Jedes Lied eine Welt

Wenn Peter Kreutz die ersten Akkorde auf dem Steinway-Flügel anschlägt, tauchen die Zuhörer in eine besondere Atmosphäre ein. Bald folgt auch der Gesang des jeweiligen Solisten. Text und Musik verschmelzen zu einer Einheit und dem Publikum öffnet sich die epische Welt des Liedes. Tausendfach hat Peter Kreutz mit seinen wechselnden Gesangspartnerinnen und -partnern im Forum Lied seit dem Beginn im Jahr 2000 auf diese Weise verzaubert. In 23 Jahren ist ihm ein wahres Kunststück gelungen, denn er hat das mit Vorurteilen belastete Kunstlied entstaubt und im Kulturleben Güterslohs und der Region etabliert. 

Kunstlied, was  ist  das?

»Die Schwester der Musik ist die Poesie.« befand Sergei Rachmaninoff. Damit ist viel Wahres über die Musik gesagt, aber auch über die Faszination, die das Kunstlied ausüben kann. Im Lied verschmelzen Wort und Ton, Melodie und Text, Klavier und Stimme. Menschliche Gefühle und Beziehungen erhalten eine intensive Ausdrucksmöglichkeit. Durch die Verbindung der vielfältigen Ebenen ergibt sich ein Meer an Inhalt und künstlerischem Reichtum. Die inhaltliche Verdichtung und die schlichte Form der Darbietung, in der Regel sind es nur eine Stimme und ein Flügel, machen das Lied zu einer intimen Darbietung. Aber das Lied ist auch ein Prüfstein für Sängerinnen und Sänger. Selten stellen sich Sänger so vorbehaltlos, fast schutzlos der genauesten Beobachtung durch das Publikum. Musikalität, Gesangstechnik, Artikulation und Ausdruck werden in höchstem Maße gefordert. Anders, aber nicht weniger anspruchsvoll sind die Aufgaben des Pianisten als Begleiter. Ihm wird vor allem Einfühlungsvermögen, Zurückhaltung und Anpassungsfähigkeit abgefordert. Sein virtuoser Glanz soll leuchten, aber die Stimme nicht überstrahlen.

Unmittelbarkeit durch die Fokussierung auf nur eine Stimme und Klavier, das macht die Faszination und auch das Risiko des Genre Lied aus. Wenn Sänger und Pianist es verstehen mit Dichtung und Musik zu fesseln, dann ist das Lied ein intensives und einzigartiges Erlebnis. Aber das gelingt nicht immer, selbst bei Stars mit großen Namen. Denn das Lied verlangt nach ganz besonderen Fähigkeiten und Qualitäten, deren Abwesenheit auf der Opernbühne mit ihren vielfältigen anderen Ablenkungen nicht so stark auffällt, wie auf dem manchmal unerbittlichen Konzertpodium. Peter Kreutz ist es jedoch in all den Jahren gelungen im kleinen Rahmen Konzerte auf erstaunlich hohem Niveau zu gestalten.

Ein tragfähiges interpretatorisches Konzept geht ihm vor solistischer Effekthascherei. Peter Kreutz lotet jedes Lied mit seinen jeweiligen Partnern in seiner ganzen vom Textdichter und Komponisten angelegten Tiefe aus. Wer diese künstlerische Fallhöhe erreicht hat, braucht keine großen Namen in seinen Programmen. Die Sterne vom Himmel des internationalen Solisten-Jetset findet man nicht im Forum Lied. Eher schon die mit wärmendem Strahlen aufgehenden Sterne, wie den jungen Gütersloher Tenor Kieran Carrel. Zum festen Bestandteil von Forum Lied gehörten auch die Konzerte mit Studierenden der Hochschule für Musik Detmold. Mit großer Souveränität musiziert Peter Kreutz mit diesen jungen Menschen und gibt ihnen auf dem Weg zur künstlerischen Reife Gelegenheit sich vor Publikum auszuprobieren.

Nach dem Motto »mehr sein als scheinen« haben sich die Liederprogramme vom Geheimtipp für Kenner zu einer sicheren Bank für gut besuchte Konzerte entwickelt. Zunächst in der Musikschule für den Kreis Gütersloh, ab 2010 dann auf der Studiobühne des Theater Gütersloh. Peter Kreutz wollte nie Hallen füllen. Das würde das zarte Pflänzchen Lied auch überfordern. Im Rahmen der gebotenen Privatheit und Nähe ist es dennoch gelungen, das Vergnügen mit einer maximal großen Anzahl an Zuschauern zu teilen. Mehr Lied geht nicht, wenn hohe Kunst im Vordergrund steht und nicht profane Kosten. Nicht in Gütersloh, aber auch nicht in den Musikmetropolen der Welt.  

Wenn jedes Lied eine Welt ist, dann hat Peter Kreutz mit dem Repertoire des Forum Lied den unerschöpflichen Kosmos der Musikliteratur bis an seine Grenzen ausgeschöpft. Hier kann man randständiges Repertoire erleben, dass noch nicht einmal YouTube kennt, wie zum Beispiel Waldemar Bargiel‘s „Drei Frühlingslieder“ oder Alexander Dreyschock‘s »Du bist wie eine Blume«. Peter Kreutz lässt sein Publikum aber nicht allein mit derlei Raritäten. Sein besonderer Verdienst ist die Vermittlung durch einführende und erklärende Worte. In den sorgfältig editierten Programmheften fehlen daher auch nicht die Liedtexte.

So hat Peter Kreutz das Kunstlied in der Provinz etabliert. Ohne große Namen und immer wieder auch mit Studierenden eine Spielstätte wie die Studiobühne des Theater Gütersloh zehnmal im Jahr zu füllen, wäre eine kulturelle Großtat in einer Metropole mit entsprechend zahlreichem und geschultem Publikum. In einer ostwestfälischen Kreisstadt sind diese Konzerte umso funkelendere musikalische Juwelen, die sich über die Jahre zu einem reichen Diadem gefügt haben und das Kulturleben einer ganzen Region krönen. Mehr Menschen kann man mit dieser Kunstform in OWL wohl nicht erreichen. Zusammengebracht hat dies ein für das Lied brennender Perfektionist und Selbst-Ausbeuter, der sich nicht zu schade ist, unzählige Stunden in Planung, Organisation und Umsetzung zu investieren, ganz zu schweigen von der eigenen künstlerischen Arbeit. Doch nun ist es genug mit Forum Lied. Viel besser kann es nicht werden - kein schlechter Zeitpunkt also aufzuhören und sich mit Neuem und Anderem zu beschäftigen. 

Das Ende vom Lied ist der Anfang der Erinnerung an unzählige Melodien, Texte und Stimmen. Und an Peter Kreutz, die alles verbindende Seele und der Motor einer einmaligen Konzertreihe. Gut zu wissen: Das Lied bleibt im Blick der Kulturmacher in Gütersloh und aus »Forum Lied« wird mit anderen Protagonisten ab kommender Saison »Fokus Lied«.