Die Mehrzahl der EU-Bürger unterstützt die Europäische Union und den Euro und ist davon überzeugt, dass die politische und wirtschaftliche Integration gestärkt werden sollte. Gleichzeitig betrachtet sie die gemeinsame europäische Politik kritisch und fürchtet, dass sich diese nicht in die richtige Richtung entwickelt. Das ergab eine EU-weite repräsentative Meinungsumfrage im Auftrag der Bertelsmann Stiftung.
71 Prozent gaben darin an, in einem möglichen Referendum für die EU-Mitgliedschaft ihres Landes zu stimmen. 63 Prozent der Befragten im Euro-Raum würden auch für den Verbleib ihres Landes im Euro-Raum votieren. Zudem sind 59 Prozent der Europäer davon überzeugt, dass die politische und wirtschaftliche Integration verstärkt werden sollte. Befragt man die Bürger des Euro-Raums, steigt diese Zustimmung auf 64 Prozent.
Diese generelle Unterstützung führt allerdings nicht dazu, dass die EU-Bürger positiv auf die jüngsten politischen Entscheidungen oder in die Zukunft blicken: 72 Prozent der Befragten sagen, die europäische Politik bewege sich „in die falsche Richtung“. Die Bewohner in den Euro-Mitgliedsländern äußern sich noch negativer (77 Prozent). Einher geht dies mit einer Ablehnung der Politik der eigenen nationalen Regierung in den 28 EU-Staaten. Auch diese sehen europaweit 68 Prozent der Befragten auf dem falschen Kurs.
Die Befragung fand im Juli statt - zu einem Zeitpunkt, als sich die Diskussion um die Zukunft Griechenlands und die Ausrichtung der Euro-Rettungspolitik auf einem dramatischen Höhepunkt befand und in der medialen Berichterstattung eine kritische bis pessimistische Betrachtung der Ereignisse überwog.
Die gestiegene mediale Aufmerksamkeit für europäische Politik hat dazu beigetragen, dass die Europäer heute mehr denn je über die EU und ihre Akteure wissen. 68 Prozent der Befragten verfügen über hohes Grundwissen zur europäischen Politik; innerhalb der Euro-Zone sind es sogar 74 Prozent. Auch die wichtigsten EU-Politiker sind heute bekannter als zuvor: Jean-Claude Juncker als Präsident der EU-Kommission und Martin Schulz als Präsident des Europäischen Parlaments sind 40 Prozent der Europäer bekannt. Selbst den neuen Präsidenten des europäischen Rates, Donald Tusk, und EZB-Chef Mario Draghi kennen 34 Prozent. Dies reicht zwar nicht an die 83 Prozent Bekanntheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Premierminister David Cameron (75 Prozent) oder Präsident François Hollande (63) heran, liegt jedoch oberhalb der Bekanntheit der Regierungschefs von Italien und Spanien, Matteo Renzi (32) und Mariano Rajoy (22).
Als vordringliche Aufgaben der EU nennen die Befragten die Wahrung von Frieden und Sicherheit (61 Prozent), wirtschaftliches Wachstum (53 Prozent), die Verringerung von sozialer Ungleichheit (47 Prozent) und die Frage der Zuwanderung (42 Prozent). An den bisherigen Errungenschaften der Europäischen Union schätzen die Europäer am meisten die offenen Grenzen (46 Prozent), den freien Handel (45 Prozent) und die Erhaltung des Friedens (40 Prozent).
Befragt zu ihren Präferenzen in Bezug auf eine mögliche Reform der EU, geben die Europäer eine große Präferenz für Referenden in der EU zu erkennen, während sie die Möglichkeit eines gemeinsam gewählten Präsidenten mit großer Mehrheit ablehnen.
Über die Rolle Deutschlands in der europäischen Politik sind sich die EU-Bürger uneinig. 55 Prozent bewerten eine deutsche Führungsrolle als „gut“ oder sogar „sehr gut“. Hingegen finden 45 Prozent eine solche Rolle „schlecht“. Die höchste Anerkennung innerhalb der sechs größten EU-Staaten erfährt Deutschland in seinen beiden Nachbarländern Polen (67 Prozent) und Frankreich (65 Prozent), die geringste in Italien (29 Prozent) und Spanien (39 Prozent). Die Briten befürworten eine starke deutsche Rolle zu 48 Prozent.