Gemütliche Sitzecken, bunte Poster an den Wänden und eine Kaffeeküche, die keine Wünsche offen lässt: Heute ist Carl nicht wie gewohnt zu Besuch bei einer bekannten Persönlichkeit der Stadt, sondern in einem Haus, dass für viele Jugendliche in Gütersloh wie ein zweites Wohnzimmer ist. Die Rede ist vom »Frei:Raum17«, einem Treffpunkt für junge Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen unter der Trägerschaft der Gütersloher »Falken«. Mitten in der Stadt an der Schulstraße gelegen ist das Angebot für Schülerinnen und Schüler der umliegenden weiterführenden Schulen schnell zu erreichen, so dass hier vor allem in Freistunden und direkt nach der Schule in lockerer Atmosphäre gequatscht, gezockt, gebastelt und natürlich gechillt wird was das Zeug hält. Der Name der Tref fs ist dabei Programm, denn hier können sich die Jugendlichen tatsächlich Freiräume für eigene Interessen, Bedürfnisse und Ideen schaf fen – mit Unterstützung durch das pädagogische Team um Einrichtungsleiterin Nina Hügle oder ganz in Ruhe für sich selbst. Und noch eines ist besonders: Über die Mode-Begrifflichkeit der »Inklusion« müssen wir hier gar nicht sprechen, denn das Zusammenleben unterschiedlichster Kulturen wird hier seit Jahren ebenso gelebt, wie das von Menschen mit und ohne körperlichen oder geistigen Einschränkungen. Um das zu erleben, haben wir uns kurzerhand selbst eingeladen und uns einen Platz inmitten des Frei:Raumes gesucht, um das buntes Treiben auf uns wirken zu lassen.

Als wir den »Frei:Raum« um 13 Uhr betreten ist es überall noch erstaunlich ruhig. Vom Hinterhof aus geht es durch einen einladend wirkenden Flur. Wir gehen zwei Stufen her-auf und stehen mitten in einer offenen Küche – ein erstes »zu Hause-Gefühl« stellt sich ein, als wir von Markus Kollmeier und Sven Rowlands vom Gütersloher Kreisverband der »Falken« empfangen werden. Bevor wir es uns – eben ganz wie zu Hause – am Küchentisch gemütlich machen, gibt es für uns eine kurze Führung durch das Haus. Wir betreten einen großen Raum mit zwei Sofas, Liegestühlen und Sitzhockern. »Das ist unser Zock- und Chillraum«, verrät uns Falken Vorstandsvorsitzender Sven Rowlands. Eine in der Regel erwachsenenfreie Zone, um den Gedanken des »Frei:Raums« zu unterstreichen. Hier wird nur selten eingegriffen und wenn, dann meistens auf Wunsch der Jugendlichen selbst.

Durch eine weitere Tür werden wir in den »Kreativraum« geführt. Hier laden Deckfarben und Spraydosen, Holzbuchstaben, Textilmarker und die entsprechende Ausstattung an Tischen und Stühlen zum Basteln und Werken ein. Außerdem gibt es hier einen Kickertisch, eine Dartscheibe und eine Bücherecke. Als letzten Raum entdecken wir noch ein großes Bad – natürlich der gewünschten Barrierefreiheit entsprechend rollstuhlgerecht ausgestattet.

Als wir in der Küche, dem »Herzen des Frei:Raum17«, ankommen und am großen »Familientisch« Platz nehmen, macht sich eine Freistunde in einer der benachbarten Schulen bemerkbar. Nach und nach kommen die Jugendlichen über den Hof ins Haus und lassen an einer Wand der Küche rasant einen Stapel aus Rucksäcken und Jacken wachsen. Sie gesellen sich zu Thore an die große Theke gegenüber der Küchenzeile. Der Mitarbeiter der »Falken« befindet sich in der Ausbildung zum Erzieher und macht zurzeit ein Praktikum im »Frei:Raum17«. Es herrscht sofort eine lockere und ungezwungene Atmosphäre – und wieder ist da ein sehr familiäres Gefühl.

