Wir kennen sie alle, die vorweihnachtlichen Spendenaufrufe. Sie fordern uns auf, neben unseren Weihnachtsgeschenken auch für andere Menschen zu spenden, denen es nicht so gut geht wie uns. Solche Aktionen gibt es in allen Ländern, in denen das christliche Weihnachtsfest eine Rolle spielt.
Frankreich macht da keine Ausnahme, ja es kann sogar eine der ältesten Aktionen vorweisen, die zudem noch die größte dieser Art in Europa und darüber hinaus ist. In Frankreich kennt ihn jeder: Den Téléthon, ein Kunstwort aus Television und Marathon. Seit 28 Jahren sendet France Télévision am ersten Wochenende im Dezember eine Show, die am Freitagabend um 20 Uhr beginnt und 30 Stunden später in der Nacht von Samstag auf Sonntag endet. Beteiligt sind alle Stationen des Senders, auch diejenigen in den überseeischen Departements.
Die Sendung ist das Kernstück einer landesweiten Aktion mit vielen unterschiedlichen Aktivitäten, die sich alle um ein Thema drehen: Den Kampf gegen die sogenannten „seltenen Erkrankungen“.
Eine Krankheit wird als selten bezeichnet, wenn weniger als eine Person unter zweitausend daran leidet. Der überwiegende Teil ist genetisch bedingt und häufig führen die Erkrankungen zu bedeutenden Einschränkungen, sodass die Betroffenen ständig auf Hilfe angewiesen sind. Zudem gelten viele der Erkrankungen als unheilbar. Zwar sind die einzelnen Erkrankungen relativ selten, aber da man mehr als 5000 Krankheiten in dieser Kategorie zusammenfasst, sind insgesamt in Frankreich etwa drei Millionen Menschen betroffen.
Erste Ursprünge des Téléthon gehen bis ins Jahr 1958 zurück. Damals gründeten einige Eltern von Kindern mit neuromuskulären seltenen Erkrankungen – z.B. Muskelschwund – einen Verein, um durch eigene Aktivitäten die medizinische Forschung auf diesem Gebiet anzustoßen und die Möglichkeiten der Diagnose und Behandlung zu verbessern. Schnell stellten sich erste Erfolge ein. So konnte1986 durch die Aktivitäten des Vereins das Gen identifiziert werden, das eine bestimmte muskuläre Erkrankung verursacht.
Die Fernsehsendung „Téléthon“ wurde 1987 zum ersten Mal ausgestrahlt. Der Erfolg war überwältigend: Mit fast 30 Millionen Euro Spenden wurde der erhoffte Betrag um ein Vielfaches übertroffen. In den folgenden Jahren wuchs die Summe schnell weiter an. Die höchsten Beträge wurden in den Jahren um 2005 erreicht, jedes Jahr mehr als 100 Millionen Euro. Im letzten Jahr waren es immerhin mehr als 89 Millionen Euro.
Mit dem gesammelten Geld werden drei Ziele finanziert: Durch Förderung der medizinischen Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Genetik, teilweise in eigenen Instituten, sollen Ursachen und Behandlungsmethoden für seltene Erkrankungen gefunden werden. Durch technische Entwicklung von Hilfsmitteln, zum Beispiel Prothesen, und durch Finanzierung von Einrichtungen für Betroffene und pflegende Angehörige soll Erkrankten mit ihren individuellen Behinderungen Hilfe im täglichen Leben angeboten und die Betreuung vereinfacht werden. Endlich sollen die seltenen Krankheiten mehr ins Bewusstsein der Bevölkerung gebracht und die Kommunikation unter Betroffenen im ganzen Land angeregt werden.
Und die Erfolge können sich sehen lassen: Ein vom Téléthon finanziertes Labor hat in den letzten Jahren große Erfolge in der Genforschung vorzuweisen und ist ein angesehener Partner in der internationalen medizinischen Forschung. Es hat dazu beigetragen, die verantwortlichen Gene für einige Erkrankungen zu identifizieren und ist daran beteiligt, Gentherapie zur Anwendungsreife zu entwickeln. Auch in sozialmedizinischer Hinsicht sind Erfolge erreicht worden. Es gibt inzwischen viel mehr Hilfen für Behinderte und ihre Betreuer. Dieser große Erfolg des Téléthon ist natürlich nicht denkbar ohne eine immense Mobilisierung von ehrenamtlichen Helfern. Auch da sind die Zahlen beeindruckend. An der Spitze der Öffentlichkeitsarbeit stehen in jedem Jahr vier betroffene Kinder und ihre Familien, die als Botschafter des Téléthon wirken und das Anliegen der Aktion anschaulich machen.
In diesem Jahr gehört Juliette aus Châteauroux dazu. Sie ist drei Jahre alt und leidet unter einer sehr seltenen Erkrankung des Knochenmarks, der Fanconi-Anämie. Neben anderen Symptomen hat Juliette zum Beispiel ein 4000-fach erhöhtes Risiko, an Krebs zu erkranken. „Man sieht Juliette die Erkrankung nicht an, aber es ist eine Bombe mit Zeitzünder“ sagt Olivier Loridan, der Vater von Juliette in der Zeitschrift „Châteauroux pour tous“ vom Dezember. Gleichzeitig möchte er aber auch eine Botschaft an andere Betroffene übermitteln: „Man kann mit der Krankheit leben. Es ist nicht jeden Tag die Hölle.“
Neben den landesweiten Aktivitäten gibt es in ganz Frankreich während oder vor der Télethon Fernsehsendung lokale Aktionen, bei denen jeder mitmachen und spenden kann. Auch dafür gibt es fünf Patenstädte, die als anspornende Vorbilder dienen. In Metz backen die Auszubildenden der Bäckereien Weihnachtsmänner aus Lebkuchen, in Vannes werden Austern für den guten Zweck angeboten. Dies ist aber nur die Spitze des Eisberges. Insgesamt gibt es am 5. und 6. Dezember, dem diesjährigen Sendetermin, in mehr als 10 000 Kommunen etwa 20 000 Aktionen zugunsten des Téléthon, organisiert von den unterschiedlichsten Vereinen auf ganz verschiedene Weise. Mehr als 200 000 ehrenamtliche Helfer sind für die Aktionen und die Organisation im Umfeld des Großereignisses im Einsatz, nicht nur in Frankreich sondern auch im Ausland. Für Châteauroux sind zum Beispiel 15 Aktionen im landesweiten Register verzeichnet.
In unserer Partnerstadt werden unter anderem Blumen und Gebäck zugunsten des Téléthon verkauft. Es gibt auch sportliche Veranstaltungen und Theateraufführungen, bei denen gespendet werden kann. Der Hundeclub von Châteauroux verlegt seine Trainingsstunde am 6. Dezember vor das Rathaus und zeigt dort einige Ergebnisse seiner Arbeit. Auch das, um Spenden für den Téléthon zu sammeln.
Die Erfolgsgeschichte des Téléthon ist beeindruckend. Sowohl die gesammelten Spendensummen als auch der Umfang und die Qualität des damit Erreichten sind einzigartig. Es ist zu hoffen, dass die 28ste Sendung an den Erfolg ihrer Vorläufer anknüpfen kann.