Jazz City GT - Blog 1

Gütersloh war einmal eine der wohl heißesten Jazz Cities in Deutschland, ja Europas. Eine Stadt, in der Weltstars des Jazz, aber auch viele Größen verwandter Musikgenres wie Blu-

es, Gospel, Chanson und Weltmusik regelmäßig live zu sehen und zu hören waren: Miles Davis, Dizzy Gillespie, Ray Charles, Dave Brubeck, Pat Metheny, Eartha Kitt, B. B. King, Odetta, Juliette Gréco, Cesaria Evora und viele, viele mehr gaben sich quasi gegenseitig die Türklinge in die Hand. Verantwortlich da- für war ein Jazzverrückter, der als Sozialarbeiter am Jugend- zentrum der Stadt Gütersloh angestellt war: Josef Honcia.

Eine dieser begnadeten Jazzlegenden war Dizzie Gillespie. Vor ziemlich genau 32 Jahren warteten Jazzfans voller Vor- freude in den Vorräumen der großen, bis zum letzten Platz ausverkauften Gütersloher Stadthalle auf Dizzie Gillespie, einen der großen Superstars aus der Jazzszene. Die Spannung und Vorfreude waren fast nicht zum Aushalten. Und als beim eigentlichen Konzertbeginn um 20 Uhr die Türen zum Saal immer noch verschlossen blieben, kam schon leichte Panik bei den Fans auf: »Kommt Dizzie nicht?« »Ist ihm womöglich etwas passiert?« oder: »Findet das Konzert gar nicht statt?« Die Jazzliebhaber konnten die fieberhaften Aktivitäten hinter den Kulissen quasi erahnen. Selbst die Veranstalter wussten nichts Genaues.

Aber wie das bei Musikgrößen oft so ist, der Flieger hatte einfach nur Verspätung und in Gütersloh erfuhr man erst sehr spät, dass Dizzie Gillespie erst um 20 Uhr in Düsseldorf landen würde.

Was war zu tun? Eine Verschiebung des Konzerts kam nicht in Frage, denn die Hütte war picke packe voll, wie man so schön sagt. Also ging die dringliche Order nach Düsseldorf an die Fahrer: »Wartet nicht auf das Gepäck, sondern geht mit Vollgas auf die Autobahn, Strafmandate werden von uns bezahlt«...

Um die Spannung in der Stadthalle etwas zu lösen, wurden die Zu- schauer inzwischen in den Saal gelassen, und Josef Honcia informierte sie in seiner unverwechselbaren, urkomischen Art über den Stand der Dinge. Und wie die Ostwestfalen eben so sind, warteten sie mit bewundernswerter Geduld auf das kommende Highlight. Gegen 22.30 betrat Dizzie dann mit seinen Musikern die Bühne. Die Truppe um den einzigartigen Jazztrompeter legte quasi aus dem Auto heraus, ohne Soundcheck, los und es wurde ein denkwürdiges Konzert.

 

 

Von dem Konzert in Gütersloh bleiben vor allem die unglaubliche Pro- fessionalität und Effektivität der Musiker in Erinnerung. Waren wir von vielen kleineren und größeren »Stars«, selbst im kleinen Jugendzent- rum, z.T. stundenlange, frustrierende Soundchecks gewohnt, so blieb uns hier schlicht der Mund offenstehen. Die Musiker inklusive Dizzie gingen auf die Bühne, nahmen ihre Instrumente und legten los wie die Feuerwehr. Dizzie war in Hochform und unterhielt sein Publikum aufs Beste. Ja, es gab natürlich auch die so sehr erwarteten Highlights wie seine typischen Clownereien, die aufgeblasenen Backen, die unfassba- ren Soli, und die in wahnwitziger Geschwindigkeit.

Als man sich nach dem Konzert mit Musikern und Veranstaltern im alten Stadthallenrestaurant zur »AfterShow« traf, wich die Anspan- nung, und es kamen Erleichterung und Fröhlichkeit auf, denn Dizzie erwies sich tatsächlich als umgänglicher, freundlicher alter Herr ohne die geringsten Starallüren. Bereitwillig gab er Autogramme und beantwortete geduldig alle Fragen – er fühlte sich sichtlich wohl.

Eine unerwartete, aber auch witzige Anekdote gibt es noch zu erzählen: Als er sich Rotwein in ein großes Bierglas einschenken ließ und dann weißes Pulver darin verrührte, machte sich wohl jeder so seine drogen- behafteten Gedanken, aber sein Manager versicherte, dass es sich dabei nur um sein übliches, benötigtes Abführmittel handelte. Na, da muss man erst einmal draufkommen – Genies sind eben anders unterwegs.

Leider verstarb Dizzie Gillespie schon zwei Jahre später. –RIP

Unseren monatlich im CARL erscheinenden »JazzCityGT–Blog« schreibt für uns der unter den Gütersloher Jazz-Fans bekannte Reinhard Fulde. Er war seit Beginn der erfolgreichen Jazzreihe mit dabei: Zunächst als Dolmetscher für Veranstalter Josef Honcia, dann bald auch häufig als Mitbetreuer der Künstler und Autor der Programmhefte. Zusammen mit den fantastischen Fotos von dem von uns sehr geschätzten Fotografen Raimund Vornbäumen (war damals für die Neue Westfälische unter- wegs) wollen wir Euch gemeinsam mit exklusiven Stories und Anekdoten zu den Superstars dauerhaft begeistern. Wir vom Magazin Carl freuen uns sehr darüber!