Interview mit Professor Dr. Gero Massenkeil

Nach wie vor beschäftigt uns das Thema Corona. Wir vom CARL haben exklusiv mit Professor Dr. Gero Massenkeil, Chefarzt Innere Medizin II im Klinikum Gütersloh, über die Lage und Entwicklung in Gütersloh gesprochen.

M. Kirchhoff: Herr Professor Massenkeil, wie ist zurzeit die Lage im Gütersloher Klinikum, speziell auch auf der Intensivstation?

Prof. Massenkeil: Wir behandeln seit März Patienten mit Coronavirus-Infektionen. Bis Mitte Dezember haben wir 220 Patienten behandelt. An diesem Wochenende (Anmerkung der Redaktion 12./13.12.) hatten wir 31 Patienten in stationärer Betreuung. Aktuell sind fünf Patienten auf der Intensivstation. In der letzten Woche ist es gelungen, Patienten zu entlassen, von der Intensivstation auf die Normalstation zu verlegen. Wir konnten auch einzelne Patienten in andere Krankenhäuser verlegen, um wieder Intensivkapazität zu schaffen.

M. Kirchhoff: Decken sich die Erfahrungen hier im Hause mit den Äußerungen der Virologen bundesweit?

Prof. Massenkeil: Ja, das kann man so sagen. Es war vorhergesagt worden, dass wir im Herbst wieder ansteigende Fallzahlen haben. Man kann klare Anzeichen sehen, dass sich das Corona-Virus verhält wie ein Atemwegsvirus. Wir sehen allerdings jetzt eine andere Patientengruppe. Im Frühjahr hatten wir die eher fitten Patienten, die Reiserückkehrer, Stichwort »Ischgl«. Im Sommer war es dann die Gruppe jüngerer, aber körperlich fitter Männer aus der Fleischindustrie. Aktuell sehen wir viele ältere Menschen, Menschen mit Demenz und auch viele Patienten, die unsere Sprache nicht sprechen. Das stellt uns und vor allem unser Pflegepersonal auch vor große Probleme in der Betreuung und Kommunikation mit diesen Menschen. 

M. Kirchhoff: Wie sehen Sie die Lage in Bezug auf die aktuellen Zahlen und worauf müssen wir uns einstellen?

Prof. Massenkeil: Beim Corona-Virus handelt es sich um ein typisches Atemwegsvirus, das eine saisonale Häufigkeit hat. Dieses Virus wird uns, je nach Außentemperatur, in diesem ganzen Winter begleiten. Die Inzidenzen steigen noch, keineswegs fallen sie deutlich. Das sehen wir auch an unseren stationären Zahlen. Es würde mich überraschen, wenn sich das vor Weihnachten deutlich ändert.  Wir gehen eher davon aus, dass uns das bis ins Frühjahr begleitet. 

M. Kirchhoff: Sie stehen vor einer völlig neuen Situation. Wie läuft die Organisation, gerade in Bezug auf Klinikpersonal und -Ärzte?

Prof. Massenkeil: Wir haben in den letzten Monaten sehr viel gelernt. Wir haben sehr früh in diesem Jahr einen Krisenstab gebildet und uns eng mit dem Gesundheitsamt und dem Krisenstab des Kreises abgestimmt. So konnten wir tatsächlich das, was wir gelernt haben, direkt mit den Patienten umsetzen bzgl. Verfahrensanweisungen und Standards. So wurden auch Fragen geklärt wie: »Wie schützen wir uns, wenn ein infektiöser Patient ins Klinikum kommt. Welchen Weg geht dieser Patient auf die Station oder zum Röntgen? « Oder: »Wie gehen wir mit den Patienten auf dem Zimmer um?« 

M. Kirchhoff: Hat sich das Personal mittlerweile auf die Situation einstellen können?

Prof. Massenkeil: Die Bereitschaft und Motivation unserer MitarbeiterInnen ist sehr groß, aber man darf nicht verkennen, dass das eine große Belastung ist. Wir treten den Patienten mit einer sehr effektiven Schutzausrüstung gegenüber, die aus einer FFP2- oder FFP3-Maske, Handschuhen und einem luftundurchlässigen Anzug besteht. Die Ausrüstung wird über mehrere Stunden getragen, das ist – gerade für das Intensivpersonal – eine enorme Belastung. 

M. Kirchhoff: Viele Menschen haben auch bei starken Beschwerden immer noch Angst zum Arzt oder ins Klinikum zu gehen, weil sie Angst haben sich anzustecken. Was raten Sie den Menschen im Kreis?

Prof. Massenkeil: Die hauptsächlichen Ansteckungsquellen liegen ja im privaten und häuslichen Umfeld. Wer ernsthafte Beschwerden hat, soll zum Hausarzt gehen oder ins Krankenhaus kommen. Wir versorgen alle Notfälle – genauso wie alle anderen Krankenhäuser. Aber es ist schon eine spezielle
Herausforderung,  jenseits der Notfälle und der Corona-Patienten den Regelbetrieb aufrechtzuerhalten. In den nächsten Wochen werden wir sehen, dass einige Eingriffe vielleicht nicht zum geplanten Zeitpunkt durchgeführt werden können. Man muss Rücksicht darauf nehmen, dass mehr Personal und Betten für mit dem Coronavirus Infizierten und die sonstigen medizinischen Notfälle zur Verfügung gestellt werden müssen.

