Carl zu Besuch bei Familie Schroeder

Es ist ein herrlicher Sommertag - Ende September. Unser Ziel? Das denkmalgeschützte Haus Nummer 4 am Kirchplatz mitten in Verl. Die Pfarrkirche St. Anna sehen wir schon von weitem. Hier, rund um den Kirchhof, begann die frühe Siedlungsgeschichte der jungen Stadt Verl. Und genau hier steht noch heute die ehemalige »Kötterstelle Verl Nr. 2«, die im Jahr 1677 erstmals erwähnt ist. Carl war zu Besuch bei Bruno und Christel Neißkenwirth genannt Schroeder und hat neben dem historischen Fachwerkensemble eine beeindruckende Familiengeschichte und die in sechster Generation betriebene Likör Manufaktur entdeckt.

Den Eingang finden wir von der Sender Straße, unweit des Heimathauses. Ein kleiner Weg führt zu dem idyllisch gelegenen Innenhof. Darüber ein großes Schild, das auf Schroeders Brennerei hinweist. Wir sind also richtig. Die Tür steht weit offen, dahinter duftet es herrlich nach Kräutern und natürlich auch nach Promille. Doch bevor uns Bruno Schroeder in die Geheimnisse der jahrhundertealten Familientradition einweiht, sind wir im benachbarten Wohnhaus ganz herzlich zu Kaffee und selbstgemachten Plätzchen eingeladen.

Schließlich gibt es viel zu erklären, zu zeigen und zu sehen.Die denkmalgeschützten historischen Gebäude der Familie Schroeder stammen bereits aus der Zeit nach dem 30-jährigen Krieg, als sich um die damalige St. Annen-Kapelle ein Kirchring bildete und später neben dem Hof eine Gastwirtschaft betrieben wurde. Das Haus, in dessen Wohnzimmer wir eingeladen sind, spiegelt neben der traditionsreichen Familiengeschichte die vielfältigen Epochen der Zeitgeschichte wider. Vom ursprünglich westfälischen Vierständerhaus über die gut bürgerlichen Elemente der Biedermeierzeit bis hin zum Fachwerkstil der Gründerzeit. Hier ist alles vereint. Liebevoll sind genauso die vielen Ahnenbilder in Szene gesetzt, die uns natürlich neugierig machen.

»Angefangen hat die Familiengeschichte schon lange bevor es die ersten Zeichnungen oder Bilder gab«, erzählt Christel Schroeder. Erstmals taucht der Name Jacob Schröder um 1695 auf. Seit diesem Zeitpunkt tragen sämtliche Bewohner der ehemaligen Kötterstelle Nr. 2 den Namen »Schröder«. Nur die Schreibweise hat sich im Laufe der Jahre mehrfach geändert. Mit »allergrößter Wahrscheinlichkeit« brachte dann Franz Neiskenwirth durch seine Heirat mit der hier geborenen Catharina Kleinekämper Kötter Schröder den Zusatz »Neiskenwirth genannt Schröder« in den Familienamen. Vor allem aber brachte er die Rezeptur für den »Schroederschen Boonekamp«, einem Kräuterbitter, aus Mastholte nach Verl.Als jüngster männlicher Nachkomme dieser ehelichen Verbindung verhalf Johann Heinrich Neißkenwirth gen. Schroeder dem elterlichen Geschäft Mitte des 19. Jahrhunderts zu großem Aufschwung.
Kein Wunder, dass seinem Porträt und dem seiner Frau Therese bis heute ein besonderer Platz in der Deele des Hauses gewidmet ist. Christel Schroeder erzählt uns von dem Landzukauf in dieser Zeit, von der Spirituosenfabrikation und dem Erwerb der Nachbarhäuser Nr. 3 und Nr. 4, die damals als Gaststätten genutzt wurden. Johann Heinrich war auch derjenige, der den »Schroederschen Boonekamp« schon damals zum bekannten Traditionsschnaps im Verler Land machte und das Familienrezept für seine Nachkommen aufschrieb. Es liegt heute sicher verwahrt und verschlossen an einem unbekannten Ort.

