Carl ist mal wieder auf Tour – und die hat uns aus der Gütersloher Innenstadt hinaus etwa 13 Kilometer in Richtung Süden geführt. Unser Ziel? Das Bibeldorf in Rietberg. Ein eigenes Dorf in der Stadt. Mit der Bibel hat das »Dorf« nur im weiteren Sinne zu tun. Vielmehr geht es um die Spuren unserer Kultur und Geschichte vor mehr als 2000 Jahren. Wie lebten die Menschen eigentlich zu Zeiten des Alten und Neuen Testaments? In Rietberg haben wir einen Ort gefunden, der Erklärungen zur Welt und Umwelt der Bibel liefert. Vieles wird hier in spannenden Projekten ganzheitlich erlebbar gemacht. Hautnah und zum Mitmachen. Kleine und große Besucher, Schulklassen und Gruppen dürfen selbst forschen und experimentieren oder einfach nur staunen und lernen - ganz unabhängig vom Alter, Geschlecht oder der ethnischen Herkunft.
Wer auf dem 35 000 Quadratmeter großen Freigelände unterwegs ist, sollte schon etwas Zeit mitbringen. Denn das Spektrum an Themen ist vielfältig. Und so begeben wir uns gleich bei der ersten Station auf eine Reise in die Zeit als Abraham und Mose als Wanderhirten lebten. Wir stehen in einem großen Nomadenzelt, das aus festem Ziegenhaar gewebt wurde und idealen Schutz vor der sengenden Sonne der Wüste, aber gleichermaßen vor starken Regenfällen bietet. Ganz praktisch erfahren wir so, was es heißt, als Nomade unterwegs zu sein und mühsam sein Lager immer wieder neu aufzustellen.
Begleitet werden wir von Eva Fricke, die diesen außerschulischen Lernort gemeinsam mit ihrem Mann Dietrich im Jahr 2003 auf dem Gelände des ehemaligen Klärwerks der Stadt Rietberg errichtet hat. Unter ihrer Leitung ist es seither vielen Ehrenamtlichen in weit über 300 000 Stunden und durch zahlreiche Spenden gelungen, das Bibeldorf zu dem zu machen, was es heute ist: ein deutschlandweit einzigartiges Projekt, das sich Tag für Tag weiterentwickelt. Als Träger stellt die Evangelische Kirchengemeinde Rietberg dieses besondere Bildungsangebot alljährlich rund 33 000 Besuchern zur Verfügung.
Auf unserem Rundgang kommen wir vorbei an der Karawanserei - einer nachgestellten Rast- und Übernachtungsstation für Karawanen. Hier sind verschiedene Museums- und Schulungsräume untergebracht. Wir »begehen« also die 3000 Jahre alte Geschichte Jerusalems mit zahlreichen archäologischen Funden, Modellen und elektronischen Bildanimationen, die sehr anschaulich viele Einzelheiten zum Nahen Osten, besonders zu Israel und Palästina erläutern.
Beeindruckend ist zudem eine handgeschnitzte Lebenskrippe aus Olivenholz, die Eva Fricke persönlich in Bethlehem in Auftrag gegeben hat. Sie stellt in zahlreichen Einzelfiguren die Stationen Jesu von der Geburt bis zur Kreuzigung dar.
In einem separaten Raum mit einer historischen Gutenbergpresse geht es um die Entstehung des Buchdrucks am Beispiel der Bibel. Das weltweit meistgedruckte Werk erscheint in insgesamt 3225 Sprachen. Allein in Rietberg sind Bibeln aus 148 Ländern zu sehen. Hier erschließt sich auch der Begriff »ein Buch aufschlagen«. Seitlich beider Buchdeckel besaßen nämlich im Mittelalter fast alle Bücher eine oder zwei Schließen aus Metall, um die Seiten dazwischen trotz leichter Feuchtigkeit fest zusammenzuhalten. Diese Feuchtigkeit ließ die Schließe im Laufe der Zeit rosten und so konnte der Buchdeckel nur durch einen kräftigen »Schlag« geöffnet werden.
Regelmäßig zum Leben erweckt wird das Bibeldorf durch die vielen Ehrenamtlichen, die sich generations-, konfessions- und talentübergreifend engagieren. In historischen Gewändern stellen sie die Zeit der Bibel nach, gewähren Einblicke in verschiedene Handwerksberufe aus biblisch-antiker Zeit oder begleiten Schulklassen und Besucher mit ihrer Fachkompetenz zu den einzelnen Stationen. So erfahren wir etwa wie mühevoll es war, Seile, Brot, Kräutersalz oder andere lebensnotwendige Dinge herzustellen. Archäologische Funde liefern heute ein ziemlich genaues Bild davon. Nach diesen Erkenntnissen wurde hier auch ein typisches Ein-Raum-Haus nachgebaut, in dem Menschen und Tiere damals unter einem Dach lebten.
Darüber hinaus gibt es noch weit mehr zu entdecken: ein archäologisches Lehrgrabungsfeld, eine Synagoge, eine Basilika, eine Zollstation, eine Schmiede oder das Römerhaus sind nur einige Stationen, für die man sich wirklich Zeit nehmen sollte. Dass man die Welt der Bibel hier in Rietberg live erleben kann, hat sich bereits über die Landesgrenzen hinaus herumgesprochen. Jedes Jahr kommen allein über 500 Schulklassen, Jugend- und Erwachsenengruppen hier ins Freilichtmuseum. Wer sich also selbst ein Bild von der biblischen Geschichte und den historischen Hintergründen machen möchte, der ist in der Hauptsaison von April bis Oktober immer dienstags bis sonntags von 14:00 bis 18:00 Uhr willkommen. Wir können allen Besuchern den Weg ins Bibeldorf Rietberg wirklich ans Herz legen!