Die »Woche«

Der Publikumsmagnet in Gütersloh

 

Während Jazz-Superstar Glen David Andrews stagedivend und singend einen Jubel nach dem anderen einkassiert, Marlene van Steenvag sich in einem riesigen Sektglas auf der Bühne räkelt und der Dreiecksplatz noch einmal richtig tobt, wächst langsam die Gewissheit, dass es für dieses Jahr das letzte Mal sein wird. Ein letztes Lied, ein letzter Applaus, ein letztes Mal die Instrumente von der Bühne in Transporter verladen und eine letzte Bandverabschiedung. Die Woche der kleinen Künste 2016 hat zahlreiche Akzente gesetzt: Künstlerisch auf der Bühne sowie organisatorisch hinter der Bühne. In einigen Bereichen kam sie gewohnt vielfältig und Generationenverbindend daher, in anderen hat sie Rekorde gejagt. Den Hitzerekord zum Beispiel – nach einem eher herbstlichen Sommer in Gütersloh. Und am Dienstagabend mit Sicherheit auch einen Besucherrekord, der sich in die fünf am stärksten besuchten Abende in der Geschichte der »Woche« einreihen wird. Carl war wie ungezählte Gütersloher natürlich auch zu Besuch auf dem Dreiecksplatz – und fasst seine ganz eigenen Eindrücke zusammen.

Höher, schneller, weiter, besser: Die Woche der kleinen Künste – oder aufgrund ihrer Alleinstellung in der Gütersloher Kulturlandschaft einfach nur »die Woche« genannt – ist den »kleinen Künsten« schon seit einigen Jahren entwachsen. Acts abseits der Musik sucht man im Programm vergebens. Das ist für die Masse gut, hin und wieder darf man »Kleinkunst« wie Weltklasse-Pantomime oder Comedy aber durchaus auch vermissen. Dennoch gibt es auch in der musikalischen Programmgestaltung durchaus künstlerische Freiheiten, die das Publikum weit vom Mainstream entfernt an Kunst heranführen, die es sonst garantiert nicht kennengelernt hätte. Und genau hier liegt noch immer die große Stärke der »Woche«. Sie ist gesellschaftlicher Treffpunkt für Menschen, die sich oft nur einmal im Jahr begegnen. Und sie ist eine niederschwellige Schnittstelle zwischen Kunst und Mensch, zwischen Künstlern und interessiertem Publikum. Auf diesem Weg trifft zum Beispiel Musik vom Maria Baptist Jazz Orchestra auf Ohren, für die dieses Klangerlebnis völliges Neuland ist. Und man lernt Instrumente wie das virtuos gespielte »Balafon« kennen, das zwar in Westafrika als Melodieinstrument sehr verbreitet ist, in Deutschland aber kaum bekannt.

Aber auch nationale und internationale Größen stehen hier seit vielen Jahren auf der Bühne: Joan Armatrading und Georgie Fame zum Beispiel, die Brüder Wingenfelder, Brian Auger oder Bobby Kimball. Das führt den Platz regelmäßig an seine Grenzen, denn das Innenstadt-Festival hat sich auf diesem Wege in der gesamten Region einen sehr guten Namen erspielt. Verlässlich gute Acts, eine tolle Atmosphäre und freier Eintritt sind absolut überzeugende Argumente, auch mal nach Gütersloh zu fahren. Und: Es sind nicht immer die großen Namen, die die besten Konzerte abliefern – somit lohnt sich ein Besuch jeden Abend gleichermaßen.

 

Die Erwartungen an die »Top-Acts« im Jahr 2016 wurden allerdings in keinster Weise unterboten. Ganz im Gegenteil: Als sich am Dienstagabend bereits sehr früh große Menschenmengen auf den Weg gemacht haben, um den Jazz-Entertainer Max Mutzke zu erleben, nahm der die Einladung gerne an und lieferte mit seinen renommierten Mitmusikern einen absolut massentauglichen Jazzabend der Extraklasse ab. Das war auch hinter der Bühne ein besonderer Moment, denn auf diese Verpflichtung war man im gesamten Team sichtlich stolz. Zudem war mit Max Mutzke ein Musiker zu betreuen, der absolut bodenständig daherkommt und ganz entspannt und nah an den Fans und Veranstaltern agiert. Die Mischung aus bestem Sommerwetter, letztem Ferientag und dem Hochkaräter Mutzke auf der Bühne ging so gut auf, dass rund um den Platz kaum ein Durchkommen war. Den einen mag das stören, viele andere nehmen auch das dankbar mit. Eines aber wurde auch an dieser Stelle deutlich: Größer geht nicht mehr! Die größte Überraschung war für viele Besucher der »Woche« trotz einer großen Fangemeinde auch in Deutschland die quirlige Französin Nina Attal. Auf Tischen und Bänken tanzend, zog sie das Publikum über die Maße in ihren Bann. Es war einer dieser Momente, auf die man nicht warten sollte, die aber immer wieder passieren – man muss sie nur annehmen und über ostwestfälische Verhältnisse hinaus mitgehen. Genau diese Überraschungen sind der große Mehrwert für Macher, Musiker und Publikum.

Apropos Macher: Auch die waren in diesem Jahr richtig gefordert. Vor allem die Hitze hat die langen Tage, die bei Betreuern und Technikern spätestens um 15 Uhr beginnen, hat im Laufe der Woche ihre Spuren hinterlassen. Aufbau und Soundcheck in der prallen Sonne bei über 30 Grad, Vorbereitungen und fünf Veranstaltungstage hintereinander, Abbau bis spät in die Nacht – für viele Helfer geht hierbei eine ganze Woche Urlaub drauf. Die meisten Aktiven hinter der Bühne machen das bereits seit vielen Jahren mit viel Spaß und Engagement. Eine Arbeit, die gar nicht oft genug gewürdigt werden kann, denn ohne die optimale Versorgung der Künstler hinter der Bühne mit vielen persönlichen Gesprächen, der immer gutgelaunten Backstage-Crew, bester technischer Betreuung und vielen zupackenden Händen würde das Publikum auf einer leeren Wiese stehen. Die Helfer im Hintergrund sind die eigentlichen Stars der Woche der kleinen Künste. Sie ermöglichen dieses einmalige Event, bei dem alle Generationen miteinander »umsonst & draußen« Kultur erleben und Musiker wie Mungo Jerry, Abi Wallenstein, Fools Garden oder Miu ganz nah live erleben können. Der letzte Applaus gilt somit ganz besonders auch denen, die nach der großen Party am Freitag noch lange wach bleiben und den Dreiecksplatz wieder zu dem machen, was er 51 Wochen im Jahr ist: Eine kleine grüne Oase inmitten von Gütersloh. Die eine, andere Woche im Jahr 2017 geht übrigens vom 10. bis zum 14. Juni!

Foto: Frank Tiedemann
Text: Ben Hensdiek