Mensch versus Maschinenintelligenz
01.03.2017 Autor: Bertelsmann // Bertelsmann Kanal
Stephan Meier las im Gütersloher Bambi-Kino aus seinem Debütroman und Digital-Thriller „Now“
Gütersloh, 1. März 2017 - Maschinen, die über die Existenz von Menschen entscheiden? Eine künstliche Intelligenz, die alle Lebensbereiche kontrolliert? Kybernetische Implantate, die jeden unserer Schritte überwachen? Es ist ein verstörendes Bild, das Stephan R. Meier in seinem Debütroman „Now“ von der Zukunft zeichnet. Aber eines, das angesichts des rasanten technologischen Fortschritts gar nicht mehr so abwegig klingt. Wie sehr die Auswirkungen des digitalen Wandels die Gemüter bewegen, zeigte sich beim Auftritt des Münchener Autors im Rahmen der Bertelsmann-Lesereihe BELESEN. Der Stoff des Thrillers regte Zuschauer im vollbesetzten Gütersloher Bambi-Kino zu einer ausführlichen Diskussion über Chancen und Risiken der Maschinenintelligenz an.
Anders als viele Science-Fiction-Plots, spielt der zentrale Handlungsstrang von „Now“ nicht in einem fiktiven Sternenzeitjahr oder einer weit, weit entfernten Galaxis, sondern in unserer Jetzt-Welt. 2026 setzt die US-Regierung einen intelligenten Algorithmus ein, um die außer Kontrolle geratenen Krisen unserer Zeit – Kriege, Terrorismus, Verarmung, Hungersnöte, Umweltzerstörung – zu beenden und eine neue Ära des Friedens und der Harmonie einleiten. In seinem Auftrag, die Menschheit zu retten, vernichtet das Maschinenhirn jedoch binnen kurzer Zeit die Existenzgrundlage von 99 Prozent der Weltbevölkerung, indem es sie von Strom, Wasser und Informationen abschneidet. Milliarden Menschen gehen durch Gewalt, Zerstörung und Erschöpfung zugrunde, die wenigen Überlebenden vegetieren in einer Welt, irgendwo im Stadium zwischen Steinzeit und Mittelalter.
Nur die besonders intelligenten, kreativen oder anderweitig wertvollen Menschen werden vom Algorithmus ausgewählt, um ein luxuriöses und entscheidungsfreies Leben in einer paradiesischen, abgeschotteten Metropole namens Eden zu führen. Das funktioniert 30 Jahre lang gut. Bis Spark, Sohn eines „Now“-Entwicklers und Protagonist des Buches, nicht nur die gefährliche Allmacht des Algorithmus durchschaut, sondern auch mit der anderen, verwahrlosten Welt in Berührung kommt. Angetrieben von der Liebe zu einer Frau, die von „Now“ nicht akzeptiert wird, nimmt er den Kampf gegen die Super-KI auf.
Eine iPod-Nachricht als Auslöser
Der technische Fortschritt habe ihn schon immer fasziniert, sagt Meier, dessen Vater in den 1970er Jahren Präsident des bundesdeutschen Verfassungsschutzes war. Obwohl er also schon als Kind mit Geheimdiensten und Überwachung in Berührung kam und in den 1990er Jahren zwei Sachbücher aus diesem Themenumfeld veröffentlicht hat, gab ein anderes Erlebnis den Ausschlag für sein erstes Romanprojekt: 2011 schenkte er seiner jüngsten Tochter einen iPod. „Als sie mir von dem Gerät eine Mail geschickt und sich bedankt hat, war ich irritiert. Ich wollte verstehen, wie das funktioniert und welche Prozesse im Hintergrund laufen“, verrät der Autor.
Knapp sechs Jahre lang hat Meier für seinen ersten Roman recherchiert, vor allem bei den großen Internetunternehmen und Forschungszentren in den Vereinigten Staaten. Die Entschlossenheit und die Höhe der finanziellen Mittel, die Google, Facebook, Amazon und Apple in die Weiterentwicklung von Big Data und künstlicher Intelligenz investieren, habe ihn beeindruckt – und in eine widerstreitende Gefühlswelt versetzt: „Anfangs war ich erschrocken beim Gedanken daran, wie sehr diese Technologien unser Leben schon bald bestimmen könnten. Andererseits ist mir klar geworden, wie viel Potenzial für positive Veränderungen darin steckt.“
Was ihm Sorgen bereite, seien nicht die technischen Möglichkeiten an sich – sondern „die Plan- und Hilflosigkeit, mit der Regierungen, Parlamente und Institutionen wie die EU der digitalen Revolution gegenüberstehen.“ Es fehlen die rechtlichen, ethischen und moralischen Leitplanken, um die größtenteils noch unbekannten Kräfte, die durch Algorithmen freigesetzt werden, in für den Menschen nützliche Bahnen zu lenken. Die Singularität, also der Zeitpunkt, an dem die künstliche Intelligenz die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns erreichen wird, sei „seit der allerersten Zellteilung das größte Ereignis in der Menschheitsgeschichte“, so Meier. „Darauf müssen wir vorbereitet sein.“
„Wir haben es selbst in der Hand“
Dass aus seinem düsteren „Now“-Szenario Realität wird und Maschinen über Menschen bestimmen, daran glaubt er allerdings nicht. „Aufgrund unserer Empathie, Kreativität und Intuition werden wir Maschinen immer überlegen sein. Die große Mehrheit wird auch keine emotionalen Bindungen zu Maschinen aufbauen. Wir Menschen sind so gemacht, dass nur der Umgang mit anderen Menschen uns ausfüllt, nicht das Benutzen eines seelenlosen Gerätes.“ Trotzdem möchte er mit seinem Buch einer „Es wird schon gut gehen“-Haltung vorbeugen. „Wenn wir es nicht schaffen, das Ruder herumzureißen und die Probleme unserer Welt anzupacken, macht es eines Tages vielleicht wirklich ein Algorithmus. Wir haben es selbst in der Hand, die Zukunft zu gestalten und die digitalen Technologien vernünftig zu nutzen. Aber dafür braucht es eine kritische Masse. Einige wenige alleine schaffen es nicht.“
Deshalb sei die öffentliche Debatte über künstliche Intelligenz und ihre Auswirkungen von entscheidender Bedeutung, betonte der Autor. Im Kleinen spiegelten sich diese Auseinandersetzungen in der Diskussion nach Meiers Lesung. Die Beiträge der Zuhörer reichten vom Einfluss von Algorithmen auf politische Entscheidungen über die datenbasierte Auswahl von Bewerbern bis hin zur Frage, wann und wie sehr man die eigenen Kinder mit digitalen Technologien in Berührung kommen lässt. Seine ältere Tochter, 25 Jahre, habe die Lektüre von „Now“ zutiefst verunsichert, verriet Meier. „Sie ist ein richtiger Smartphone-Junkie. Nun denkt sie zum ersten Mal darüber nach, was mit all ihren Daten geschieht und was dahintersteckt. Sie habe ich auf jeden Fall gepackt.“