Unterwegs durch Äthiopiens Norden

Äthiopien ist kein typisches Touristenziel. Das Land am Horn von Afrika birgt aber so viele Schätze, dass sich eine Reise unbedingt lohnt. Unsere Redakteurin Sybille Hilgert war mit einer Gruppe im historischen Norden des Landes unterwegs. Hier befinden sich allein vier von neun Unesco-Welterbestätten Äthiopiens (Axum, Lalibela, der Simien Mountain Nationalpark sowie die Palastanlage des Kaiser Fassilidas).

Nach der Landung in der Millionenstadt Addis Abeba wird man sofort von den unterschiedlichsten Eindrücken überwältigt. Die Stadt liegt 2.500 Meter hoch, das Klima ist angenehm. In der Stadt sind Menschenmassen auf den Straßen unterwegs. Halbfertige Hochhäuser, bei denen man sich fragt, ob sie jemals weitergebaut werden, stehen neben Wellblechverschlägen, in denen z.T. ganze Familien leben. Auf der Bole Road gibt es sogar Shopping-Malls, deren Luxusangebot in diesem Umfeld verstört. All das beeindruckt und bedrückt gleichzeitig. Eine Gefühlsmischung, die die ganze Reise begleiten wird.

Von Addis Abeba führt die Route zum Kloster Debre Libanos. Bei der Zwischenstation in einer Lodge machen wir Bekanntschaft mit Dscheladas, den äthiopischen Blutbrustpavianen, und bekommen bei der Wanderung zur sog. Portugiesischen Brücke erste Eindrücke von der unglaublichen Landschaft. Danach geht es mit dem Bus weiter zum Tana See. Der ist zwar nur 180 Kilometer entfernt, aber da die Strecke über etliche Berge führt und die Straße in vielen Fällen eher einer Schotterpiste ähnelt, dauert die Fahrt sechs Stunden. Busfahrer Antan (best busdriver ever!) fährt wie ein Weltmeister und weicht Menschen, Eseln und Ziegen gekonnt und auf den Millimeter genau aus. Dank Antan und dem sehr robusten Bus kommen wir in Bahir Dar am Tana See (und auch an allen unseren anderen Zielen) heil an. Die Fahrt über den Tana See führt uns zu einer der im See befindlichen 40 Inseln. Dabei wird die Größe dieses höchstgelegenen afrikanischen Sees (er hat eine Fläche von mehr als 3.000 Quadratkilometern) sehr deutlich.

Vom Tana See aus geht es zu den Wasserfällen des blauen Nil. Auf dem Weg dorthin begegnen uns Menschen, die mit beladenen Eseln, Ziegen und Schafen zum Markt gehen. Äthiopischer Alltag. Während wir in stabilen Wanderschuhen über die teils sehr unebenen Wege gehen, sind die Äthiopier in Plastikschuhen, Schlappen oder gar barfuß unterwegs und dabei sehr viel behender als wir. Die Wanderung wird mit einem grandiosen Ausblick auf die tosenden Wasserfälle belohnt. Beim Rückweg über eine stark schaukelnde Hängebrücke kommt tatsächlich ein wenig Indiana-Jones-Feeling auf. Wir fahren weiter nach Gondar, wo wir die weitläufige Palastanlage des Kaisers Fassilidas bewundern, die sogar über eine Bibliothek und ein Dampfbad verfügte.

 

 

 

Das nächste Naturerlebnis wartet im Simien Mountain Nationalpark. Zunächst geht es in die höchste Lodge Afrikas, dann begeben wir uns in den Park. Immer begleitet von vier bewaffneten Rangern, die uns vor angriffslustigen Tieren schützen sollen, die aber hauptsächlich damit beschäftigt sind, eine kleine Gruppe von Kindern, die Andenken verkaufen wollen, zu verscheuchen. Leider spielt das Wetter nicht mit, es ist diesig und bedeckt. Aber wenn der Himmel aufreißt, sieht man die unfassbar weite Landschaft, durchzogen von Canyons und unglaublich grün.

In Axum besuchen wir den Stelenpark, riesige Steinsäulen, die auf den Gräbern axumitischer Könige stehen. Ebenfalls in Axum befindet sich die Marienkathedrale. In deren Kapelle soll angeblich die Bundeslade mit den 10 Geboten liegen. Und noch eine Legende: Wir schauen uns die Ruinen eines Palastes an, der der Königin von Saba gehört haben soll.

Per Flugzeug geht es nach Lalibela. (Eine Fahrt mit dem Bus hätte übrigens zwei Tage gedauert) Und hier wartet mein persönliches Highlight der Reise: Die Felsenkirchen. Sie wurden im 13. Jahrhundert von Menschenhand aus monolithischen Felsblöcken geschlagen. Es ist unglaublich, dass diese gewaltigen Gebäude ohne maschinelle Hilfe entstanden sind.

Zurück in Addis Abeba machen wir einen Rundgang über den
»Mercato«. Auf diesem Markt werden nicht nur Gewürze, Lebensmittel oder Haushaltsbedarf verkauft. Hier wird recycelt nach allen Regeln der Kunst: Steckdosen werden auseinandergebaut und neu zusammengesetzt, Eisen werden armiert, alte Schuhe aufgearbeitet. Der Tag schließt in einem Restaurant mit typisch äthiopischem Essen und folkloristischen Tanzperformances. Am letzten Tag besuchen wir einen gerade neu eröffneten Park, in dem das Land, seine Geschichte und seine Völker, Tiere und Pflanzen gezeigt werden. Wahrscheinlich sind wir die ersten Touristen, die hier unterwegs sind. Nach einem Besuch im Restaurant Lucy, dessen Name auf das älteste weibliche Skelett der Welt, das in Äthiopien gefunden wurde, zurückgeht, verabschieden wir uns von Addis Abeba und Äthiopien. Bereichert, berührt, nachdenklich und voller Hoffnung für dieses Land, dessen Ministerpräsidenten Abiy Ahmed in diesem Jahr den Friedensnobelpreis bekommt.