Gütersloh (gpr). Gütersloh, Ende März 1945 – auf dem Flughafen warten 15jährige Jungen auf das letzte As im Ärmel, das die Propaganda der Nationalsozialisten ihnen versprochen hat. Auf der Neuenkirchener Straße geht ein Pfarrer mit weißer Fahne den anrückenden Amerikanern entgegen. Auf der Dammstraße wird ein amerikanischer Soldat von einem, der an den „Endsieg“ glaubt, erschossen. Und ganz in der Nähe verhindert ein Kriegsversehrter mit dem Satz „Hau bloß ab, sonst haue ich Dir den Hintern voll“, dass ein Junge einen amerikanischen Soldaten verrät.
Manche der Geschichten, die an diesem Nachmittag im Stadtmuseum beim ersten „Erzählcafé“ zum Kriegsende in Gütersloh erzählt werden, machen atemlos. Wenn sich einer der rund 30 Teilnehmer und Teilnehmerinnen empört daran erinnert, dass bereits nach einer Stunde dem toten amerikanischen Soldaten Uhr und Stiefel entwendet worden waren und er leise anfügt: „Dafür muss man sich heute noch schämen.“ Wenn ein anderer berichtet, wie ihn die Mutter mit dem Rad nach Greffen geschickt hat um nachzuschauen, ob das Hab und Gut der Familie, das man dorthin gebracht hatte, noch sicher gelagert war. Und wie er dann auf amerikanische Panzer traf. Wenn von denen die Rede ist, die Kampf bis zum letzten Mann wollten und denen, die das um jeden Preis verhindern wollten. Der Grat war offensichtlich auch in Gütersloh schmal und Widerstand konnte auch in den letzten Kriegstagen noch lebensgefährlich sein.
Mitten in diesem Spektrum die Jungen, die als Hitlerjugend auf diesen Krieg hin erzogen worden waren. Heute gehören die damals 15-, 16-jährigen zu den letzten Zeitzeugen, die von diesem Spannungsfeld zwischen Abenteuer und tödlichem Ernst erzählen können. Sie tun das mit großer Offenheit, ohne Pathos, mit kritischer Distanz und doch so, als sei es gestern gewesen. Wie bei den Frauen ihrer Generation, die zwar in dieser Gesprächsrunde in der Minderheit sind, aber im November so berührend zum Leben in der Nachkriegszeit erzählt haben, ist auch bei ihnen das Bedürfnis zu berichten und ihr Wissen aus erster Hand weiter zu geben groß. Für die Moderatoren Dr. Rolf Westheider und Susanne Zimmermann, die schon manches Erzählcafé gemeinsam geleitet haben, eine Idealsituation. Sie repräsentieren die Generation der Kinder, geboren in den fünfziger Jahren und sie stellen deren Fragen. Damit sind sie im Übrigen nicht allein, denn die Runde ist durchaus „altersgemischt“. Sie nimmt nach zwei Stunden angeregtem Gespräch das Staunen mit über den Optimismus, den ihre Väter und Mütter in einer Situation aufbrachten, die uns heute unerträglich erscheint. Das Staunen über den Willen, die eigene Jugend trotz all der Trümmer, der Not und der Verzweiflung nicht preiszugeben. Beim Erzählcafé treffen sich nach fast 70 Jahren Lucie Göhlsdorf und Friedrich Wilhelm Kuhlmann wieder. Tanzstunde haben sie zusammen gemacht, selbst organisiert, damals, nach der Stunde null, die für ihre Generation tatsächlich ein Neubeginn war. Dieses Bewusstsein, so scheint es, prägt sie noch heute.
Das nächste Erzählcafé zum Thema „Kriegsende in Gütersloh“, findet am Mittwoch, 20. Mai, um 15 Uhr im Stadtmuseum Gütersloh an der Kökerstraße statt. Der Eintritt ist frei, für Kaffee ist gesorgt.