Ein ganz besonderes Rathaus

Dem »alten Rathaus« trauern noch heute einige Gütersloher nach. Nach über 100 Jahren wurde das Gebäude am Berliner Platz 1971 abgerissen, um die Stadt autogerechter und moderner zu machen. Aber schauen wir doch einmal in die Geschichtsbücher…

Das 1863/64 erbaute »alte« Rathaus war das erste Rathaus Güterslohs. Die Summe von 12.400 Reichstalern für den Bau des repräsentativen Gebäudes wurde zum Großteil aus dem Stiftungsvermögen des 1858 verstorbenen Kaufmannes Heinrich Barth finanziert. Nach Barths Willen sollte das Rathaus mitten in der Stadt errichtet werden. Also begannen 1863 auf dem Grundstück des Gastwirtes Caspar Stock im damaligen Zentrum von Gütersloh die Bauarbeiten. Mit der Leitung wurde der Architekt Christian Heyden beauftragt, der auch für den Bau der kurz zuvor fertiggestellten Martin-Luther-Kirche (damals hieß sie noch Neue Kirche) verantwortlich war.

Das Rathaus wurde - wie die Martin-Luther-Kirche - im neugotischen Stil errichtet. Die aufwändige Fassade mit den beiden Rathaustürmen, die doppelläufige Freitreppe und die extravagante Fenstergestaltung waren etwas ganz Besonderes für das damals gerade 4.000 Einwohner umfassende Gütersloh.

Das Gebäude entsprach mit seiner schlossähnlichen Gestaltung sicherlich dem Ehrgeiz der aufstrebenden Stadt und ihrer Bürger, denn so trug es seine bürgerlichen und hoheitlichen Aufgaben (Steuer- und Polizeibehörde, Stadtkasse, Ratssaal) auf den ersten Blick nach außen. Neben der Stadtverwaltung fanden hier auch die Gerichtskommission, eine Wohnung für den Polizeidiener, aber auch die Wohnung des Bürgermeisters Platz. Bei der Totalrenovierung im Jahre 1909 wurden die Turmecken mit Adlern verziert und die Fenster neugestaltet.

Stadt und Verwaltung wuchsen. Einzelne Behörden wurden in anderen Gebäuden untergebracht. Ein Wettbewerb für den Neubau eines Rathauses konnte aufgrund des Kriegsausbruchs nicht mehr ausgeführt werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Rathaus endgültig zu klein für die komplette Stadtverwaltung. 1963 wurde beschlossen, das Rathaus aufgrund seines maroden Zustandes abzureißen. Außerdem passe es ohnehin nicht mehr ins neue Stadtbild: Die umgebenden Fachwerkhäuser waren bereits moderner Bebauung gewichen. Der Hertie-Neubau mit dem angrenzenden Parkhaus prägte den Berliner Platz. 1970 wurde endgültig beschlossen, das Rathaus abzureißen. 1971 wurde das Gebäude innerhalb von nur fünf Tagen dem Erdboden gleichgemacht. Allerdings gab es 2003 ein Wiedersehen mit dem »alten« Rathaus. Im Rahmen des Städtewettbewerbs »Ab in die Mitte« wurde das Gebäude mit Hilfe von an Stahlgerüsten aufgehängten Planen, die das historische Rathaus in Originalgröße zeigten, zumindest rein optisch noch einmal zum Leben erweckt.