Es ist ein sonniger Juni-Tag. Wir fahren raus aus dem Gütersloher Stadtgetümmel und rein in die ländliche Idylle Isselhorsts. Noch einmal rechts abbiegen, schmale Bahnschienen überqueren und dann sind wir da: An einem Ort, an dem alte Dampflokomotiven in traurigem Zustand wieder neuen Glanz bekommen und zu alter Stärke finden. Je näher wir unserem Ziel – einer rotgestrichenen Halle – vom Parkplatz aus kommen, desto intensiver riecht es nach Kohle, Metall, Schmiere und Holz. Eine schwarze Lok glänzt in der Sonne und ein Schild weist uns darauf hin: »Nicht qualmen«. Unser Ziel ist jetzt wohl jedem klar: Carl ist dieses Mal zu Besuch beim Verein »Dampf-Kleinbahn Mühlenstroth«.

Dort, wo lange Vergangenes faszinierende Gegenwart ist. Gemeinsam mit Jochen Wiegelmann aus dem Vereinsvorstand und Mitglied Nikolas Johannknecht blicken wir hinter die Hallentüren und rein in historische Lokomotiven, alte Güterwagen und das besondere Vereinsleben. Und wir bekommen eine Ahnung davon, mit wie viel Zeit und Herzblut die rund 60 Mitglieder hier bei der Sache sind. Nicht nur das Eisenbahn-Hobby selbst eint die ehrenamtlich Tätigen, unter denen es auch mehrere Frauen gibt. »Es ist uns ein großes Anliegen, historische Schmalspur-Fahrzeuge zu erhalten und die historische Technik im Betrieb vorzuführen«, betont Jochen Wiegelmann, der schon seit 1984 im Verein aktiv ist. Angefangen hat alles vor über 40 Jahren im Ruhrgebiet.

Dort kaufte eine Gruppe von Eisenbahnfreunden von einem Schrotthändler eine ausrangierte Dampflokomotive und setzte sie in der Freizeit mit viel Liebe zum Detail wieder in Stand. Eine geeignete Einsatzmöglichkeit bot sich schließlich auf dem Grundstück eines Eisenbahnfreundes in Gütersloh. Hier wurde eine Bahnstrecke gebaut, zeitgleich entstanden drei zweiachsige Personenwagen in Anlehnung an Vorbilder aus vergangenen Kleinbahnzeiten. Am 10. Juni 1973 fuhr dann der erste planmäßige Personenwagen über die Gleise.

Seitdem dampft die Bahn am Postdamm 166 regelmäßig über die Schienen. Es ist ein Erlebnis für die ganze Familie – damals wie heute. »Wir freuen uns über den großen Zuspruch der Besucher. Das hilft uns nicht nur finanziell, sondern vor allem auch mental. Wir sehen, dass sich das, was wir hier tun, lohnt«, sagt Jochen Wiegelmann. Und das, was hier getan wird, ist eine Menge. Denn zusätzlich zu den regelmäßig anfallenden großen und kleinen Instandsetzungsarbeiten kommen in den Sommermonaten etwa noch Arbeiten an den Gleisen, an der Strecke und Grünschnitt hinzu.

Auch Werkzeug, Maschinen, Lokschuppen und Wagenhalle wollen das Jahr über in Stand gehalten werden. Aus »mal eben« kann dann leicht eine stundenlange Angelegenheit werden. Das ist eben so.Als wir in den Lokschuppen gehen, erfahren wir, dass hier vor allem an den Wochenenden gewerkelt wird. Dann finden sich die aktiven Mitglieder in der Regel schon am Freitag an der Halle ein und bleiben bis Sonntag. Viele reisen schließlich von weit her an. Vom Ruhrgebiet bis an die deutsch-polnische Grenze und in die Schweiz sind die Mitglieder verteilt. Das gemeinsame Hobby und das familiäre Miteinander machen die Wochenenden hier aus. Gemeinsame Mahlzeiten und gemeinsames Arbeiten gehören nämlich ebenso dazu wie gemütliche Abende, an denen man den Tag nach getaner Arbeit ausklingen lässt. Das verbindet und stärkt den Zusammenhalt. Freundschaften pflegen die Eisenbahnfreunde aus Gütersloh auch mit anderen Vereinen. Man hilft sich, tauscht sich aus und unterstützt bei Veranstaltungen. Auch Gastlok-Einsätze sind keine Seltenheit.

