Durch die freie Grundschulwahl der Eltern nimmt die soziale und ethnische Trennung an Grundschulen weiter zu. Die Folge: Die Kinder der einzelnen sozialen Schichten bleiben bereits während der Grundschulzeit unter sich. Darüber hinaus kommt es in einzelnen benachteiligten Quartieren zu einer starken Schülerabwanderung. Das zeigt eine Untersuchung am Beispiel der Stadt Mülheim an der Ruhr.
Der Anteil an Kindern, die eine andere als die ehemals zuständige Grundschule besuchen, ist seit der Aufhebung der Grundschulbezirksbindung in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2008/09 deutlich gestiegen. Das liegt am Wahlverhalten der Eltern, das sich sozial stark selektiv zeigt. Das ist das Ergebnis einer Studie des Zentrums für interdisziplinäre Regionalforschung (ZEFIR) an der Ruhr-Universität Bochum und der Stadt Mülheim an der Ruhr im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Dafür wurden die Daten von knapp 4.000 Schülerinnen und Schülern für die Schuljahre 2008/09 bis 2011/12 ausgewertet. Der Anteil der Eltern, die für ihre Kinder eine andere als die ehemals zuständige Grundschule wählt, ist von zehn Prozent auf gut 25 Prozent gestiegen.
Die Wahlentscheidung der Eltern ist abhängig vom Sozialstatus der Schule und vom sozialen Hintergrund der Eltern. Ist die zuständige Gemeinschaftsgrundschule sozial benachteiligt, wählen Eltern häufiger eine andere Schule. Mit zunehmendem Sozialstatus der Eltern steigt die Wahlentscheidung stark an. Brigitte Mohn, Vorstand der Bertelsmann Stiftung, erklärt: „Die soziale und ethnische Schulsegregation war bereits zu Zeiten der Grundschulbezirksbindung über die sozialräumliche Segregation der Wohnquartiere stark ausgeprägt. Durch die Einführung der freien Grundschulwahl nimmt sie weiter zu.“
Eltern mit niedrigem Bildungsstatus und Eltern mit Migrationshintergrund wählen häufiger die nahegelegene Grundschule. Diese Familien sind in der Regel weniger mobil und bleiben meist in ihrem Wohnbezirk. Von ihnen wählen weniger als 19 Prozent eine ehemals nicht zuständige Schule. Der Sozialstatus der Schule spielt für diese Eltern bei der Schulwahl eine untergeordnete Rolle. Vor allem Eltern mit mittlerem Sozialstatus nehmen die freie Schulwahl in Anspruch. Eltern mit hohem Sozialstatus machen davon seltener Gebrauch, da sie meist in sozial homogenen Einzugsbereichen wohnen. Ist die zuständige Gemeinschaftsgrundschule sozial benachteiligt, wird diese Schule von Eltern mit hoher oder mittlerer Bildung gemieden. Lediglich jede dritte Familie mit hoher Bildung schickt ihr Kind auf eine sozial benachteiligte Schule.
Für die kommunale und landesweite Steuerung ist es wichtig, mehr über das elterliche Wahlverhalten zu wissen. Die Schulentwicklungsplanung hat sich durch das stark ausgeprägte Wahlverhalten der Eltern erschwert. Die Behörden können nicht mehr mit jährlich verlässlichen Schülerzahlen kalkulieren.
Der Studienautor schlägt vor, die soziale Struktur der Schulen landesweit transparent zu machen. Damit können die schulpolitischen Weichen gestellt werden, um eine unterschiedliche Ressourcenverteilung zu begründen. Über einen Sozialindex könnten benachteiligte Schulen besser mit überzeugenden pädagogischen Konzepten, entsprechenden Ressourcen und guten Lehrern ausgestatten werden, damit diese Schulen so gut werden, das ihre Qualität auch bildungsaffine Eltern überzeugt.
„Schulen in sozialen Brennpunkten brauchen mehr Lehrkräfte, einen verbindlichen Ausbau des Ganztags und die interdisziplinäre fachliche Unterstützung bei den Herausforderungen der Inklusion und Migration in den Schulen. Nur dann können sie ihren Bildungsauftrag mit den definierten Anforderungen zufriedenstellend im Sinne der Bildungsziele wahrnehmen“, sagt Brigitte Mohn. „Es mangelt an Bereitschaft und Geld für dringend notwendige Investitionen in Gebäude, Ausstattung und Personal der Grundschulen. Dabei sind insbesondere unterprivilegierte Schülerinnen und Schüler an benachteiligten Schulen auf ein qualitativ gut ausgestattetes Schulumfeld angewiesen. Sonst verlieren sie zusätzlich durch die Schulsituation den Anschluss“, so Brigitte Mohn weiter.
Ein Instrument zur bedarfsgerechten Ressourcenverteilung auf der Ebene der Schulen könnte sich am bereits erfolgreich praktizierten Modell „plusKITA“ in NRW orientieren. Kitas in belasteten Wohnquartieren erhalten dabei zusätzliche Ressourcen für Kinder mit besonderem Unterstützungsbedarf. So kann die freie Grundschulwahl gelingen.