Gütersloh (gpr). „Roda!“ ruft Markus Glöckner laut. Die 25 Viertklässler der Grundschule Heidewald bilden sofort einen Kreis, stehen Schulter an Schulter und klatschen rhythmisch. Markus Glöckner und David stehen in der Mitte. Markus Glöckner tritt – in Zeitlupe – zu, macht einen „Halbmond von vorne“. David weicht aus, schlägt ein Rad. Das ist Capoeira: Tanz, Kampf, Musik.
Die kleinen Kulturstrolche entdecken die spielerische Mischung aus Kampf und Tanz. Bevor sie aber selber aktiv werden, erklärt Trainer Markus Glöckner den Hintergrund von Capoeira: Die Sportart wurde von afrikanischen Sklaven in Brasilien zur Selbstverteidigung entwickelt. Wenn die Aufsicht da war, stellten sie sich in einen Kreis und tanzten. Schaute der Aufseher weg, haben die Sklaven Tritte eingebaut. Auf der Flucht haben sie sich mit Capoeira verteidigt. Dabei haben die Sklaven Bewegungen von Tieren abgeschaut und nachgemacht. Unter anderem den Skorpion – ein Tritt aus dem Handstand, der an den Stachel erinnern soll.
Nach Warmlaufen und Dehnen starten die Kulturstrolche mit dem Capoeira-Grundschritt „Ginga“. Was kompliziert aussieht, können die Viertklässler schnell ausführen. Die Beine stehen parallel, dann geht ein Bein in den Ausfallschritt, der Arm schwingt als Schutz mit vor den Kopf. Es folgt ein Wechsel auf die andere Seite. Der Grundschritt ist die Basis für alle weiteren Aktionsmöglichkeiten im Capoeira. „Capoeira ist wie Sprache mit dem Körper“, sagt der Trainer. Die Kinder kommunizieren mit Körpersprache. Der Gegenangriff ist die Antwort.
Zu der brasilianischen Kampfsportart gehören auch akrobatische Aktionen, Handstände und Radschläge. Zur Übung schlagen die Kinder ein Rad über ein Seil, das zwischen zwei Stühlen gespannt ist. „Ginga! Mea Lua De Frente! Cocorinha!“, feuert Markus Glöckner die Kinder an. Vor dem Seil sollen sie zunächst den Grundschritt machen, dann den Tritt „Mea Lua De Frente“, der übersetzt „Halbmond von vorne“ heißt, dann ausweichen und ein Rad über das Seil schlagen.
„Kannst du Breakdance?“, fragt ein Kulturstrolch Markus Glöckner. „Nein, ich kann Capoeira“, antwortet er. Aber das sieht ja ganz ähnlich aus. Nach den Übungen bilden die Kulturstrolche und Markus Glöckner den Abschlusskreis. Die Kinder klatschen rhythmisch, der Trainer greift zum Pandeiro – ein Musikinstrument ähnlich einem Tamburin. Was die Capoeira von anderen Kampfsportarten unterscheidet, ist die Musik. Es gibt unzählige Lieder. Eins bringt Markus Glöckner den Kulturstrolchen bei: „Oi sim sim sim, oi não não não“. Zu Gesang, Pandeiro und rhythmischem Klatschen spielen je zwei Kinder in der Roda Capoeira. Grundschritt, Tritte und Radschlagen führen die Kulturstrolche erstaunlich gut aus. „Genau das ist Capoeira“, freut sich Trainer Markus Glöckner. „Es ist sehr bemerkenswert, wie schnell die Kinder die Bewegungen gelernt haben. Sie denken nicht mehr nach, sondern machen es einfach“, lobt er.
Auch Klassenlehrerin Jutta Lammers-Terzenbach ist mehr als zufrieden: „Es ist eine sehr bewegliche Sportart. Vor allem für die Jungs ist es toll, ein männliches Vorbild zu haben.“ Zudem fördert der Kampfsport spielerisch Körperbeherrschung, Rhythmusgefühl, Kommunikation, Achtsamkeit und Selbstvertrauen. Die Kinder entwickeln ein Bewusstsein für Bewegungen und Freude an der Beweglichkeit. „Es hat viel Spaß gemacht“, sind sich die Kinder einig. Und aus der Umkleide schallt noch lauthals das Lied „Oi sim sim sim, oi não não não“.
Das Kulturstrolcheprojekt wurde von der Stadt Münster entwickelt. 2008 übernahm das Kultursekretariat NRW Gütersloh die Projektidee. Von Beginn an ist auch die Stadt Gütersloh Teil des Projekts. Aus den drei teilnehmenden Klassen am Anfang sind mittlerweile 18 Grundschulklassen geworden. Der Fachbereich Kultur und Sport der Stadt Gütersloh koordiniert das Projekt. Die Kulturstrolche werden vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen sowie seit 2011 von der Bürgerstiftung Gütersloh gefördert.