Leidenschaft Musik

 

Es ist ein Mittwochabend Ende September, kurz nach 18 Uhr. Der Vortragssaal in der Musikschule der Stadt Düren hat sich gefüllt, die rund 50 Musikerinnen und Musiker des Sinfonischen Blasorchesters (SBO) sitzen an ihren Plätzen und warten gespannt auf die anstehende Probe. Auf den Pulten liegt ein Stück namens »Arcus – A Daydream«. In der Kopfzeile: »Dedicatet to Musikverein Avenwedde/Guetersloh for the 100th Anniversary 2011«. Wenig später zählt Orchesterleiter Renold Quade ein. Andante. Mäßig langsam.

Nein, wir sind nicht das neue Stadtmagazin der Stadt Düren. Auf die Geschichte sind wir vielmehr durch eine Anhäufung von Zufällen gestoßen und ihr nachgegangen. Das hat uns aus dem Rheinland – natürlich – zurück nach Gütersloh geführt. Genauer gesagt zum Musikzentrum Stiftung Altewischer in Avenwedde. Dort ist der Komponist des Jubiläums-Werkes, das im gesamten deutsch- sprachigen Raum, aber auch in vielen euro- päischen und asiatischen Ländern von Orches- tern geprobt und aufgeführt wird, heute beschäftigt. Carl war zu Besuch bei Thiemo Kraas – dem Musikpädagogen, Dirigenten und musikalischen Leiter des Musikkorps Avenwedde.

 

Als Thiemo Kraas sein erstes Dirigat im örtlichen Musikverein im Sauerland übernimmt, ist er gerade einmal 19 Jahre alt. Geprägt durch eine sehr musikalische Familie wurden die Grundlagen
dafür sehr früh gelegt – ähnlich, wie er es heute beim Jugendmusikkorps in Avenwedde (JMA) Kindern ab 5 Jahren vorlebt und vermittelt. Auch er durfte viel Musik machen, »ganz klassisch kam als erstes die Blockflöte, ich wollte aber auch unbedingt Schlagzeug spielen«, erinnert er sich. Das tat er auch ab dem Alter von neun Jahren. Parallel zum Abitur besuchte Thiemo Vorbereitungskurse für das Musikstudium, das sein nächstes Ziel war. Im Jahr 2005 konnte er dann aus drei Hochschulen wählen – und ging nach Detmold. Neben dem Hauptfach Schlagzeug und den Schwerpunkten Musikpädagogik, Musiktheorie
und Gehörbildung entwickelte sich eine weitere Leidenschaft: Das Dirigieren. »Ich habe auch neben dem Studium immer versucht, noch mehr mitzunehmen und habe viele Meisterkurse im Dirigat besucht«, sagt er. Fleißig war er also schon immer. Und genau das führt uns zurück zu unserer Geschichte aus Düren. Bereits die erste kompositorische Arbeit wurde in den Niederlanden von einem Verlag verlegt. »Das Stück entstand aus einem Gefühl heraus nach einem Unfall einer Bekannten im Jahr 2000«, erinnert er sich noch gut. »Ich habe darin damals einen Weg gefunden, das zu verarbeiten«. Ein emotionaler Ansatz in den Kompositionen, den man durchaus fühlen kann, wenn man die Stücke spielt oder hört. Auch das mag ein Grund sein, warum so viele Orchester- und Ensembleleiter weltweit gerne auf das Material zurückgreifen. 

Wegweisend war auch die Teilnahme am Wettbewerb »Jugend komponiert« mit Thiemos zweitem Werk, das aus dem Stand prämiert wurde. Ein Preis: Die Zusammenarbeit mit dem Rundel Musikverlag, der sich seit seiner Gründung im Jahr 1964 zu einem renommierten Spezialverlag für Blasmusik entwickelt hat. Dort erschien im Jahr 2012 auch der »Arcus«, jenes Stück zu Ehren des Musikvereins Avenwedde-Gütersloh und seinem Dirigenten Elmar Westerbarkey – und eine »Auftragsarbeit mit Heimvorteil«. Denn seit 2008 ist Thiemo Kraas mit wachsender Stundenzahl beim Jugendmusikkorps, der eigenständig arbeitenden Jugendabteilung des Musikvereins, als musikalischer Leiter tätig. Beim Antritt in Avenwedde war er gerade einmal 23 Jahre alt.

Heute kümmert er sich vor Ort – neben unzähligen Gastdirigaten im Bundesgebiet – um rund 200 Kinder und Jugendliche. Vier Orchester gibt es mittlerweile, dazu musikalische Früherziehung und Instrumentalunterrichte für eine entsprechend breit gefächerte Ausbildung. Ein beeindruckendes Gesamtkonstrukt, wie wir finden. »Wir definieren uns über die musikalische und charakterliche Ausbildung junger Menschen«, umschreibt Thiemo den pädagogischen Ansatz grob. Die Symbiose aus Musik und Gemeinschaft ist spürbar. Bei den Proben, auf der Bühne und auch in der Freizeit. Hier kommen Menschen zusammen, die für die Musik brennen. »In unserer schnelllebigen Zeit habe ich auch manchmal das Gefühl, dass die Kinder es heute noch viel mehr als früher genießen, einmal ohne die vielen Einflüsse von außen zu sein und sich einer gemeinsamen Aufgabe zu widmen«. Das klingt wie ein Mikrokosmos, in den auch wir hin und wieder gerne eintauchen würden.

Auf der anderen Seite  stehen bis zu 50 Auftritte im Jahr auf dem Plan. »Das ist kein leichtes Hobby für nebenbei«, bemerkt Thiemo. Es ist ein Hobby, das man ernst nehmen muss. Auch das ist ein Teil des Lernens für die jungen Menschen. Das war schon kurz nach der Gründung vor gut 49 Jahren so. Für die damalige Zeit als außergewöhnliches Projekt der Nachwuchs-Förderung gefeiert, kamen schnell die ersten Einladungen zu Kurkonzerten und zahlreichen anderen repräsentativen Anlässen – Mitte der 80er Jahre waren bereits fünf Schallplatten aufgenommen und das JMA sehr populär unterwegs. Und auch, wenn es diesbezüglich etwas ruhiger geworden ist, ist das Konzept immer dasselbe geblieben. Trotz immer professionellerer Strukturen lebt der Verein in der Hauptsache vom Ehrenamt. »Das ist ganz wunderbare Arbeit, die man nicht hoch genug schätzen kann«, sagt Thiemo über sein Arbeitsumfeld.

Dabei versucht der Verein, immer am Zahn der Zeit zu sein, der Individualität viel Raum zu geben und sich immer wieder selbst zu hinterfragen. All das lässt ein gewisses Maß an Ernsthaftigkeit entstehen, was auch gesellschaftlich ein hohes Gut ist. Thiemo Kraas hat genau das mit seiner angenehmen Art, auf die Menschen zuzugehen, viele Jahre lang mit den vielen Ehrenamtlichen geprägt und gefestigt. Und von hier aus seine Kompositionen der letzten Jahre in die Welt geschickt.

 

Text: Benedikt Hensdiek
Fotos: © Thiemo Kraas