Ob Deutschland mehr Flüchtlinge als heute aufnehmen soll, sehen die Deutschen
zwiespältig. Weitgehend einig jedoch sind sie sich laut einer TNS Emnid-Umfrage im Auftrag
der Bertelsmann Stiftung, Asylbewerbern schneller einen Weg in den Job zu ebnen. Was
eine Integration in den Arbeitsmarkt derzeit so schwierig macht, zeigt eine neue Studie.
In keinem anderen EU-Land ist der Bearbeitungsstau von Asylanträgen derart groß wie in Deutschland. Ende 2014 warteten laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung 221.195 Flüchtlinge auf eine endgültige Entscheidung über ihren Asylantrag. Mit steigender Tendenz: Bis Ende Februar dieses Jahres stieg die Zahl nach Angaben von Eurostat auf 243.820.
„Asylbewerber und Kommunen bleiben zu lange im Ungewissen“, sagte Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung. Durchschnittlich 7,1 Monate betrug im vergangenen Jahr die Bearbeitungsdauer eines Asylantrags im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Für Flüchtlinge aus manchen Herkunftsländern dauerte die Wartezeit deutlich länger: für Asylbewerber aus Afghanistan durchschnittlich 16,5 Monate, für Pakistani sogar 17,6 Monate.
Die fehlende Planungssicherheit erschwert vielen Flüchtlingen eine schnellere Eingliederung in den hiesigen Arbeitsmarkt. Geht es nach einer repräsentativen TNS Emnid Umfrage im Auftrag der Bertelsmann Stiftung, wollen allerdings 84 Prozent der Deutschen genau dies den Flüchtlingen ermöglichen.
Das im Koalitionsvertrag formulierte Ziel, die Dauer von Asylverfahren auf drei Monate zu begrenzen, verfehlte die Bundesregierung im vergangenen Jahr deutlich. „Die Zahl der Asylbewerber wird voraussichtlich weiter steigen. Deshalb ist es richtig, dass auf dem Flüchtlingsgipfel Anfang Mai in Berlin dem BAMF 2.000 zusätzliche Stellen zugesagt wurden“, sagte Dräger.
In 2014 hatten in Deutschland 202.645 Menschen Antrag auf Asyl gestellt. Zusätzlich waren noch 134.015 Anträge aus 2013 anhängig. Die Zahl der Flüchtlinge nach Deutschland ist zwar so hoch wie lange nicht, der Bearbeitungsstau allerdings ist nicht nur darauf zurückzuführen. Selbst in Ländern wie Dänemark oder Schweden, in denen mehr Asylanträge pro Einwohner gestellt wurden als in Deutschland, ist der Stapel unbearbeiteter Anträge relativ kleiner.
Für den Migrationswissenschaftler und Studienautor Professor Dietrich Thränhardt erschwert den Flüchtlingen nichts so sehr eine schnellere Arbeitsaufnahme wie ein Schwebezustand ihres Asylverfahrens. Den derzeitigen Zustand mit den langen Bearbeitungsdauern beschreibt er als „extrem unbefriedigend.“ Obwohl die Bundesregierung Residenzpflicht und Arbeitsverbot für Asylbewerber auf drei Monate verkürzt hat und zwei Drittel der Asylbewerber im erwerbsfähigen Alter sind, bleibt ihnen während der Wartezeit auf Bleibegenehmigung in der Regel der Weg in einen Job versperrt. Zu hoch ist die Unsicherheit für Arbeitgeber, zu unsicher die Perspektive für den einzelnen Flüchtling.
Die Studie empfiehlt deshalb ein Maßnahmenpaket, um Flüchtlingen rascher zu ermöglichen, einen Job zu finden: Vorrang hat, den Bearbeitungsstau aufzulösen. Dafür ist mehr Personal ebenso nötig wie mehr Qualität in den Entscheidungsverfahren – 13 Prozent aller Bescheide wurden 2013 von Gerichten korrigiert. Bereits während der Wartezeit auf eine Entscheidung sollen Asylbewerber beginnen, Deutsch zu lernen. Möglich ist dies bislang nur in fünf Bundesländern.
Zudem empfiehlt die Studie, Ausbildungsstand, Arbeitserfahrungen und Berufsperspektiven der Flüchtlinge zu erfassen und an die Bundesanstalt für Arbeit (BA) weiterzureichen. So könnte spätestens nach drei Monaten eine aktive Arbeitsvermittlung starten. Auch ein Umzug aus Flüchtlingsunterkünften in normale Wohnungen nach spätestens drei Monaten kann helfen, über persönliche Kontakte vor Ort Arbeits- und Ausbildungsverhältnisse zu vermitteln.
Asylbewerbern eine rasche Arbeitsaufnahme zu ermöglichen, befürwortet der TNS Emnid-Umfrage zufolge eine große Mehrheit der Bundesbürger. 84 Prozent der Befragten (West 85, Ost 76 Prozent) meinen, der Staat solle dafür sorgen, dass Flüchtlinge schneller in Arbeit kommen. „Die Aufnahme von Flüchtlingen ist eine wichtige humanitäre Aufgabe“, sagte Dräger. „Je erfolgreicher und schneller die Integration in den Arbeitsmarkt gelingt, desto eher können Bedenken entkräftet werden, Deutschland stoße bereits jetzt an seine Belastungsgrenze.“ Laut TNS Emnid sehen 40 Prozent der Bevölkerung diese Grenze erreicht (West 38, Ost 44 Prozent). 51 Prozent der Bevölkerung (West 53, Ost 44 Prozent) hingegen meinen, Deutschland könne und solle mehr Flüchtlinge als heute aufnehmen, weil es humanitär geboten ist.