US-Botschafter beim Bertelsmann Forum

09.02.2011 Autor: Bertelsmann // Bertelsmann Kanal

US-Botschafter Philip D. Murphy, Generalkonsulin Janice C. Weiner, Liz Mohn, Tammy Murphy, Hartmut Ostrowski (v.l.)2=Philip D. Murphy (l.) im Gespräch mit Moderator Udo van Kampen3=Engagierter Redner: Philip D. Murphy4=US-Botschafter Philip D. Murphy

Diplomatie ist eine Kunst. So sagt es zumindest der Volksmund, der sich das Tageswerk von Gesandten anderer Länder nur schwer vorstellen kann und im Übrigen mit dem Begriff eher „diplomatisches Verhalten“ im persönlichen Umgang miteinander verbindet. Doch die wirkliche Diplomatie als Pflege der Beziehungen eines Landes zu einem anderen ist ein harter Job, ist eine hochkomplexe Aufgabe – vor allem in einer zunehmend globalisierten und digitalisierten Welt. Einen erhellenden wie unterhaltsamen Einblick in die „Diplomatie im 21. Jahrhundert“ bekamen die Gäste des Bertelsmann Forums in Gütersloh: Liz Mohn und Bertelsmann-Vorstandsvorsitzender Hartmut Ostrowski begrüßten den US-amerikanischen Botschafter in Deutschland, Philip D. Murphy, im Corporate Center der Bertelsmann AG.

„Es ist gute Tradition beim Bertelsmann Forum, für Themen mit Relevanz Personen von Bedeutung einzuladen – obwohl das heutige Thema gewöhnlich eher nicht im Rampenlicht steht“, leitete Thorsten Strauß, Leiter der Unternehmenskommunikation der Bertelsmann AG, den Auftritt seines hohen Gastes ein, der mit seiner Gattin Tammy sowie der Generalkonsulin Janice C. Weiner gekommen war. Diplomatie sei die sensible Kunst von Staaten, im respektvollen Umgang miteinander vernünftige und gangbare Lösungen zu finden. Doch habe sich mit der Internetplattform Wikileaks, aber auch mit Facebook und Twitter die Welt weit geöffnet. „Wie geht die Diplomatie mit dieser Herausforderung um?“, richtete Strauß seine Frage an das Publikum – darunter auch der Bertelsmann-Aufsichtsratsvorsitzende Gunter Thielen, weitere Bertelsmann-Vorstände und -Führungskräfte sowie interessierte Mitarbeiter und regionale Meinungsbildner aus Wirtschaft, Politik und Kultur. Und natürlich richtete er sie an Philip Murphy. Die Moderation der im Anschluss an Murphys Vortrag geplanten Diskussion übernahm wie schon öfter beim Bertelsmann Forum Udo van Kampen, Leiter des ZDF-Studios Brüssel.

Und den Zuschauern dürfte in der Tat während der ebenso locker wie konzentriert vorgetragenen, prall mit spannenden Einschätzungen gespickten Ausführungen des US-Botschafters so manche Frage für den zweiten Teil der Veranstaltung eingefallen sein. Um es vorwegzunehmen: Ja, der eloquente Gast aus der Bundeshauptstadt ging auch auf Wikileaks ein, die Internetplattform von Julian Assange, die durch die Veröffentlichungen vertraulicher Daten – vornehmlich der USA – in den vergangenen Monaten ein enormes Medienecho ausgelöst und damit unter anderem Murphy selbst in Erklärungsnot gebracht hat. Udo van Kampen sollte, gewiefter Journalist, der er ist, darauf später noch einmal zurückkommen. Doch im Mittelpunkt von Murphys Rede standen die vielfältigen und erkennbar komplexen Bemühungen der amerikanischen Außenpolitik, an vielen Stellen der Erde Präsenz zu zeigen, Einfluss zu nehmen und, wie er es formulierte, Dinge zum Besseren zu bewegen.

Dabei hätten sich für die USA die Bedingungen seit dem Ende des Kalten Krieges fundamental verändert. Denn während sich bis dahin die Außenpolitik und militärische Strategie des Landes nahezu ausschließlich auf Deutschland gerichtet habe, stünden sich die USA und Deutschland nun „auf Augenhöhe“ gegenüber und bemühten sich gemeinsam um Probleme auf der ganzen Welt. Und, an Liz Mohn gewandt, der er zuvor seine Anerkennung für ihre Arbeit und für das beeindruckende Lebenswerk ihres Mannes Reinhard Mohn ausgesprochen hatte, sagte er: „Das auf Prinzipien wie Fairness, Ehrlichkeit, Integrität und Respekt basierende Bertelsmann-Konzept der gesellschaftlichen Verantwortung hebt wichtige gemeinsame Werte hervor.“ Werte, die ebenso die allgemeinen Ziele der Diplomatie beschreiben könnten. Insgesamt aber spiele sich die Diplomatie im 21. Jahrhundert in einem multidimensionalen Raum ab – Murphy verglich die Beziehungen der Staaten in ihren verschiedenen Ausprägungen und Kräfteverhältnissen mit einer Ansammlung von Schachbrettern, die gleichzeitig zu bespielen seien. Doch in vielen Bereichen – Pandemien, Klimawandel, Drogenhandel, internationaler Terrorismus – gebe es zahlreiche und vor allem immer mehr Spieler, ohne deren konzertierte Aktionen nichts vorankomme.

