Der Letzte Cowboy
Carl zu Besuch bei Andre Niermann
Text: Benedikt Hensdiek
Fotos: Dominique Osea
Zu Zweitliga-Zeiten war der Song absolute Heidewald-Pflicht. Doch brauchte es eine Weile, bis tatsächlich ein letzter Cowboy seinen Weg an die Vereinsspitze des FC Gütersloh fand. Zwar hat der Cowboy seinen Stall mittlerweile in Steinhagen aufgebaut – die Liebe zum Verein und zu seiner Heimatstadt aber treibt ihn täglich an, behutsam einen Schritt nach dem anderen zu gehen. Der Unternehmer Andre Niermann ist ein Macher und einer, der nach vorne schaut. Er ist derjenige, der durch seine Art und sein Engagement ein positives Umfeld um den FCG geschaf fen hat und behutsam Vertrauen aufbaut. Carl hat ihn in seiner Firma besucht und besser kennen gelernt.
Vor allem ist Andre Niermann eines: Erfolgreicher Unternehmer. Der gelernte Kraftfahrzeug-Elektriker, der seine Firma im Jahr 1992 nebenberuflich gegründet hat, ist heute Kopf eines Weltunternehmens mit 65 Mitarbeitern am Standort Gütersloh. Und das beruhend auf einer recht simplen Idee: Der Instandsetzung von Anlassern und Lichtmaschinen für die Industrie. Begonnen hat er damit im Gebäude der alten Molkerei Strothmann, an der er sein erstes Firmenschild im Gründungsjahr selbst angebracht hat.
»Ich habe schon als Kind im elterlichen Betrieb Bauteile von Lichtmaschinen gereinigt und konnte Anlasser zusammenschrauben«, erinnert er sich. Und seine Geschäfts-Idee offenbarte einen riesigen Bedarf. Schon im Gründungsjahr wurden monatlich 150 bis 200 Aggregate deutschlandweit an etwa 80 Kunden geliefert. Nach zwei bis drei Jahren war das Unternehmen bundesweit etabliert. Was folgte ist der Beweis dafür, dass westfälische Einfachheit auch dazu dient, nicht von der Qualität des Produktes abzulenken. »Wir haben mit einem einfachen zusammengezimmerten Stand an der weltgrößten Automobilmesse Automechanika in Frankfurt teilgenommen. Wir waren der Stand, der am meisten zu tun hatte«, weiß Niermann zu berichten. Plötzlich war das kleine Gütersloher Unternehmen am internationalen Markt angekommen. Einziges Problem: Der Rückfluss an Altteilen, auf dem das Erfolgskonzept basierte, funktionierte nicht mehr. Durch Eigenproduktion und den Aufbau eines weltweiten Netzwerkes, das durch wertvolle Kontakte ermöglicht wurde, konnte hier Abhilfe geschaffen werden. Heute sind es 300 bis 450 Anlasser und Lichtmaschinen am Tag, die durch die Hände der Mitarbeiter gehen – an 1800 Kunden in 57 Ländern. Die Software für die Abwicklung der Aufträge programmiert Andre Niermann selbst, um die Firma unabhängig und flexibel zu halten. Auch das hat er sich in zahlreichen Stunden selbst beigebracht. Ein Macher eben.
Wie aber kommt jemand, der nach eigener Aussage in seiner Kindheit Anlasser gewaschen hat, während die anderen Fußball spielten, an den FC Gütersloh? Zunächst einmal durch soziales Engagement. »Ich bin irgendwann gefragt worden, ob ich Trikotsponsor werden möchte«. Er ließ sich darauf ein und förderte den Verein, wie auch viele weitere Projekte in der Stadt.
Vorsitzender des Vereins ist Andre Nier-mann schließlich geworden, da es keine Alternativen mehr gab. Seitdem hat er jeden Tag damit verbracht, Ruhe und Struktur zu schaffen. »Ich möchte den Verein in ein sicheres Fahrwasser bringen«, fasst er zusammen. Erst wenn das geschafft ist, kann der Blick nach oben gehen. Dafür sind maximal die ersten Weichen gestellt. Aber die Stimmung rund um den FCG ist eine positive, wie unter anderem die Trikotsponsor-Aktion »215 in 2015« zeigt, die auch Carl mit einer Patenschaft gerne unterstützt. Denn es tut sich endlich wieder etwas! Und das schafft Niermann mit einer ganz besonderen Leichtigkeit. »In Gütersloh wird viel zu oft gegeneinander, anstatt miteinander gearbeitet«, stört er sich am fehlenden Zusammenhalt in der Stadt. Er bricht das systematisch auf und schafft Ansatzpunkte für Verbindungen. So hat die Verpflichtung von Heiko Bonan als Trainer in Gütersloh hohe Wellen geschlagen und neue Aufmerksamkeit erzeugt. »Ich habe ihn einfach gefragt, ob er sich das vorstellen kann. Die komplette Trainer-Ausbildung war ja da, wieso sollte das also nicht gehen«, resümiert der Vorsitzende. Dirk van der Ven kam über diesen Weg gleich dazu. Eine perfekte Fügung, die stimmig war.
Die Etappenziele setzt sich Andre Niermann bewusst niedrig. Der Verein braucht eine stabile Basis ohne Altlasten und ein sicheres finanzielles Polster. Die Zuschauer sollen wieder Spaß am FCG haben und gerne in den Heidewald kommen. »Die lokalen Ligen bieten ja durchaus mehr Reiz und Spannung, als die Bundesliga. Den Spaß daran müssen wir wieder entdecken«.
Aber kommen wir noch einmal zurück zum Menschen Andre Niermann. Verheiratet mit zwei Töchtern (18 und 21 Jahre) hat es ihn in den letzten Jahren nach Steinhagen verschlagen. Dort hat er Platz für die Pferde gefunden, die seiner Familie wichtig waren. Er selbst reitet mittlerweile auch. Das hat er sich selbst beigebracht, versteht sich. »Ich habe immer gesagt, dass irgendwann ein Pferd kommt, das mich will«, erzählt er. Und es kam, leckte ihm durchs Gesicht und fand seine neue Heimat in Niermanns Stall.
Was sich nun tatsächlich anhört, wie die Geschichte vom letzten Cowboy, ist der perfekte Ausgleich zum Arbeitsleben. Alleine auf dem Rücken seines Pferdes macht er dann die Wälder um Steinhagen unsicher.