Münster (lwl). Die fortschreitende Inklusion eröffnet auch Menschen mit einer geistigen Behinderung viele neue Möglichkeiten und Chancen auf eine selbstbestimmtere und eigenständigere Lebensführung. Die Veränderungen bringen aber auch neue Herausforderungen mit sich - so wird zum Beispiel auch der Zugang zu Suchtmitteln erleichtert und das Risiko, in Abhängigkeiten zu geraten, nimmt zu. Spezialisierte Hilfsangebote für Menschen mit geistiger Behinderung und einem problematischen Konsum von Suchtmitteln gibt es in Deutschland derzeit aber noch sehr wenige. Das hat die Koordinationsstelle Sucht des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) erkannt und das vom Bundesministerium für Gesundheit geförderte Pilotprojekt "Tandem" entwickelt.
"Um die Hilfen anzubieten, die benötigt werden, ist ein stärkeres Zusammenwirken von Behinderten- und Suchthilfe erforderlich. Hier setzt unser Projekt konkret an", so Birgit Westers, verantwortliche LWL-Jugenddezernentin. "Wir freuen uns, dass mit 21 Bewerbungen um die Projektteilnahme das Interesse an diesem Projekt so groß ist. Dies bestätigt uns auch darin, dass ein hoher Bedarf an entsprechenden Hilfsangeboten besteht", so Westers weiter.
Ein Fachbeirat hatte die schwierige Aufgabe, aus der Vielzahl der Bewerbungen aus ganz Deutschland drei Bewerber-Tandems aus Sucht- und Behindertenhilfe für das Projekt auszusuchen. Ein Tandem hat seinen Standort in Westfalen-Lippe: das Caritas-Wohnheim Ascheberg des Caritasverbandes für den Kreis Coesfeld gemeinsam mit der Beratungsstelle für Menschen mit Suchtproblemen des Caritasverbandes für den Kreis Coesfeld. Zwei weitere Tandem-Projekte werden in Bremen und Magdeburg gefördert. "An den drei nun ausgewählten Stand-orten werden die Fachkräfte in der Anwendung neuer Hilfeangebote geschult und setzen die-se an dem Projektstandort gleich gemeinsam um.
Dabei werden zwei bereits erprobte und evaluierte Konzepte aus den Niederlanden übernommen und durch das von der LWL-Koorodinationsstelle Sucht entwickelte Suchtpräventionsprogramm 'Sag Nein!' ergänzt", erläutert Dr. Gaby Bruchmann, Leiterin der Koordinationsstelle Sucht. Menschen mit geistiger Behinderung werden dabei mitwirken, diese Hilfsangebote innerhalb des Projektes weiterzuentwickeln. Daneben entsteht auch eine Online-Datenbank, die eine Übersicht der Präventions-, Beratungs- und Behandlungsangebote für Menschen mit geistiger Behinderung enthalten soll.
Hintergrund:
Das Tandem-Projekt ist auf drei Jahre angelegt, die LWL-Koordinationsstelle Sucht hat die Projektleitung inne, die "Gesellschaft für Forschung und Beratung im Gesundheits- und Sozialbereich" aus Köln hat die wissenschaftliche Begleitung übernommen. Bei den drei Hilfe-Instrumenten, die im Tandem-Projekt zum Tragen kommen, handelt es sich um:
1. "SUMID - Q": Ein niederländisches Screeninginstrument (Fragebogen) zur Einschätzung des Schweregrades einer Substanzstörung bei Menschen mit einer geistigen Behinderung.
2. "SAG NEIN!": Das Präventionsprogramm richtet sich an Schülerinnen und Schüler von Förderschulen mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung. Das Programm ist dabei dem Lernverhalten angepasst. Im Projektverlauf wird es an weitere Angebote der Behindertenhilfe angepasst.
3. "Less Booze or Drugs (LBoD)": Das ist eine niederländische, kognitiv verhaltenstherapeutische Maßnahme mit 12 Einzel- und 12 Gruppensitzungen. Das Programm berücksichtigt zentrale Aspekte der kognitiven Verhaltenstherapie und hat diese für die Zielgruppe angepasst.
BU: Die Leiterin der LWL-Koordinationsstelle Sucht Dr. Gaby Bruchmann. Foto © LWL