Lediglich der Kreis Gütersloh kommt "ohne Kassenkredit" aus
Gütersloh, 14. August 2015. Die Haushaltsergebnisse der Städte und Kreise in Nordrhein-Westfalen haben sich 2014 dramatisch verschlechtert. Bewegten sich die Kommunen in den beiden Vorjahren 2012 und 2013 noch nahe der schwarzen Null, so stand 2014 ein Defizit von über 1,5 Milliarden Euro zu Buche. In keinem anderen Bundesland gab es einen vergleichbaren Einbruch. Die bayerischen Kommunen verzeichneten gar einen Überschuss in fast gleicher Höhe. Verantwortlich für das Defizit in Nordrhein-Westfalen ist kein Rückgang der Einnahmen, sondern ein starker Anstieg der Ausgaben für Personal und Soziales.
Folge dieser Entwicklung sind weiter wachsende Kassenkredite. Diesen Krediten stehen, sofern sie nicht aufgrund der Niedrigzinsphase zur Umschuldung von Investitionskrediten genutzt werden, keinerlei Werte oder Investitionen gegenüber. Sie sind – vergleichbar mit Dispo-Krediten – eine der letzten Möglichkeiten für notleidende Kommunen, kurzfristig ihre Zahlungsfähigkeit zu sichern. Trotz des ambitionierten Stärkungspakts, den die nordrhein-westfälische Landesregierung 2009 aufgelegt hat, stiegen die Kassenkredite im vergangenen Jahr auf das Rekordniveau von 26,5 Milliarden Euro. Das sind 1.500 Euro pro Einwohner.
Damit steht jeder zweite Euro, den Kommunen in Deutschland als Kassenkredit aufnehmen, in den Bilanzen einer NRW-Kommune. In Bayern, Sachsen oder Baden-Württemberg hingegen sind Kassenkredite nahezu unbekannt. Allein die Stadt Essen muss mit fast 2,2 Milliarden Euro vier Mal mehr Kassenkredite bedienen als alle Kommunen Bayerns, Baden-Württembergs und Sachsens zusammen.
Besonders in der Bredouille sind die zehn Städte Essen, Duisburg, Wuppertal, Oberhausen, Dortmund, Hagen, Mönchengladbach, Gelsenkirchen, Mülheim und Bochum. Auf sie entfallen 12,5 der 27 Milliarden Euro Kassenkredite. Keiner dieser Städte gelang es zwischen 2012 und 2014, die Belastung spürbar zu reduzieren. Von allen Städten und Kreisen kam einzig der Kreis Gütersloh im vergangenen Jahr gänzlich ohne Kassenkredite aus.
Mit der Kredithöhe steigen die Zinsrisiken. Weil Kassenkredite kurze Laufzeiten haben, würden sich etwaige Zinsanstiege schnell in den Haushalten niederschlagen. Bereits heute zahlen die Kommunen in NRW drei Mal mehr Zinsen als jene in Sachsen. „Bestehende Haushaltskrisen verschärfen sich – trotz insgesamt guter Konjunktur und eines finanzpolitisch positiven Bundestrends“, sagte Kirsten Witte, Kommunalexpertin der Bertelsmann Stiftung.
In Nordrhein-Westfalen sind die Kassenkredite inzwischen höher als die Investitionskredite. Das Bundesland gerät daher bei Investitionen in die lokale Infrastruktur mehr und mehr in Rückstand. Die Kommunen in Bayern und Baden-Württemberg investieren pro Einwohner 2,5 Mal mehr als in Nordrhein-Westfalen. „Für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ist diese Entwicklung bedrohlich. Die Unterschiede zwischen den Regionen werden fortgeschrieben“, sagte Witte
Kaum einer notleidenden Kommune gelingt es, entscheidende Faktoren für finanzielle Handlungsspielräume mittelfristig wesentlich zu verbessern. Um das zu belegen, analysierte die Bertelsmann Stiftung erstmals die zeitliche und regionale Entwicklung von Steuerkraft und Hartz-IV-Wohnkosten. Letztere sind direkt abhängig vom Ausmaß der Langzeitarbeitslosigkeit und gelten als klassische kommunale Sozialleistung. Dazu wurden die 398 kreisfreien Städte und Kreise bundesweit je nach Höhe ihrer Hartz-IV-Ausgaben bzw. Steuereinnahmen für 2008 und 2013 in vier Gruppen eingeteilt.
Die Steuereinnahmen der nordrhein-westfälischen Kommunen liegen über dem Bundesdurchschnitt. Allerdings fiel die Wachstumsdynamik in Nordrhein-Westfalen seit 2008 mit 6,5 Prozent relativ gering aus. Bundesweit stiegen die Steuereinnahmen in diesem Zeitraum um 11 Prozent. Problematischer sind die hohen Ausgaben für die Hartz-IV-Wohnkosten. Nahezu jede zweite Kommune in Nordrhein-Westfalen befand sich sowohl 2008 als auch 2013 im bundesweit schlechtesten Viertel. Den Kommunen gelingt es nicht, diese hohe Ausgabenbelastung abzubauen. Ein weiteres Ergebnis der Analysen: Haushaltskrisen sind oftmals programmiert, weil hohe Ausgaben für Hartz-IV-Wohnkosten vor allem in steuerschwachen Kommunen anfallen.
Positiv bewertet der Kommunale Finanzreport den Stärkungspakt des Landes NRW. Dessen Finanzierungsanteil ist im Vergleich zu den Programmen anderer Bundesländer hoch. Gegen harte Auflagen fließen an die 57 teilnehmenden Kommunen jährlich zusätzliche Mittel aus dem – ebenso klammen – Länderhaushalt. „Für die Städte bedeutet das schmerzhafte Maßnahmen, aber angesichts guter Konjunktur und niedriger Zinsen ist das Zeitfenster für die Sanierung günstig“, sagte Witte. Dennoch: „Der Stärkungspakt allein kann die Probleme nicht lösen. Wenn die notleidenden Kommunen nicht dauerhaft abgehängt werden sollen, müssen Bund, Länder und Kommunen gemeinsam einen Aufholprozess ermöglichen.“ so Witte. Spürbare Entlastung brächte eine Übernahme der Hartz-IV-Wohnkosten durch den Bund.