Der Eine-Million-Minuten-Traum
04.11.2016 Autor: Bertelsmann // Bertelsmann Kanal
Bertelsmann-Lesung im Bambi-Kino: Wolf Küper nahm sich mit seiner Familie eine zweijährige Auszeit – und schrieb ein Buch darüber.
Wir alle verspüren immer wieder einmal diesen Wunsch, zumindest eine Zeitlang auszusteigen aus unserem Alltag, mehr Zeit für uns selbst und die Familie zu haben, vielleicht auch die Welt zu entdecken. Doch die wenigsten von uns setzen diesen Traum in die Wirklichkeit um, zu groß scheinen die damit verbundenen Mühen und Ungewissheiten. Wolf Küper jedoch hat genau das getan: Er begab sich mitsamt seiner Frau und zwei kleinen Kindern fast zwei Jahre lang lang auf Reise und erfüllte damit den Wunsch seiner damals vierjährigen Tochter, „eine Million Minuten Zeit für schöne Sachen“ zu haben. Ein Entschluss, der alle veränderte – und über dessen Geschichte Wolf Küper ein eindrucksvolles Buch geschrieben hat. Am vergangenen Mittwoch stellte er die beim Verlag Knaus erschienenen Aufzeichnungen seiner Erlebnisse im Rahmen der Bertelsmann-Lesereihe BELESEN im vollbesetzten Gütersloher Bambi-Kino vor.
Warum eigentlich nicht?
„Ohne unsere Tochter Nina hätten wir uns nie dazu entschlossen, diesen Schritt, von dem wir wie andere auch immer wieder einmal nur geträumt haben, zu gehen“, berichtete Wolf Küper. Doch Nina, die mit Behinderungen geboren wurde, brachte den Stein schließlich ins Rollen – und die Gedanken ins Fließen: Was wäre, wenn doch? Und warum eigentlich nicht? Selbst beste Berufschancen für den promovierten Wissenschaftler, der bereits mehrere Jahre lang als Tropenforscher in den Regenwäldern Südamerikas sowie als Gutachter für die Vereinten Nationen gearbeitet hatte, konnten die entstandene Aufbruchsstimmung nicht eindämmen. „Es war das Ende meiner Karriere – und gleichzeitig mein Glück“, nahm Küper zu Beginn seiner Lesung vorweg. Eine Lesung, während der die vorgetragenen Kapitel aus dem Buch verschmolzen mit den vielen nicht minder lustigen oder anrührenden Geschichten, die der 1973 geborene Autor immer wieder einflocht und um einige Dias auf der Leinwand ergänzte.
Sein Leben und das seiner Familie habe die zweijährige Auszeit völlig umgekrempelt. Was mit ärztlichen Attesten und immer konkreteren Vorbereitungen begann, sich im Verkauf aller persönlicher Habseligkeiten (bis auf 69 Kilogramm in vier Umzugskartons) und der Untervermietung der kleinen Wohnung fortsetzte und in der endgültigen Abreise seinen vorläufigen Höhepunkt fand, mündete in einen langwierigen Prozess des Abkapselns von der „alten“ Welt. Ungefähr 15 Monate habe es bei ihm persönlich gedauert, bis in der Fremde sein „inneres Metronom“, das zuhause den steten Takt zu erledigender Dinge vorgegeben habe, und der „Lärm des Gewohnten und Selbstverständlichen“, wie Wolf Küper es nannte, „irreversibel“ verstummt seien, bis das Unterwegssein in Thailand, Australien und dann in Neuseeland quasi im „Flugmodus“ erfolgte. Gewonnen hätten sie dafür unendlich viel: Freiheit für den Moment und Gelassenheit für die Zukunft, vor allem aber die Erkenntnis darüber, was wirklich wichtig ist im Leben.
Das eigentlich Wertvolle für sich entdecken
„Früher hatte ich lange To-Do-Listen, die ich bis in den Abend hinein auch zuhause abarbeitete. Das Wegbringen und Versorgen der Kinder waren nur einige von vielen Punkten auf dieser Liste, das abendliche Zusammensein mit meiner Frau glich eher einem Speed-Dating“, erinnerte sich Wolf Küper. Aus diesem Grund riet er dem Publikum, auf ihren To-Do-Listen stets ganz oben zu notieren, was das Leben lebenswert mache. Dazu könnte irgendwann auch einmal eine Reise zählen, sagte er – sie müsse ja nicht sofort zwei Jahre lang dauern und auf die andere Seite der Welt führen, fügte er hinzu. Es komme vielmehr darauf an, aus gewohnten Denkschemata auszubrechen, Selbstverständliches in Frage zu stellen, neue Wege im übertragenen wie im wörtlichen Sinne zu gehen, das eigentlich Wertvolle für sich zu entdecken. Und gerade dabei könnten Kinder mit ihrer Offenheit und Unvoreingenommenheit im Denken den Erwachsenen ein wertvolles Vorbild sein. Wie Nina. Seine Tochter habe sich in den zwei Jahren in der weiten Welt prächtig entwickelt und, was vor einiger Zeit niemand für möglich gehalten hätte, auch fließend Englisch sprechen gelernt.
Die Zuhörerinnen und Zuhörer dankten dem Buchautor für seine ausführlichen Berichte mit langanhaltendem Applaus – und einer langen Schlange vor dem Signiertisch.