M. Kirchhoff: Man kann doch aber davon ausgehen, dass jeder Notfall behandelt wird. 

Prof. Massenkeil: Jeder Notfall wird zu jeder Zeit bei uns behandelt. Aber wir haben in der Tat im März, als wir noch weniger wussten als jetzt, den Regelbetrieb weitgehend heruntergefahren. Damit standen sehr viele freie Betten zur Verfügung. Das hat uns auch geholfen, zu lernen. Damals war das getriggert durch die Situationen in Bergamo und New York. Wir wollten so eine Situation bei uns unter allen Umständen vermeiden. Das ist uns gelungen. Aber ich betone: Jeder Notfall wird hier auch weiterhin behandelt. Bei uns, wie in allen anderen Krankenhäusern der Region auch.
M. Kirchhoff: Wir bekommen täglich aktuelle Zahlen vom Kreis Gütersloh. Wie arbeiten sie mit den Kliniken vor Ort und anderen Institutionen zusammen? 

Prof. Massenkeil: Unsere Zahlen werden täglich an das Gesundheitsamt gemeldet, so dass tagesaktuelle Zahlen - manchmal mit einem Tag Verspätung – zur Verfügung stehen. Die Zusammenarbeit mit anderen
ist enorm wichtig. Einmal die Woche findet eine Telefonkonferenz mit den anderen Krankenhäusern, aber auch mit niedergelassenen KollegInnen statt, in der wir uns zum Beispiel darüber abstimmen, wer noch Schutzausrüstungen benötigt. Mit dem Krisenstab des Kreises sind wir ebenfalls in enger Abstimmung. 

M. Kirchhoff: Was kann jeder Einzelne tun, um sich selbst und andere zu schützen? Und wie schätzen
Sie die Corona-App ein?

Prof. Massenkeil: Die Corona-App ist ein Schritt in die richtige Richtung in Zeiten der zunehmenden Digitalisierung. Für den eigenen Schutz ist die Achtsamkeit für mich selbst und für meine Mitmenschen wichtig. Das Tragen der Maske schützt mich, aber vor allem andere. Wir wissen ja, dass selbst der einfache Mund-Nasenschutz, wenn er richtig getragen wird, im Alltag schützt. Das Einhalten der AHA + L-Regeln ist in der kalten Jahreszeit das Wichtigste. Wenn wir das mit einigen unserer Nachbarländer vergleichen, muss man sagen, dass die Regeln bei uns ja von den meisten Menschen eingehalten werden.  Dafür sprechen unsere Infektionszahlen und auch die relativ geringen Todesfälle im Verhältnis zu anderen Ländern. 

M. Kirchhoff: Normalerwiese ist der Winter die Zeit für Husten und andere Erkältungskrankheiten.
Die sieht man zur Zeit gar nicht so. Hängt das evtl. mit dem Tragen der Masken zusammen?

Prof. Massenkeil: Als der Lockdown Mitte März eintrat, konnte man nach zwei Wochen bei der Messung
der Infektionszahlen, die saisonal auftreten, eine abrupten Abfall auf fast Null sehen. Deshalb glaube ich, dass wir in diesem Jahr viel weniger Patienten haben werden, die an der klassischen Grippe erkranken. Das ist zum einen der Tatsache geschuldet, dass mehr Menschen impfbereit sind, und zum anderen die Maske einfach Übertragungen verhindert. 

M. Kirchhoff: Wie sehen Sie die Zukunft in Bezug auf die Pandemie? Sehen Sie ein Ende? 

Prof. Massenkeil: Ich denke, die Pandemie wird uns mindestens diesen Winter begleiten. Sehr wichtig ist es, der Bevölkerung weiter zu vermitteln, dass die Maßnahmen zwar ein Eingriff in unsere freiheitliche Gesellschaft darstellen. Gleichzeitig werden durch genau diese Maßnahmen enorm viele Menschen vor dieser schweren Erkrankung gerettet. Es ist wirklich schlimm, wenn diese Menschen auf der
Intensivstation mit Luftnot um ihr Leben kämpfen. Ich würde mir wünschen, dass die Menschen auf seriöse Informationsquellen zurückgreifen und nicht dem glauben, was zum Teil an absurden Dingen im Internet steht. Die Impfungen, die jetzt in kurzer Zeit auf uns zukommen, die sind tatsächlich ein Signal der Hoffnung für mich. Wenn das eine effektive Impfung ist, dann denke ich, kann man das Virus unter Kontrolle bekommen. Aber das ist ein optimistischer Blick in die Zukunft. 

Herr Professor Massenkeil, vielen Dank für das Gespräch. Und bleiben sie gesund.