Gütersloh (gpr). Es läuft in Gütersloh. Die grüne Welle auf dem Ring bleibt grün, und auch Radfahrer und Fußgänger fühlen sich mitgenommen an den Ampeln im Stadtgebiet. In einer Stadt, in der öffentlicher Meinungsaustausch zu Alltagsfragen zuweilen als eine Art sportlicher Wettbewerb gepflegt wird, sind Rot-Grün-Phasen offensichtlich eher kein Thema. Und es kann sogar passieren, dass „Neubürger“ anmerken, hier sei die Balance der Ampelphasen so harmonisch, dass es auffällt. Einen wesentlichen Anteil daran hat Helmut Westerich. Er ist seit fast 40 Jahren maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Signale nicht auf Rot stehen in der Stadt. Am 1. August geht er in den Ruhestand.
1977 stellte die Stadt Gütersloh den Diplom-Verkehrsbauingenieur ein, der nach seinem Studium bei mehreren Industrieunternehmen gearbeitet hatte. Westerich, in Gütersloh geboren und aufgewachsen, ruft die Technik von damals in Erinnerung. In der Unterführung der heutigen Friedrich-Ebert-Straße befand sich die zentrale Steuerungsanlage, „Dirigentensteuerung“ hieß das Prinzip, der Takt wurde mechanisch eingestellt. Bleibende Erinnerung: „Alles klapperte.“ An den Ampeln selbst wurden Grünzeiten mit dem Lötkolben verändert.
Westerich war als stellvertretender Leiter der Verkehrsplanung eingestellt, sein Aufgabengebiet sollte sich in den folgenden Jahren jedoch ausdehnen. Die Älteren werden sich erinnern: 1977 war der Gütersloher Ring teilweise noch zweispurig, in der Innenstadt gab es keine Fußgängerbereiche, viele Entwicklungen waren in der Planung oder entwickelten sich kritisch. So häuften sich auf der B 61 die Unfälle, weil die damalige „grüne Welle“ offenbar nur bei Tempo 100 (!) wirklich funktionierte. So bekam Westerich den Auftrag, hier einen neuen Lauf zu konzipieren, der Tempo 60 sicher stellte. Das damalige Landesstraßenbauamt, verantwortlich für die B 61, das auch Firmen mit einer Konzeption beauftragt hatte, entscheid sich für Westerichs Lösungsansatz – die Basis für die aktuelle „grüne Welle“ auf dem Ring. Heute allerdings sind sechs verschiedene Varianten ins inzwischen komplett computerbasierte System eingespeist, den Verkehrsströmen angepasst, auf verkehrsarme und Nachtzeiten ebenso reagierend wie auf besondere Belastungen.
Der Arbeitsplatz von Helmut Westerich im Rathaus hat sich so verändert wie die technischen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte. Wo früher in einem zentralen Verkehrsrechnerraum in der Alten Post die Fäden zusammenliefen, bilden heute kompakte IT und eine Wand von Computerbildschirmen das Herzstück der Planungsarbeit. 120 Ampelanlagen, davon 80 im Besitz der Stadt, sind das Equipment, für das Westerich die Choreographie entwickelt. Auch Straßen NRW hat der Stadt die Verantwortung für seine Anlagen übertragen. Die Steuerung „aus einer Hand“ mag ein Grund sein für den reibungslosen Ablauf, der hin und wieder auch von auswärtigen Kommunalpolitikern positiv registriert wird. Jedenfalls hat Helmut Westerich seine Erfahrungen auch an andere Kommunen oder auf Fachkongressen an Kollegen weitergeben dürfen.
Die Arbeit hat er immer wieder als dynamisch und herausfordernd empfunden. Stillstand gab es nie. Galt es in den Achtziger Jahren noch eine völlig neue Verkehrsführung aufgrund der Fußgängerzonen in der Innenstadt durch die Ampelschaltungen zu stützen, so rückten in den Neunzigern noch einmal die Fußgänger und Radfahrer verstärkt ins Zentrum der Konzeption. „Völliges Neuland“ und ein „langer Lernprozess“ war auch der komplette Systemwechsel zur verkehrsabhängigen Steuerung Anfang der Neunziger Jahre, inklusive Busbeschleunigungsspur. In den vergangenen Jahren brachten unter anderem die neuen Straßenführungen im Bereich der Kirchstraße/Carl-Bertelsmann-, Lindenstraße neue Planungsaufgaben. Verkehrsströme änderten sich, nicht nur der Ring spiegelt zunehmende Belastung wieder. Darauf hat die Konzeption der Ampelschaltungen ebenso Rücksicht zu nehmen wie auf Gesetzesänderungen. So etwa wird seit Ende der Neunziger Radfahrern das Fahren auf Straßen erlaubt, wenn nicht ausdrücklich eine Radwegpflicht gekennzeichnet ist. Auch das ist in die Taktgebung der Ampeln einzuspeisen.
Insgesamt ist es eine ausgeklügelte Balance zwischen den Bedürfnissen aller Verkehrsteilnehmer, denen die Planungen von Helmut Westerich in all den Jahren erfolgreich Rechnung getragen haben. Darauf kann er mit Stolz zurückblicken. Seinem Nachfolger Martin Schöneweis, seit 2001 als Diplom-Bauingenieur mit dem Fachgebiet Verkehrsplanung bei der Stadt Gütersloh, übergibt er ein bestens bestelltes Arbeitsfeld. Dass Helmut Westerich den Abschied in den Ruhestand auch in den letzten Tagen noch nicht ganz verinnerlicht hat, spürt man beim fachlichen Austausch der beiden vor den Bildschirmen. Zuhause stehen jedoch weitere Herausforderungen an. „Ich bin ein Bastler,“ sagt Westerich lakonisch über sich und meint damit, dass unter anderem ein Porsche Targa von 1971 und ein historisches Motorrad auf Wiederherrichtung warten. Auch damit kann man grüne Wellen auf ihre Tauglichkeit testen.