 

Die »Lok 3« des Vereins war zum Beispiel bis vor Kurzem bei der Waldeisenbahn Muskau nahe der deutsch-polnischen Grenze eingesetzt. Auf eine funktionierende Gemeinschaft und Teamwork kommt es auch bei den Arbeiten an. »Für eine Hauptinstandsetzung sind ungefähr zwei- bis fünftausend Arbeitsstunden notwendig«, erklärt uns Jochen Wiegelmann. Er zeigt uns einen Wagen, der gerade aufwändig restauriert wird. Ein neues Dach hat er schon bekommen, auch am hölzernen Außenkasten wird schon gearbeitet. Einen Großteil der anfallenden Arbeiten leisten die rund 20 aktiven Mitglieder des Vereins selbst. Schließlich haben sie vom Maschinenbauingenieur über Elektroniker und Industriemechaniker bis hin zu Lehrern viele fachkundige Mitglieder in ihren Reihen und sind damit gut aufgestellt. »Es ist oft träge, bis man an einer maroden Lok die ersten Fortschritte der intensiven Arbeit erkennt, aber wenn man sie dann fahren sieht und das Schnaufen hört, dann bekommt man einfach nur Gänsehaut«, sagt Nikolas Johannknecht.

Damit die Arbeiten organisiert ablaufen, entscheidet der Betriebsleiter, wer welche Aufgaben übernimmt. »Einer muss den Hut aufhaben«, betont Jochen Wiegelmann. Denn bei allem, was der Verein tut, steht die Sicherheit an erster Stelle. Natürlich gibt’s bei den Aktiven auch Vorlieben und besondere Stärken. »Manche beschäftigen sich lieber mit dem Wagenbau, andere mit Lokomotiven«, sagt Jochen Wiegelmann. Davon profitiert der gesamte Verein und insbesondere auch die Vereinsjugend! »Das Wissen und die langjährige Erfahrung wird an uns weitergegeben«, sagt Nikolas Johannknecht und zeigt uns in der Halle einen Packwagen, den der Vereinsnachwuchs unter Anleitung selbst in Stand gesetzt hat. Das dunkelgrüne Gefährt ist eines der historischsten Stücke im Fundus des Vereins!

Wir sind schwer beeindruckt von der Sammlung an historischen Kleinbahnfahrzeugen, die wir auf unserem Rundgang zu sehen bekommen. Und das, was wir da sehen, ist längst nicht alles! Einen Teil seiner Fahrzeuge musste der Verein bereits verleihen, da die bestehenden überdachten Abstell flächen nicht ausreichen, um alle Fahrzeuge vor der Witterung zu schützen. »Und trotzdem müssen noch immer zu viele Fahrzeuge draußen stehen. Das entspricht nicht ihrem historischen Wert«, sagt Jochen Wiegelmann. Die Witterung macht den Fahrzeugen zu schaffen. Immer wieder fallen Instandsetzungsarbeiten und Restaurationen an. Das ist für den aktiven Stamm an Mitgliedern eine große Herausforderung.

Auch wenn sie sich hier vor allem mit den Zeitzeugen aus längst vergangenen Tagen beschäftigen, haben die Eisenbahnfreunde die Zukunft fest im Blick. Die überdachten Flächen am Postdamm sollen um den Neubau einer Ausstellungshalle für das Westfälische Kleinbahn- und Dampflokmuseum erweitert werden. Schließlich nennt der Verein eine für Deutschland einzigartige Sammlung an Ausstattungsgegenständen und Kleinbahnfahrzeugen sein Eigen. Und genau die soll hier in Gütersloh wieder zusammengeführt und in angemessenem Rahmen gezeigt werden. Auch die Klein- und Privatbahngeschichte Westfalens und ein Ausstellungsbereich sollen in der Halle einen Platz finden. Eine erste Kostenschätzung liegt bei insgesamt rund 350 000 Euro. Ganz aus eigener Kraft schafft der Verein das nicht. Eines ist aber schon jetzt sicher: Die rührigen Mitglieder um Jochen Wiegelmann tun alles, damit die gute alte Dampflokomotive auch in Zukunft ein besonderer Teil unserer Gegenwart bleibt.

Fotos: Jessica Bochinski
Text: Sina Schäffer