Wohin mit den Überschüssen? Diese Frage spielt während der Sondierungsgespräche eine zentrale Rolle. Möglichkeiten zur Nutzung der fiskalischen Spielräume gibt es viele.
Investieren ist eine Option. Doch in welche Bereiche sollte der Staat investieren und was bringt es? Eine Studie der Bertelsmann Stiftung kommt zu dem Ergebnis, dass sich öffentliche Investitionen in Bildung, Wohnungsbau und Infrastruktur für alle lohnen.
Straßen und Schulen bröckeln, bezahlbarer Wohnraum und schnelle Internetleitungen fehlen. Im Hinblick auf den Wohlstand zukünftiger Generationen zehrt die Bundesrepublik von ihrer Substanz. Eine von der Bertelsmann Stiftung in Auftrag gegebene Studie zeigt, dass öffentliche Investitionen in den Bereichen Bildung, Wohnungsbau und Infrastruktur Wachstum und Wohlstand stärken. Eine dauerhafte Erhöhung der öffentlichen Investitionen um rund 20 Milliarden Euro pro Jahr steigert das jährliche Bruttoinlandsprodukt (BIP) sukzessive: bis 2020 um 14 Milliarden Euro und bis 2050 um über 100 Milliarden Euro. Schon nach 5 Jahren übersteigen dabei die jährlichen Wohlstandsgewinne die Investitionskosten. Die Investitionen würden zudem zu mehr Chancengerechtigkeit beitragen, Indem sie die Zahl der Arbeitslosen um über 440.000 und den Niedriglohnsektor um 5 Prozent verringern würden. Langfristig tragen sie sich selbst und werfen sogar fiskalische Gewinne ab. Den größten volkswirtschaftlichen Nutzen haben Investitionen in qualitativ hochwertige Kitas und Ganztagsschulen.
Die Studienautoren Tom Krebs (Universität Mannheim) und Martin Scheffel (Universität zu Köln) untersuchen die gesamtwirtschaftlichen, fiskalischen und verteilungspolitischen Effekte öffentlicher Investitionen mithilfe einer ökonomischen Modellrechnung. Darin simulieren sie eine dauerhafte Steigerung der Investitionstätigkeit ab 2018 bis zum Jahr 2050. Die Investitionen sind nötig, um den bestehenden Investitionsbedarf an einer verbesserten Qualität in Ganztagsschulen und Kitas, einer digitalen und modernen Infrastruktur und an bezahlbaren Wohnraum für untere und mittlere Einkommen zu decken. Konkret geht es dabei um eine langfristige Erhöhung der Bildungsinvestitionen um rund 10 Milliarden Euro pro Jahr sowie der Investitionen in Wohnungsbau und Infrastruktur um jährlich jeweils 5 Milliarden Euro. Dabei erfolgt die Implementierung der Investitionen schrittweise. In den kommenden vier Jahren belaufen sich die zusätzlichen Ausgaben auf insgesamt 40 Milliarden Euro. Ab 2022 wird im Modell die öffentliche Investitionstätigkeit auf über 20 Milliarden Euro pro Jahr gesteigert.
Die Simulation zeigt: Investitionen können das Wachstum und Beschäftigung steigern sowie Wohlstand schaffen. Würde der Staat die öffentlichen Investitionen aus den vorhandenen Überschüssen finanzieren und nicht zur Steigerung konsumtiver Ausgaben oder für eine sofortige Schuldentilgung nutzen, prognostizieren die Modellrechnungen mehr als 600.000 zusätzliche Arbeitsplätze und ein um knapp 100 Milliarden Euro höheres BIP bis zum Jahr 2050. Gleichzeitig würde die Armutsquote um einen Prozentpunkt schrumpfen und die Zahl der Langzeitarbeitslosen um knapp 350.000 gesenkt. Trotz der Ausgabensteigerung würden die Staatsschulden um rund 150 Milliarden Euro sinken. Die positiven Effekte ließen sich schon kurzfristig erzielen: Bereits 2020 würden die zusätzlichen Ausgaben positive Wirkung entfalten: Investitionen in Bildung könnten in dieser Frist über 150.000 neue Jobs schaffen und das BIP um 11 Milliarden steigern. Investitionen in Infrastruktur führen zu weiteren 50.000 Jobs und steigern das BIP um 2 Milliarden Euro. „Die Bundesrepublik braucht eine Investitionsagenda, die den Wohlstand zukünftiger Generationen sichert. Zukunftsinvestitionen sind das Gebot der Stunde“, kommentiert Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung, die Studienergebnisse.
Den mit Abstand größten Wachstumseffekt haben Bildungsinvestitionen mit bis zu 60 Milliarden Euro bis zum Jahr 2050. Auch der Arbeitsmarkt profitiert hier mit einem Plus von über einer halben Million Vollzeitkräften besonders stark. Zudem steigt die Qualität der Beschäftigung, da insbesondere geringfügige Beschäftigung verringert wird. Zum Vergleich: im selben Zeitraum würden Investitionen in Wohnungsbau das BIP um 18 Milliarden Euro steigern und gut 94.000 Jobs schaffen. Eine Ausweitung der Bildungsinvestitionen zahlt sich gleich doppelt aus: Erstens steigt langfristig das Bildungsniveau der Bevölkerung. Zweitens verbessert sich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Insbesondere Frauen mit Kindern und Kinder aus Nicht-Akademiker-Familien könnten ihre Einkommenslücke im Vergleich zu Männern mit Kindern bzw. Kindern aus Akademiker-Familien langfristig um 3,5 bzw. knapp 6 Prozentpunkte verringern.
Die Modellrechnung zeigt, dass die untersuchten Investitionsprogramme fiskalisch nachhaltig sind. Über höheres Wachstum, mehr Beschäftigung und erhöhte Staatseinnahmen finanzieren sie sich mittel- bis langfristig selbst. Mehr noch: Bereits nach 9 Jahren würden die Bildungsinvestitionen sogar fiskalische Überschüsse erzielen, die zur Schuldentilgung beitragen könnten. Investitionen in Wohnungsbau und Infrastruktur würden nach 12 bzw. 14 Jahren Überschüsse erzeugen. Mit knapp 12 Prozent pro Jahr würden Investitionen in Kitas und Ganztagsschulen im Vergleich zum Wohnungsbau (7,1 Prozent) und zur Infrastruktur (8,2 Prozent) die höchste fiskalische Rendite erzielen. „Stabile Staatsfinanzen und Investitionen in die Zukunft müssen kein Widerspruch sein. Vorhandene fiskalische Spielräume sollten deshalb zur Stärkung öffentlicher Investitionen genutzt werden“, so Manuela Barišić, Wirtschaftsexpertin der Bertelsmann Stiftung.