 

Die Jugendlichen kommen offen mit ihren Wünschen und Ideen auf die Pädagogen zu, lassen sich bei Bedarf helfen und planen mitunter gemeinsame Aktivitäten, wie Ausflüge, Kochworkshops oder Turniere am Kicker oder an der Wii-Konsole. Auf Konsolenturniere müssen die Mädchen und Jungen im »Frei:Raum17« allerdings seit Mitte Januar verzichten. Bei einem Einbruch wurden die beliebte Spielekonsole und auch der Beamer geklaut, was zwischenzeitlich zu durchaus getrübter Stimmung führte. Was aus finanzieller Sicht ein zurzeit nicht ersetzbarer Rückschlag für den Treffpunkt ist, hat aber für die Pädagogen und ehrenamtlichen Helfer auch etwas Positives offenbart: »Auch nach dem Einbruch gab es keinen Rückgang der Besucherzahlen«, berichtet Geschäftsführer Markus Kollmeier mit einem Grinsen im Gesicht. Ein Zeichen dafür, dass der Treff auch ohne digitale Berieselung ein echter Magnet ist. Statt zur Konsole greifen die Teenies jetzt eben zu Gesellschafts- und Kartenspielen. Ein Effekt, den wir auch während unseres Gespräches spüren. Um den hohen Tisch in der Kaffeeküche steht eine Traube von Jungen und Mädchen, die Karten spielen, Witze reißen und den gemeinsamen Freiraum zwischen Schule und Elternhaus nutzen.

Dass das in diesen Monaten noch geht, haben die »Falken« einer Übergangsfinanzierung der Stadt Gütersloh zu verdanken. Nachdem Projektfördermittel ausgelaufen sind und neue Sponsoren und Fördermittel auf sich warten lassen, konnte diese Lücke erst einmal geschlossen werden. Da der »Frei:Raum17« ein frei finanzierter Jugendtreffpunkt ist, ist das Haus ständig auf Spendengelder und Förderungen angewiesen. »Es steckt jede Menge Herzblut in diesem Projekt und wir sind ständig dabei, neue Finanzmittel zu akquirieren. Es bleibt also immer spannend«, weiß Markus Kollmeier. Und er weiß auch, dass sich dieses Engagement lohnt.

Das führt uns doch noch einmal zum Thema Inklusion, denn Menschen mit erkennbaren körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen treffen wir an diesem Mittag nicht. Die kommen aufgrund meist längerer Anfahrtswege erst am Nachmittag, unter anderem aus der Schule im »FiLB«, der Förderschule des Kreises mit Schwerpunkt auf die geistige Entwicklung im Bereich der Berufspraxisstufe. Seit gut zwei Jahren gehört aber auch die vermehrte Einbeziehung von geflüchteten Jugendlichen fast täglich zum Leben im »Frei:Raum«.

Um kurz nach zwei schrumpft der Haufen aus Jacken und Taschen erst einmal wieder. Wir sehen Umarmungen, Handchecks und hören hektische Verabschiedungen. Die Jugendlichen müssen wieder in den Unterricht und haben ihren »Frei:Raum« bis zum letzten Moment ausgekostet. Weit haben sie es zurück zur Schule nicht: Das Städtischen Gymnasium und auch die Elly-Heuss-Knapp-Schule liegen in unmittelbarer Nähe. Das sorgt auch dafür, dass viele der Jungs und Mädchen nach der Schule ein zweites Mal an diesem Tag vorbeischauen werden. Wöchentlich kommt der »Frei:Raum17« so auf etwa neunzig junge Menschen zwischen dreizehn und siebzehn Jahren aus dem ganzen Stadtgebiet. Der Besucherandrang, die Begeisterung der jungen Menschen für dieses Haus und auch das lockere und bunte Beisammensein zeigen: Der Name ist hier wirklich Programm.

Fotos: Sven Grochholski
Text: Charline Belke