Hecken, Hühner, Hummeln...

 

 

Carl zu Besuch auf dem Hof Bethlehem

Es ist ein freudiger Empfang, der uns bereitet wird – auch wenn das Wetter nicht so mitspielt, wie abgesprochen. Auf dem Weg raus aus der Stadt in Richtung Isselhorst begleitet uns eine mächtige Regenfront und auch das Navi scheint sich hier nicht gut auszukennen. Unser Ziel finden wir dennoch: Eine grüne und blühende Oase wird hier in den kommenden Monaten erwachen und Raum für unzählige Pflanzenarten, Tiere und auch Menschen bieten. Rund 8000 Quadratmeter Fläche erwarten uns, die wir erkunden und entdecken werden. Aber zunächst heißt es ankommen, Geschwindigkeit drosseln und tief einatmen. Am kleinen, liebevoll mit einer roten Tischdecke bedeckten Gartentisch lassen wir das Land auf uns wirken, trinken Tee aus hier heimischen Kräutern und süßen ihn mit Honig von den Bienen, die einige Meter von uns entfernt in ihren bunten Kisten noch auf Wärme und die große Obstbaumblüte warten. Carl war zu Besuch bei Renate und Rainer Bethlehem und hat »fast um die Ecke« ein beeindruckend vielfältiges Stückchen Erde entdeckt.

In den vergangenen 25 Jahren haben Rainer und Renate Bethlehem auf dem Landstück, einem Erbteil des elterlichen Hofes, mit sehr viel Einsatz und Kreativität einen heute seltenen Lebensraum für Pflanzen, Mensch und Tier geschaffen. Der ursandige Boden an dieser Stelle ist über viele Generationen durch so genannte Plaggendüngung verbessert worden und im Vergleich zum Umfeld deutlich fruchtbarer. Eine Grundlage, auf die beide buchstäblich gebaut und gepflanzt haben.

Eingeteilt ist das Grundstück in unterschiedliche Nutzungsbereiche, strukturgebend durchzogen von fast 400 Metern Feldhecken. Die bieten zugleich vielfältige Unterschlupfmöglichkeiten für mitunter selten gewordene Tierarten. Einen großen Teil des Areals nimmt die Streuobstwiese mit vorrangig alten Obstsorten in Anspruch. Vor allem Äpfel wachsen hier als ursprüngliches Obst der Region. Aber auch Bäume wie die Edelkastanien, die hier erst durch klimatische Veränderungen einen Lebensraum finden, bekommen einen Platz. Über 60 Baum- und Straucharten sind mittlerweile vertreten. Sie dienen der Artenvielfalt, im Frühjahr und Herbst aber auch als Übungsobjekte bei Baumschnitt-Seminaren, die gemeinsam mit der Biostation Gütersloh durchgeführt werden – mit einer großen Strahlwirkung in heimische Gärten in Gütersloh und der Umgebung.

Wissen, Erlebnisse und Grundlagen zu vermitteln, ist mittlerweile eine große Aufgabe von Renate und Rainer Bethlehem auf ihrem »Acker«, wie sie das Gelände liebevoll nennen, geworden. Kindergruppen finden sich im Rahmen der Ferienspiele ein, die Naturschule Gütersloh hat hier ihren farbenfrohen Wohnwagen im Winterquartier und nutzt die Flächen für ihre Angebote. Naturschutz, Pädagogik und soziales Engagement treffen in vielen Bereichen sehr ungezwungen und äußerst harmonisch aufeinander und bereichern sich gegenseitig. So entstehen für die Teilnehmer ganz neue Blicke auf die Welt als Lebensraum. Unterstützt wird das auch durch die zahlreichen Tiere: In den Sommermonaten weiden hier Schafe zwischen den Obstbäumen. Zehn Bienenvölker stehen am Feldrand und profitieren ebenso wie unzählige Wildbienen und Insekten von der im Jahreslauf sehr präsenten Blütenpracht. Ihnen werden im gesamten Bereich durch das bewusste Einbringen von Totholzstämmen, Lehmfachungen im großen »Insektenhotel« oder auch eigens für Hummeln konzipierten Nachbildungen von Mäusehöhlen Anreize zur Ansiedlung gegeben. Fünf Arten von Hummeln nutzen das Angebot Jahr für Jahr. Und auch seltene Vögel wie der Steinkauz, der Gartenrotschwanz oder in größerer Population der Feldsperling fühlen sich so willkommen und schätzen die biologische Vielfalt, die hier gelebt wird. Die vielen Nisthilfen in Bäumen und an Wänden laden zudem ein, hier heimisch zu werden. 

Fast therapeutische Ansätze sind im großen, schwedenroten Hühnerstall zu beobachten. 25 Altsteirer Hühner leben hier mit reichlich Platz – und mit vielen Extras für die Besucher. Die Eier legen sie in übergroße Schubladen, die für die »Ernte« aus dem Haus gezogen werden können. Das sorgt ebenso für Nähe zu den Tieren, wie die »Kükenklappe«, die auf Kinder-Augenhöhe einen direkten Zugang zum Bereich mit den Jungtieren schafft. So werden mögliche Berührungsängste schnell abgebaut und Tier-Erlebnisse geschaffen. Gleichzeitig liefern die Hühner sowohl Eier, als auch Fleisch für den eigenen Gebrauch.

Bei allen tierischen Lebensräumen dürfen natürlich die Nutzpflanzen nicht zu kurz kommen. Der Eingangsbereich mit dem schönen Holzportal ist ein Paradies für Küchen-, Heil- und Dorfkräuter. Von
hier stammt auch der Tee, der im Sommer aus frischen und im Winter aus getrockneten Blättern zubereitet einen ganz natürlichen Genuss bietet. Begrenzt wird dieser Bereich durch ein langgezogenes Tomatendach auf der einen Seite, unter dem die Pflanzen im Sommer geschützt reifen können, und Beerenobststräuchern auf der anderen Seite. Was jetzt noch etwas trist aussieht, wird schon bald einen gewaltigen Entwicklungsschub machen. Ebenso, wie der Gemüsegarten, der mit deutlich abgetrennten Beeten und seinem Stangenbohnen-Tipi auf seine Bewirtschaftung wartet. Zur Hochzeit der Gartensaison können sich die Kinder im letztgenannten wunderbar zurückziehen und die besondere Entschleunigung des »Ackers« genießen. Ruheräume sind hier ganz bewusst gewollt und festgelegt – für Mensch und Tier gleichermaßen.

Die Balance zwischen bewusster Nutzung und der Erhaltung von Schutzräumen ist Renate und Rainer Bethlehem besonders wichtig. Sie beide arbeiten hauptberuflich in Bethel und genießen hin und wieder auch das ruhige Pflegen ihres kleinen Paradieses. Im Gespräch aber wächst das Gefühl, dass sie dieses Glück gerne mit vielen, vor allem auch jungen Menschen teilen. Natur erlebbar machen und auch das »drumherum« wie Kochen über dem offenen Feuer, die Versorgung der Tiere und Pflanzen und auch das Werken mit natürlichen Materialien zu zeigen, ist an diesem wunderbaren Ort zur erfüllenden Lebensaufgabe geworden.