren. In den idyllischen Vorort Kaunitz am Rande von Verl. Vorbei an weiten Feldern und grünen Wiesen sagt unser Navi plötzlich, dass wir das Ziel erreicht haben. Zu spät. Zwischen den hohen Bäumen in der Oststraße haben wir ein kleines weißes Schild übersehen, das uns über einen schmalen Weg zum Haus mit der Nummer 46 führen soll. Also wenden wir kurzerhand und stehen schon bald in der Werkstatt von Michael Symann.

Empfangen werden wir vom lauten Geräusch einer Poliermaschine, mit der der Klavierbaumeister gerade einzelne Klaviertasten auf Hochglanz bringt. Mit geschultem Auge begutachtet er das Ergebnis. Und wie in fast jedem Handwerksbetrieb, sind wir in seiner Klavierwerkstatt von Maschinen und unzähligen (Spezial-)Werkzeugen umgeben. Fein säuberlich an den Wänden aufgereiht oder auf Tischen sortiert. Nach einer herzlichen Begrüßung zeigt uns Michael Symann dann seine Werkräume und die Ausstellung mit alten und neuen Pianos, einem Steinway-Flügel, der noch auf seine Restaurierung wartet und einem originalen Bechstein-Flügel. 

Schon beeindruckend, diese Instrumente. Michael Symann könnte sie auch selbst konstruieren. Schließlich hat er den Beruf des Klavier- und Cembalobauers schon mit 16 Jahren in einer dreieinhalbjährigen Ausbildung erlernt. 1990 dann legte er seine Meisterprüfung mit einem selbst gebauten Klavier aus französischem Nussbaum ab, kurz bevor er sich hier in Kaunitz selbstständig machte. Wie aufwendig das »Innenleben« eines solchen Instrumentes ist, zeigt uns der gebürtige Verler an einem alten Klavier, das er gerade restauriert. An jeder Taste sind allein zwölf verschiedene Teile verbaut. Für jeden Ton oder Klang werden sogar 76 Teile benötigt - und zwar für jede einzelne der insgesamt 52 weißen und 36 schwarzen Tasten. Einen Konzertflügel machen mehr als 2 000 Einzelteile und über 200 Saiten aus.

Heute lohnt der Bau eines neuen Pianos daher nur noch in Serienanfertigung. Michael Symann beschäftigt sich überwiegend mit der Restaurierung, dem Stimmen und Warten von Klavieren und Flügeln. Es ist die Kombination aus handwerklichem Geschick, musikalischem Verständnis und feinem Gehör, die den Reiz dieses Berufes ausmacht. Eintönig wird es jedenfalls nicht. Denn jedes Instrument hat seinen individuellen Klang, der besonders durch die »perfekte« Stimmung zur Geltung kommt. Daher gehört die Klangoptimierung auch immer wieder zu den besonderen Herausforderungen, denen sich Michael Symann gerne stellt.Und so hat es sich in der Region herumgesprochen, dass der Klavierbaumeister aus Kaunitz nicht nur mit Fingerfertigkeit und gutem Gehör, sondern auch mit viel Enthusiasmus, Intuition und mehr als 25-jähriger Erfahrung zu einem gefragten Klavierstimmer geworden ist.

Gestimmt wird mit Stimmgabel und einem Stimmhammer. Die Gabel gibt den Kammerton a1, also 440 Hz, oder eine andere für den Einzelfall vereinbarte Frequenz vor. Der Hammer ist eine Art Schraubenzieher, mit dem man die Saiten fester anziehen und entspannen kann. Hier kommt es oft nur auf Millimeter an. Keine Maschine kann den Klavierstimmer mit seinem feinen Gehör ersetzen. Vorsichtig sticht er zur Feinjustierung mit einer Spezialnadel in den filzigen Ham-merkopf des Instrumentes. Dann schlägt er den Ton an – zu hart. Er sticht ein zweites Mal zu, der Ton klingt nun einen Grad sanfter. Michael Symann nickt zufrieden und nimmt sich den nächsten Hammerkopf vor. Bis er allen 88 Tönen den richtigen Klang gegeben hat, vergeht schon mal eine gute Stunde oder auch mehr.

Schon seit Jahren ist der Klavierbaumeister bei Konzerten wie etwa dem internationalen Gesangswettbewerb »Neue Stimmen« im Gütersloher Theater oder auch in der Stadthalle für den guten Klang der Pianos und Flügel verantwortlich. Ein besonderes Highlight war der Auftritt des Spitzenpianisten Lang Lang vor vier Jahren. Für dessen Konzert im Theater hat er den Steinway-Flügel des chinesischen Ausnahmekünstlers in bewährt professioneller Weise intoniert. Als Klavierbauer lebt er quasi ein Leben zwischen den Welten. Handwerker sein und doch den hohen Ansprüchen der Pianisten und Klavierspieler gerecht zu werden, verlangt eben ein hohes Maß an Sensibilität und Perfektion.

Mit solch außergewöhnlichen Ereignissen hat der Alltag des Kaunitzer Klavierspezialisten aber weniger zu tun. Zu seinen Kunden zählen vor allem Klavierbesitzer aus Verl und der Region, die ihre Instrumente regelmäßig stimmen und warten lassen. Oft ist sein Fachwissen gefragt, wenn es um Familienerbstücke geht. Denn auch jahrzehntealte Instrumente sind in Qualität und Haltbarkeit sozusagen kein »Problem«. Seit Ende des 19. Jahrhunderts Stahl-rahmen üblich wurden, sind die Instrumente bei regelmäßiger Wartung praktisch unbegrenzt haltbar. Die Aufarbeitung alter Pianos bedeutet aber auch viel Verständnis für das Zusammenspiel der verschiedenen Werkstoffe wie Holz, Metall, Stahl und Filz.

Am Ende wird man dann in den allermeisten Fällen mit einem wunderbaren Klang belohnt. Und den dürfen wir bei einem kleinen »Privatkonzert« hier in der Ausstellung noch eine Weile genießen, bevor wir uns mit interessanten Einblicken in ein 300 Jahre altes Handwerk verabschieden.