Die kommunalen Sozialausgaben sind auf Rekordniveau. Das verschärft die Haushaltskrise der ohnehin hoch verschuldeten Städte und Kreise. Der Koalitionsvertrag stellt den Kommunen zwar eine Entlastung in Höhe von jährlich 5 Milliarden Euro ab 2018 durch den Bund in Aussicht. Wie diese Zusage umgesetzt werden soll, ist jedoch nach wie vor unklar. Eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt einen Weg auf, wie die Bundesmittel die besonders gebeutelten Städte und Kreise entlasten können.
Gütersloh, 8. Juni 2015. Trotz guter Konjunktur sind in den vergangenen zehn Jahren die Sozialausgaben der Kommunen um mehr als 50 Prozent gestiegen. In 2014 summierten sie sich bundesweit auf rund 78 Milliarden Euro, berechnet eine Studie der Bertelsmann Stiftung. 2004 hatten sie noch bei 51 Milliarden Euro gelegen. Vielen Kommunen bleibt dadurch kaum noch Handlungsspielraum. In Flensburg etwa binden die Sozialleistungen inzwischen 58 Prozent des Etats.
Die Belastung der Kommunalhaushalte durch Sozialleistungen ist bundesweit unterschiedlich. Am geringsten ist sie in Baden-Württemberg mit durchschnittlich 31 Prozent, am höchsten in Nordrhein-Westfalen mit 43 Prozent. Zwischen den einzelnen Kommunen sind die Unterschiede teilweise eklatant: Während die Stadt Wolfsburg (17 Prozent) und der bayerische Kreis Haßberge (18 Prozent) nur einen kleinen Teil ihres Etats für Sozialleistungen aufwenden, machen die Sozialkosten in Duisburg, Wiesbaden, Eisenach und Flensburg mehr als die Hälfte des städtischen Haushalts aus.
Dilemma: Viele Aufgaben, wenig Ansatzpunkte
Die Höhe der Sozialausgaben ist von verschiedenen Einflussfaktoren abhängig. Dazu gehören unterschiedliche Zuständigkeiten und Verwaltungsstrukturen, landesrechtliche Standards oder lokalpolitische Entscheidungen. Ein in jedem Fall entscheidender Faktor ist die Sozial- und Wirtschaftsstruktur der jeweiligen Region.
„Wenn der Bund die Kommunen entlasten will, sollte er jene Sozialkosten übernehmen, die bundesweit einheitlich geregelt und für Kommunen nicht beeinflussbar sind sowie vor allem in struktur- und steuerschwachen Städten und Kreisen anfallen“, sagte Kirsten Witte, Kommunalexpertin der Bertelsmann Stiftung. Diese Kriterien erfüllen der Studie zu Folge im umfangreichen Katalog der kommunalen Sozialleistungen einzig die Wohnkosten der Hartz-4-Empfänger.
Hartz-4-Kosten sind der entscheidende Hebel
Vor allem wirtschaftsschwache Kommunen mit hoher Langzeitarbeitslosigkeit und geringen Steuereinnahmen ächzen unter den hohen Ausgaben für diese Wohnkosten. Sie beliefen sich 2013 bundesweit auf rund 14 Milliarden Euro. Im wirtschaftsstarken Baden-Württemberg binden sie lediglich 3 Prozent der kommunalen Etats, im strukturschwachen Sachsen-Anhalt hingegen 11 Prozent. Die Belastung der Stadt Magdeburg etwa ist fast zehn Mal höher als jene im baden-württembergischen Kreis Hohenlohe (13,2 zu 1,4 Prozent).
„Eine Übernahme der Wohnkosten für Hartz-4-Empfänger ist der entscheidende Hebel für den Bund, den armen Kommunen gezielt zu helfen“, sagte René Geißler, einer der Autoren der Studie und Finanzexperte der Bertelsmann Stiftung. Etliche große Ausgabeposten in den kommunalen Sozialetats scheiden hingegen aus, weil die Kommunen große eigene Gestaltungsspielräume haben. Das ist zum Beispiel in der Jugendhilfe oder Sozialhilfe der Fall.
Die Bertelsmann Stiftung hat erstmals den gesamten Katalog kommunaler Sozialleistungen geprüft, um die Leistung zu finden, die am besten für eine Entlastung durch den Bund geeignet ist. Die Studie empfiehlt, mit den im Koalitionsvertrag zugesagten jährlich 5 Milliarden Euro die Wohnkosten für Hartz-4-Empfänger zu übernehmen. Diese Ausgaben ballen sich in armen Städten, ohne für diese steuerbar zu sein. Und sie sind durch den Bund über örtliche Mietspiegel leicht zu kontrollieren, was ein wichtiges Argument ist. Denn die finanziellen Entlastungen müssen einhergehen mit Kontrollrechten des Bundes. „Der Bund kann keinen Blanko-Scheck ausstellen. Die Wirtschaftlichkeit muss nachvollziehbar sein,“ sagte Geißler.
Eine Investition der Bundesmittel in die Wohnkosten für Hartz-4-Empfänger wäre ein verfassungsrechtlich gangbarer Weg. Darüber hinaus beteiligt sich der Bund bereits heute in geringerem Umfang an dieser Leistung. Wenn dieser Kostenanteil um die jährlich in Aussicht gestellten 5 Milliarden Euro ausgeweitet würde, käme das insbesondere wirtschaftsschwachen Regionen zu Gute. Die entlastende Wirkung für solche Städte und Kreise wäre enorm, errechnet die Studie: In Nordrhein-Westfalen etwa würden durch diese Maßnahme rund 75 Prozent der jährlichen Defizite in den Kommunalhaushalten getilgt.
Witte appellierte an den Bund und die Länder, sich möglichst bald auf diese Entlastung der Kommunen zu einigen: „Die notleidenden Kommunen brauchen eine Perspektive, wie sie aus dem Teufelskreis schlechter Infrastruktur, geringer Einnahmen, hoher Sozialausgaben und Investitionsstau herauskommen.“