Die Ausbildungsperspektiven für Jugendliche sind stark abhängig vom Wohnort. Im Norden ist es für Bewerber schwer, eine Stelle zu finden, im Süden können Ausbildungsplätze nicht besetzt werden.
Bundesweit hat sich die Situation für Bewerber leicht verbessert, Hauptschüler profitieren davon jedoch kaum.
In Deutschland wurde bis 2016 weniger ausgebildet. Sowohl das Ausbildungsangebot der Betriebe als auch die Nachfrage der Jugendlichen war rückläufig: 2016 wurden gut 80.000 weniger duale Ausbildungsplätze von Betrieben angeboten als noch 2007. Noch stärker – um 155.000 – ging die Zahl der Bewerber um eine duale Ausbildung zurück. Für Ausbildungssuchende hat sich die Situation rechnerisch dadurch verbessert. Im Jahr 2007 standen je 100 Bewerbern nur 85 Ausbildungsplätze zur Verfügung. Im Jahr 2016 waren es 94. Allerdings ist die Situation stark abhängig vom Wohnort. In Bayern standen 100 Bewerbern 104 Ausbildungsplätze gegenüber, in Schleswig-Holstein nur 88. In den östlichen Flächenländern ist der Rückgang der dualen Ausbildung besonders dramatisch. Zwischen 2007 und 2016 ist dort die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze um knapp 40 Prozent und die Zahl der Bewerber um 46 Prozent gefallen. Zu diesen Ergebnissen kommt der „Ländermonitor berufliche Bildung 2017“ des Soziologischen Forschungsinstituts (SOFI) und der Abteilung Wirtschaftspädagogik der Universität Göttingen, der von der Bertelsmann Stiftung gefördert wurde. Der Monitor analysiert die Situation der Berufsbildung in den Bundesländern im Zeitverlauf. Jüngste Zahlen des Bundesinstituts für Berufliche Bildung zeigen, dass sich 2017 die Lage stabilisiert und wieder etwas mehr dual ausgebildet wird.
Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung, blickt besorgt auf die langfristige Entwicklung: „Die duale Ausbildung ist zentral für Deutschland, steht aber im Wettbewerb mit den Hochschulen unter Druck. Die verbesserten Chancen auf eine Ausbildung sind wichtig.“ Damit nach Jahren des Rückgangs sich der Aufwärtstrend fortsetzt, sollten die Ausbildungsbedingungen attraktiver und Aufstiegs- und Weiterentwicklungsmöglichkeite<wbr />n für beruflich Qualifizierte bekannter gemacht werden.
Die Situation auf dem Ausbildungsmarkt scheint paradox. Stand 2016 fanden Betriebe für 43.000 Ausbildungsstellen keinen passenden Bewerber. Knapp acht Prozent aller Stellen blieben damit unbesetzt. In den ostdeutschen Flächenländern waren es sogar über zehn Prozent aller Ausbildungsplätze. Trotz der offenen Stellen gingen bundesweit im letzten Jahr 80.000 der Ausbildungsbewerber (13,4 Prozent) leer aus. Jugendliche und Betriebe kommen schon geographisch oft nicht zueinander. Im Süden Bayerns suchen die Betriebe händeringend Azubis, im Ruhrgebiet ist die Situation umgekehrt. Hinzu kommt, dass Ausbildungsstellen in Berufen und Betrieben angeboten werden, für die sich Bewerber nicht interessieren.
Besonders schwer haben es kleinere Betriebe, die in für Jugendliche unattraktiven Berufen ausbilden, beispielsweise im Hotel- und Gaststättengewerbe. „Wir können uns weder offene Ausbildungsstellen noch ausbildungslose Jugendliche leisten“, so Dräger. Er fordert deshalb: „Betriebe sollten neue Wege der Bewerberansprache einschlagen, sich verstärkt neuen Zielgruppen öffnen und in unattraktiven Berufen die Rahmenbedingungen verbessern.“ Gleichzeitig bräuchten insbesondere kleine Betriebe bessere Unterstützung bei der Ausbildung, zum Beispiel in Form von sozialpädagogischer Begleitung von Betrieb und Azubi. Die vorhandenen Fördermöglichkeiten sind oft zu unflexibel und zu wenig bekannt.
Obwohl sich die Lage für Bewerber verbessert hat und Stellen unbesetzt bleiben, profitieren Hauptschüler davon kaum. Im Jahr 2015 gelang es nur 49 Prozent der Schulabgänger mit Hauptschulabschluss oder ohne Abschluss, direkt eine Ausbildung im dualen oder im Schulberufssystem aufzunehmen. 51 Prozent wechseln zunächst in eine der zahlreichen Maßnahmen des Übergangssystems, in denen kein Berufsabschluss erworben werden kann. „Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, Hauptschülern einen besseren Zugang zu Ausbildung zu ermöglichen“, findet Dräger. „Denn wer Abitur macht, hat einen Studienplatz praktisch sicher. Wer einen Haupt- oder mittleren Schulabschluss hat, geht dagegen auf dem Ausbildungsmarkt häufig leer aus“. Die Bertelsmann Stiftung tritt dafür ein, jedem jungen Menschen die Chance auf einen Berufsabschluss zu eröffnen – auch mit einer staatlichen Ausbildungsgarantie.
Jugendliche ohne deutsche Staatsbürgerschaft haben im Ausbildungssystem deutlich schlechtere Chancen als ihre deutschen Altersgenossen. Während nur etwa ein Viertel der deutschen Ausbildungsanfänger in eine Maßnahme des Übergangssystems wechselt, sind es unter den Jugendlichen ohne deutschen Pass über die Hälfte (54 Prozent). In Schleswig-Holstein, Sachsen und Bayern sind die Unterschiede zwischen Deutschen und Ausländern besonders ausgeprägt.
Die Gruppe der seit 2015 nach Deutschland zugezogenen Schutz- und Asylsuchenden ist in diesen Werten noch nicht enthalten. Zur Integration der jugendlichen Schutz- und Asylsuchenden in die berufliche Bildung leisten die Länder mit zahlreichen Sonderprogrammen einen wichtigen Beitrag. Diese Programme verknüpfen häufig Sprachkurse mit einer beruflichen Grundbildung oder Orientierung. „Die beruflichen Schulen übernehmen zunehmend integrations- und sozialpolitische Aufgaben – dafür müssen sie finanziell, technisch und vor allem personell ausgestattet werden“, fordert Jörg Dräger.