 

So sei auch der Wandel zu verstehen, der sich bei der Auswahl der diplomatischen Mittel innerhalb der jüngeren Vergangenheit ergeben habe. „Die Verhaltens- und Vorgehensweisen in der internationalen Diplomatie sind heute unverhältnismäßig komplexer als jemals zuvor“, so Murphy, wie auch US-Präsident Barack Obama auf seinen ersten Auslandsreisen habe feststellen müssen. Dazu gehöre auch, dass ein Staat bei internationalen Verhandlungen zunehmend auf innenpolitische Belange Rücksicht nehmen müsse.

„Diplomatie ist harte Arbeit“, fuhr Philip D. Murphy fort. Wie hart, habe sich in den vergangenen zwei Wochen bei den Unruhen in Nordafrika gezeigt. Die USA würden sich etwa bei der ägyptischen Regierung dafür einsetzen, so Murphy, dass diese auf die legitimen Sehnsüchte des Volkes eingeht und konkrete Schritte unternimmt, demokratische und ökonomische Reformen einzuleiten. Doch würden auch Gespräche auf anderen Ebenen geführt, die für einen friedlichen Wandel sorgen könnten. „Dies ist eine große Gelegenheit – und die ganze Welt schaut aufmerksam zu“, rief der US-Botschafter. Nicht umsonst habe die US-Außenministerin Hillary Clinton – „neben Mr. Obama mein zweiter Boss“, so Murphy – ein neues, nachhaltiges Konzept für die US-Diplomaten in aller Welt entworfen. Es setze zum einen auf die bewährte Partnerschaft mit verschiedenen Ministerien eines Staats, zum anderen aber auch auf eine effektive Partnerschaft mit nicht von der Regierung gesteuerten Organisationen und dem privaten Sektor. „Auf diese Weise können wir überall Stabilität und Wohlstand fördern“, sagte der US-Botschafter. Gekoppelt mit sensibler Diplomatie könnten so fragile Staaten gestärkt und ihr Aufstieg zu einem leistungsfähigen Partner unterstützt werden, die in ihrer Region oder darüber hinaus Probleme lösen helfen könnten – zum Wohle der Demokratie und der Menschenrechte.

Haiti, Afghanistan, Usbekistan: Die Liste von Brennpunkten in der Welt, die Philip D. Murphy im weiteren Verlauf seines Vortrages ansprach und anhand derer er das dortige US-Engagement beschrieb, setzte sich fort. In jedem Falle aber sei in der modernen Diplomatie das Schaffen und das Pflegen eines persönlichen Netzwerkes unabdingbar. Facebook, Youtube, Twitter – „das Internet hat die Welt verändert, und das schließt die Welt Diplomatie mit ein“, sagte der Botschafter und benannte die Krisenherde Tunesien und Ägypten, in denen die digitale Kommunikation eine ganz besondere Rolle einnehme. Leider gehöre auch Wikileaks zu den neuen Herausforderungen, kam Murphy selbst, zumindest seinem Amt entsprechend diplomatisch vorsichtig, auf einen für die USA eher schwierigen Punkt zu sprechen. Doch durch eine schwerwiegende Sicherheitslücke seien vertrauliche Dokumente veröffentlicht worden, bevor der richtige Zeitpunkt gekommen sei, dies zu tun. Auch Ärzte, Rechtsanwälte oder Journalisten seien auf Vertrauen angewiesen, Diplomaten stünden hier nicht allein. „Wenn es etwas Gutes an Wikileaks gibt, dann ist es der Umstand, dass die Menschen nun aufmerksamer auf das geworden sind, was Diplomaten wirklich tun“, schloss Philip Murphy seine Ausführungen. „Diplomatie bedeutet Dialog und Kommunikation, Diplomatie bedeutet Vertrauen und Diskretion – darum berührt Wikileaks nicht nur die US-amerikanische Außenpolitik, sondern die gesamte internationale Gemeinschaft. Aber auch das ist Diplomatie im 21. Jahrhundert.“

In der anschließenden Diskussion versuchte Moderator Udo van Kampen dann natürlich noch einmal nachzuhaken. Mit einem freundlichen Lächeln sprach er den gut gelaunten und zwischendurch immer wieder auf Deutsch parlierenden Diplomaten auf konkrete Formulierungen an, die laut Wikileaks von US-Seite der deutschen Bundeskanzlerin oder dem deutschen Außenminister zugedacht worden waren – gleichzeitig lobte van Kampen die Offenheit, mit der Murphy nach der Veröffentlichung der sensiblen Daten auf die Medien zugegangen sei. „Wikileaks hat diese Informationen gestohlen“, bekräftigte der US-Botschafter und fügte hinzu, dass er sich freue, dass offensichtlich durch die Besonnenheit der beteiligten Medien niemand ernsthaft zu Schaden gekommen sei. Um dann ehrlich hinzuzufügen: „Ich bin aber ebenfalls erleichtert, dass das Schlimmste in dieser Sache nun wohl vorbei ist.“ Dies quittierte das aufmerksame Publikum mit Applaus, um dann weitere Fragen zu stellen, die mit Wikileaks nichts mehr zu tun hatten. Bei dieser Gelegenheit erfuhren sie unter anderem, dass Murphy ein ausgeprägter Fußballfan ist und sogar ein Team in New York besitzt – ein Frauenteam namens Sky Blue FC. Die Damen spielen immerhin in der „Womens Professional Soccer“, der 2009 gegründeten höchsten Spielklasse des US-amerikanischen Frauenfußballs. Das Team von Philip Murphy gewann übrigens auf Anhieb die Meisterschaft. Immer nur Schach ist eben doch langweilig.