OSTWESTFÄLISCHERFRANZOSE

Carl hat Besuch von Dominique Paulin

Wenn Gott in Frankreich lebt, warum kommt dann ein Franzose  per One Way Ticket nach Ostwestfalen und bleibt für – bis heute gezählt – 36 Jahre? Eine Frage, die mich eine Weile beschäftigt hat. Um Antworten zu finden, habe ich den »Ostwestfälischen Franzosen« Dominique Paulin zu uns nach Gütersloh eingeladen. Zu einem Gespräch, in dem er über die Region, sein Leben und die Liebe zu Gütersloh ge- sprochen hat. Carl ist in dieser Ausgabe also nicht zu Besuch, sondern versucht, ein guter Gastgeber zu sein. Und das hat gut geklappt, denn die Stadt bietet selbst an einem frühen Donnerstag-Nachmittag eine Menge Anlaufpunkte.

 

Unsere erste Station ist der City-Markt auf dem HVP. Etwas Neues für den aufgeweckten Franzosen, der sonst eher in den Abendstunden in der Stadt ist. »Aber ich bin begeistert, das ist ein Lebensgefühl wie in Frankreich«, witzelt er. Aber man nimmt ihm das ab. Dominique ist ein Mensch, der sehr geradeaus über seine Gefühle spricht. Er zeigt es, wenn er sich ärgert. Und wenn er sich freut erst recht. Das macht ihn zu einem kritischen Gesprächspartner. Und genau den habe ich gesucht.Die zündende Verbindung in die Region hat die Städtepartnerschaft zwischen Bielefeld-Senne und der französischen Stadt Concarneau ausgelöst. Dort wuchs er auf, bevor es ihn am 27. Oktober 1979 nach Ostwestfalen-Lippe zog. 341 Französische Franc hat ihn die Fahrt im Zug gekostet. Das Ticket trägt er an diesem Nachmittag bei sich – es ist der Link zwischen alter und neuer Heimat.

Die war zunächst einmal die Leineweberstadt Bielefeld. Ein Praktikum bei der Sparkasse in Sieker, danach 6 ½ Jahre im Rechenzentrum in Bethel. Die ersten Kontakte nach Gütersloh brachte später eine Umschulung zum Reiseverkehrskaufmann, die er gefördert vom damaligen Arbeitsamt Gütersloh in Isselhorst machte. Das sprachliche Talent – auch heute spricht »Domi« noch fließend englisch, deutsch und französisch – eröffnete ihm zahlreiche Chancen in der Branche. In Bezug auf Gütersloh erinnert er sich aus dieser Zeit besonders an die vielen Sonntage mit Weberei-Frühstück und -Flohmarkt. Außerdem an Miele und Bertelsmann. »Wirklich kennen und lieben gelernt habe ich die Stadt erst viel später«, sagt er.

Das begann im Rahmen der »Langennachtderkunst« im Jahr 2013. »Mein guter Freund Ennio hat mich mitgenommen und wir sind kreuz und quer durch die Stadt gelaufen, weil wir den alten Kirchplatz nicht gefunden haben. Auch so kann man Straßenkenntnisse erwerben. Das eigentliche Ziel war das Haus der Bürgerstiftung, wo der Gitarrist Jay Minor mit dem Autoren dieser Zeilen für den musikalischen Rahmen sorgte. Ein Treffen mit Nachwirkung, denn seitdem Domi ganz andere Seiten der Stadt kennen gelernt hat, ist er deutlich mehr in Gütersloh, als in der Nachbarstadt Bielefeld.

Besonders die kulturelle Vielfalt führt unseren Hobby-Gitarristen, den wir in der letzten Ausgabe als Musiker im Rahmen der Reihe GT:Rockt vorgestellt haben, her. »Egal ob auf dem Dreiecksplatz, im Gütersloher Brauhaus zur Acoustic Session oder in diesem Jahr auch zum ersten Mal zu Konzerten des Gütersloher Sommers: Es wird echt viel angeboten hier«, erzählt er. Besonders in Erinnerung geblie- ben ist ihm auch ein Konzert von Uli Bögershausen im Angenete-Garten und ein Abend, an dem er die Wahl zwischen gleich drei Veranstaltungen hatte – und sich für alle entschieden hat.Inzwischen sind wir auf dem Weg zur MusikGalerie am Dreiecksplatz. Hier schaut er häufig vorbei, um ein paar Gitarren auszu- probieren oder zu fachsimpeln. Meist auf dem Weg zur Sprachschule Inlingua in der Hohenzollernstraße, wo er Sprachkurse gibt. Und dann sagt er einen Satz, der jeden Gütersloher staunen lässt: »Ich finde auch die Parksituation richtig gut, das ist in Bielefeld deutlich schwieriger«. Da kommt die französische Mentalität durch. Die hat er auch noch in sich. »Ich lebe auf dem einen Fuß die französische Kultur, auf dem anderen die deutsche«. Für ihn und sein Umfeld ist das eine absolute Bereicherung. Und dennoch fährt er nach Frankreich nur noch in den Urlaub, »und dann nach zwei Wochen wieder nach Hause«. Das ist seit 2007 in Stukenbrock, wo er aus beruflichen Gründen gelandet ist. »Der Wald dort erinnert mich an Süd-Frankreich, leider fehlt mir das Meer«.

Fast immer in der Hand hat Dominique Paulin seine Kamera. Fotografie ist eine wahre Leidenschaft, in der er von Herzen gerne die vielen Momente festhält, die er so genießt. In seinen Bildern teilt er seine Begeisterung für die Region, für Kunst und Musik.

Allein eines bedrückt ihn zurzeit: Aufgrund von massiven Stellenstreichungen seines ehemalige Arbeitgebers ist Domi auf der Suche nach neuen Heraus- forderungen. Mit drei ausgeübten Berufen, großer Begeisterungsfähigkeit, die ich während unseres Rundgangs durch Gütersloh einmal mehr erleben durfte, und 3 Sprachen fließend sollte sich da jemand finden – über spannende Angebote freut er sich natürlich!

Von außen betrachtet scheint es also wirklich so zu sein, dass Gütersloh wirk- lich lebenswert ist. Das sollten wir trotz aller Alltags-Problemchen nicht ver- gessen – und unsere Stadt jeden Tag aufs Neue genießen wie ein Franzose!

Text und Fotos: Benedikt Hensdiek