„Kein Mitleid, sie haben es verdient“ - Bernhard Aichner las im Bambi

31.10.2014 Autor: Bertelsmann // LoCarl

Bild: Bertelsmann, Fotograf Kai-Uwe Oesterhelweg

Es war eine Premiere in der mittlerweile elfjährigen Geschichte der BENET-Lesereihe BELESEN: Mit dem Österreicher Bernhard Aichner kam am Mittwochabend der erste nicht aus Deutschland stammende Autor ins vollbesetzte Gütersloher Bambi. Verständigungsprobleme zwischen dem BTB-Autor und seinem Publikum gab es natürlich trotzdem nicht, im Gegenteil, beide waren voll auf einer Wellenlänge. Aichners Sprache, die witzige und auch selbstironische Art, mit der er die eigentlich grausamen Geschehnisse seines Buches vortrug und kommentierte, fanden beim Publikum viel Anklang. Gelächter, Zwischenapplaus und nicht zuletzt eine lange Schlange beim abschließenden Büchersignieren waren das Ergebnis.

Zuvor hatten die rund 160 Zuhörer anderthalb Stunden lang Aichners Hauptfigur, die Bestatterin Brünhilde Blum, auf ihrem Rachefeldzug begleitet. Denn Aichner hat eine Mörderin zur Hauptfigur seines Romans „Totenfrau“ gemacht, den BTB im März dieses Jahres veröffentlichte. Bereits im ersten Kapitel bringt die junge Blum – sie nennt sich selbst so, da sie ihren Vornamen hasst – ihre Adoptiveltern um. Vor allem der Adoptivvater hatte sie zeitlebens drangsaliert und sie schon als Kind gezwungen, ihm in seinem Bestattungsunternehmen bei der Herrichtung der Toten zur Hand zu gehen. Aus dieser traumatischen, lieblosen Kindheit heraus erklären sich dann auch viele der späteren Verhaltensweisen der Hauptfigur. Als acht Jahre nach dem Tod der Adoptiveltern – sie ist mittlerweile verheiratet und Mutter zweier Kinder – ihr über alles geliebter Mann Mark vor ihren Augen überfahren wird, bricht für Blum eine Welt zusammen. Als sie dann auch noch erfährt, dass es kein Unfall, sondern Mord war, begibt sie sich auf einen Rachefeldzug und bringt die Verantwortlichen, fünf angesehene Innsbrucker Bürger, gnadenlos zur Strecke.

„Am Anfang war mir selbst noch nicht klar, ob Blum gut oder schlecht ist“, erzählte Aichner nach Lesung des ersten Kapitels über die Entstehungsgeschichte. Ursprünglich habe er eine Liebesgeschichte schreiben wollen, „die wurde dann allerdings immer grausiger“. Im Grunde erhalte der Leser mit „Totenfrau“ also gleich zwei Romane: eine Liebesgeschichte und gleichzeitig auch einen Thriller. „Das ist für den Leser doch ein wahnsinnig gutes Preis-Leistungsverhältnis“, meinte Aichner mit einem Lächeln. Er habe sich ganz bewusst für eine Serienmörderin als Hauptfigur seines Romans entschieden. Eine Mörderin, für die er – und in der Folge wohl auch viele Leser – viel Sympathie empfindet. „Selbstjustiz ist total abzulehnen, aber in diesem Fall ist das ok. Die sind alle wirklich böse und haben es verdient“, erklärte er, wohl nicht ganz ernstgemeint. Und setzte noch einen drauf: „Es war eine kreative Herausforderung für mich, diese fünf Menschen im Buch umzubringen – aber es war eine Riesen-Gaudi.“

Nicht nur zur Entstehungsgeschichte, auch über seinen eigenen Weg zur Schriftstellerei plauderte der Osttiroler spannend und unterhaltsam. Aufgewachsen in einem kleinen Dorf mit 2.000 Einwohnern, habe er bereits mit 16 Jahren beschlossen, Schriftsteller zu werden. „Allerdings war in meinem Heimatdorf die Wahrscheinlichkeit, Astronaut zu werden, höher als die, Autor zu werden“, erzählte Aichner. Deshalb zog er mit 17 Jahren nach Innsbruck, schmiss die Schule und baute sich eine Existenz als Fotograf auf. In den darauffolgenden Jahren arbeitete er tagsüber und verbrachte viele seiner Abende mit dem Schreiben. So entstanden insgesamt sieben Bücher, mit denen er in Österreich bekannt wurde, bevor er sich dazu entschloss, mit „Totenfrau“ den großen Schritt auf den deutschen Markt zu wagen. Um die Welt der Bestatter, die in diesem Roman eine zentrale Rolle spielt, möglichst genau beschreiben zu können, absolvierte Aichner sogar ein längeres Praktikum bei einem Innsbrucker Bestattungsunternehmen. „Dieses Praktikum hat mir die Angst vor dem Tod genommen, es war gut für mich und gut für meine Heldin“, so seine Überzeugung.

Über sich selbst hatte Bernhard Aichner also bereits während der Lesung einiges an Informationen einfließen lassen. In der anschließenden Fragerunde kamen aber noch ein paar spannende Details hinzu: So erfreute er seine Fans mit der Ansage, dass BTB bereits im September 2015 das zweite Buch der auf drei Teile angelegten Blum-Serie veröffentlichen wird. Der zweite Band wird den Titel „Totenhaus“ tragen, so hatte es Aichner vor der Veranstaltung dem BENET verraten. Das Buch sei so gut wie fertig, es erhalte jetzt den Feinschliff durch seine Lieblingsverlegerin, Regina Kammerer von BTB. „Es wird wild“, versprach Aichner dann auch dem Publikum im Saal, „und im dritten Teil wird es dann noch wilder“. Es mache ihm einfach Spaß, so Aichner weiter, die Figur der Brünhilde Blum weiter zu begleiten, denn: „Ich habe sie einfach liebgewonnen.“

Spannend ist sicherlich auch Aichners Ankündigung, dass bereits an der Umsetzung der Geschichte in eine TV-Serie gearbeitet wird. Der Autor outete sich als Fan der US-Krimiserie „Dexter“, in der es ja ebenfalls um das Thema Selbstjustiz geht. „‚Dexter‘ ist schon so etwas wie ein Vorbild für mich, aber meine Heldin ist netter“, meinte Aichner. Auch auf die Frage, welche Schauspielerin er denn gerne in der Rolle der Blum sehen würde, hatte der Autor eine passende Antwort parat: „Am liebsten Angelina Jolie – das macht wirtschaftlich am meisten Sinn“, verkündete er und hatte damit den abschließenden Lacher eines rundum gelungenen Leseabends auf seiner Seite.