Übrigens ist das ehemalige Haus Nummer 4 heute das »Verler Heimathaus« in der Sender Straße 8, das vor 30 Jahren denkmalgeschützt saniert dem Heimatverein zur Verfügung gestellt wurde. Bevor wir uns auf den Weg in die Likör Manufaktur machen, erzählt Christel Schroeder noch eine besondere Familienanekdote aus dritter Generation. Es geht um die Entstehungsgeschichte des wunderschönen Wohnzimmeranbaus im typischen Jugendstil – hier wo wir gerade sitzen. Kurz gesagt: Er ist aus Liebe entstanden.

Während Heinrich Neißkenwirth gen. Schroeder die »Liqueur- und Cigarren-Fabrik Heinrich Schroeder« mit einer zusätzlichen Wein- und Steinhägerbrennerei zu wirtschaftlicher Blüte führte, verliebte er sich »grenzenlos« in die damals 27-jährige Sophia Johanna Elisabeth Lucks aus Bielefeld. Weil Heinrich glaubte, seiner Frau, die aus großbürgerlichen, städtischen Verhältnissen kam, etwas bieten zu müssen, baute er das Haus großzügig an. Damit erhielt es sein heutiges Aussehen und ist seitdem nicht mehr baulich verändert worden. Ein Porträt neben dem Jugendstilfenster erinnert noch heute an Elisabeth Schroeder, der übrigens auch ein wunderschöner Pavillon im weitläufigen Garten zu verdanken ist.

Und jetzt ist es soweit: Durch ein großes Deelentor betreten wir die Verler Likör Manufaktur, die Bruno Schroeder in fünfter Generation und seit 2008, gemeinsam mit Sohn Andreas, in sechster Generation führt. Produziert wird auf 300 Quadratmetern fast ausschließlich in reiner Handarbeit. Davon möchten wir uns selbst überzeugen. Bruno Schroeder zeigt uns das Fass, in dem der 96,6-prozentige Alkohol mit Wasser gemischt und dann mit 34 verschiedenen Kräutern, Blüten und Gewürzen zum berühmten Boonekamp veredelt wird. Die Zusammensetzung ist natürlich streng geheim, aber es riecht gut, wenn der »Schroedersche« mithilfe einer 55 Jahre alten Abfüllmaschine einzeln in Flaschen gefüllt wird. Auch die Korken werden einzeln mit einem speziellen Hammer in die Flaschen »geschlagen« und anschließend per Hand versiegelt.

Neueste Technologien sucht man hier vergebens. Selbst die Etiketten kommen seid Jahrhunderten per Hand auf die Flaschen: Mit Pinsel, Kleister – fertig. Das Sortiment an hochprozentigen »geistigen« Getränken hat Bruno Schroeder über die Jahre erweitert. Neben dem traditionsreichen »Verler Heimatwasser«, dem Boonekamp, »Schroeders Stacheldraht«, »Schroeders Brombeer- und Wacholderlikör«, dem »Türmchen« oder der »Verleperle« heißt die jüngste Kreation sehr passend »Verler Leben«. Gleich am Eingang verfügt die Brennerei über ein kleines Probierstübchen. Hier sitzen regelmäßig Besuchergruppen aus der ganzen Region in gemütlicher Runde bei einem typischen Verler Schnäpschen zusammen und lassen sich die faszinierenden Familiengeschichten von Bruno und Christel Schroeder persönlich erzählen.

Und wie es bei den Schroeders seit jeher üblich ist, lebt man am Kirchplatz 4 generationsübergreifend unter einem Dach. Sohn Andreas und seine Frau Carolin tragen dieses Konzept vom gemeinsamen Leben und Arbeiten mit. Es ist kein Geheimnis, dass mit dem einjährigen Kalle möglicherweise auch schon die siebte Generation für die traditionsreiche Likör Manufaktur bereitsteht.

Fotos: Sven Grochholski
Text: Benedikt Hensdiek