Die meisten Ratgeber machen es unmissverständlich klar: Eine Bewerbung mit fehlerhaftem oder sogar fehlendem Anschreiben gilt für die Mehrzahl der Arbeitgeber als Tabu. Die Diakonie Gütersloh will künftig trotzdem darauf verzichten. Ab sofort können Bewerber ihre Unterlagen jederzeit direkt in der Zentrale an der Carl-Bertelsmann-Straße abgeben – ganz ohne Anschreiben.
Vor allem die Fachkompetenz und die Persönlichkeit sind die Eigenschaften, die eine gute Pflegekraft auszeichnen“, erklärt Diakonie-Vorstand Björn Neßler bei der Vorstellung des Projekts am Dienstag. „Da ist es zunächst egal, ob sie sich schriftlich gut und fehlerfrei ausdrücken kann. In der Vergangenheit haben wir die Erfahrung gemacht, dass sich Menschen als Top-Pflegekräfte entpuppt haben, die beinahe nicht zum Bewerbungsgespräch eingeladen worden wären.“ Zum Beispiel, weil das Anschreiben voller Fehler war oder weil eine handgeschriebene Bewerbung heutzutage doch erstmal abschreckt. „Natürlich sagen solche Dinge nichts über die Fachkompetenz aus“, so Neßler, „aber dennoch stören sie den guten ersten Eindruck. Und im Zweifel wird dann jemand anderes zum Gespräch eingeladen.“ Gleichzeitig stelle das Schreiben der Bewerbung für viele Menschen eine Hemmschwelle dar: Die letzte Bewerbung liegt schon Jahre zurück, man ist das Schreiben nicht gewöhnt – und verzichtet am Ende ganz auf den Jobwechsel.
Solche Barrieren will die Diakonie nun abbauen und hat dafür ein niedrigschwelliges Bewerbungsverfahren eingeführt. Ab sofort können Pflegekräfte, die sich initiativ oder auf eine Stellenanzeige hin bei der Diakonie bewerben wollen, entweder spontan vorbeikommen oder telefonisch einen kurzfristigen Termin vereinbaren. „Wir werden zu einem offenen Haus“, so Neßler.
„Mitbringen müssen Bewerber nur ihre Schul- und Arbeitszeugnisse sowie die Urkunden über ihren Ausbildungsabschluss und eventuelle Qualifizierungen“, erklärt zudem Heike Schulze, als Bereichsleiterin Pflege-Wohngemeinschaften für viele der Diakonie-Mitarbeiter verantwortlich. „Da reichen gegebenenfalls auch die Originale. Die Kopien können wir direkt bei uns machen.“ Ob der Bewerber weiterkommt, sollen dann vor allem der persönliche Eindruck im Gespräch sowie ein Hospitanz-Tag in einer Diakonieeinrichtung entscheiden.
„Ein wenig ähnelt das Verfahren dem Job-Speed-Dating, das auf Berufs- und Karrieremessen angeboten wird“, ergänzt Heike Schulze. „Die meisten Unternehmen, die sich daran beteiligen, haben damit positive Erfahrungen gemacht – eben weil sie hier motivierte Mitarbeiter finden, die im konventionellen Bewerbungsverfahren nicht weit gekommen wären.“ Auch für die Diakonie ist dieses Vorgehen nicht gänzlich neu. „Bei den ehrenamtlichen Mitarbeitern haben wir das ebenfalls schon so gehandhabt und damit gute Erfahrungen gemacht“, so Neßler. Und auch in der Pflege arbeitet aktuell eine Kollegin, die ohne das klassische Bewerbungsprozedere dort gelandet ist: Sie hatte sich spontan in einer Diakoniestation vorgestellt, durfte einen Tag hospitieren und schließlich bleiben.
Mit ihrem Vorhaben reagiert die Diakonie Gütersloh auf den sich weiter verschärfenden Fachkräftemangel in der Branche sowie die kommende Verrentungswelle. In den kommenden sechs Jahren werden circa zehn bis 15 Prozent ihrer Pflege-Mitarbeiter in den Ruhestand gehen. Besonders Pflegefachkräfte werden deswegen gesucht: „Wir wollen in den kommenden sechs bis sieben Monaten zwischen 20 und 30 neue Kollegen einstellen“, so Neßler. Aktuell beschäftigt der Pflege- und Sozialdienstleister 424 Mitarbeiter, davon 346 in der Pflege.
Wer sich künftig ohne Anschreiben bei der Diakonie Gütersloh vorstellen möchte, kann jederzeit während der Geschäftszeiten in der Zentrale an der Carl-Bertelsmann-Straße 105 – 107 vorbeikommen: montags bis donnerstags, 9 bis 16 Uhr, sowie freitags 9 bis 13 Uhr. Wer zuvor lieber einen Termin vereinbaren möchte, kann unter folgender Nummer anrufen: Terminvereinbarungen unter 05241-9867 1000